SPD lehnt Mehrwertsteuererhöhung ab

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
SPD-Fraktionsvize Michael Müller hat die von der Union geplante Mehrwertsteuererhöhung als ungezielte Maßnahme kritisiert, die die Massenkonjunktur abwürgen würde. Mit der Ökosteuer habe die rot-grüne Koalition einen ähnlichen Weg eingeschlagen, der zusätzlich eine politische Lenkungsfunktion beinhalte, erklärte Müller.
Heckmann: Lange Zeit wurde spekuliert, was wird in dem Wahlprogramm von CDU und CSU alles stehen? Wird darin eine Erhöhung der Mehrwertsteuer angekündigt für den Fall eines Wahlsiegs bei vorgezogenen Bundestagswahlen? Spätestens seit gestern ist klar: Die Union will die Mehrwertsteuer um 2 Punkte auf 16 Prozent anheben und im Gegenzug vor allem die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung absenken, damit mehr neue Jobs entstehen. Bei uns am Telefon ist Michael Müller, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Müller, spricht das nicht für die Redlichkeit der Union, dass sie mit einer unpopulären Ankündigung, nämlich der einer Steuererhöhung in den Bundestagswahlkampf zieht?

Müller: Es geht ja nicht nur um populäre oder unpopuläre Maßnahmen. Es geht darum, ob das stimmig und überzeugend ist, und bei mir hinterlässt es mehr Fragen als Antworten. Abgesehen davon, dass es nun wirklich der einzige Beleg ist, dass man angeblich offen mit Problemen umgeht, frage ich, wie soll beispielsweise die Verteilung des Aufkommens sein? Was kriegen die Länder, was kriegt der Bund? Davon hängt aber entscheidend ab, wie beispielsweise die Frage der Finanzierung der vielen Ankündigungen ist. Nach meiner Rechnung fehlen zweistellige Milliardenbeträge in der Finanzierung dieses Programms. Wie soll beispielsweise die Finanzierung der angekündigten Steuersatzsenkung bei der Einkommens- und bei der Körperschaftssteuer aussehen? Wie ist die Finanzierung des Grundfreibetrags von 8000 Euro für jede Person, der angekündigt ist? Wie sieht es aus mit der Beseitigung der Steuervergünstigung, Steuerausnahmetatbestände? Da wird nichts gesagt. Wie sieht das aus mit der Finanzierung des Kinderbonus? Wie sieht es aus mit der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung? Auch das ist angekündigt.

Heckmann: Bleiben wir doch mal kurz bei der Mehrwertsteuererhöhung. Es gibt eine Reihe von namhaften Wirtschaftswissenschaftlern, die sagen, wenn die Mehreinnahmen zur Absenkung der Lohnnebenkosten verwendet werden, wäre das ganz vernünftig. Was also ist so falsch daran?

Müller: Na ja, das Problem ist schon, dass das natürlich erstens die Binnenkonjunktur weiter schwächt, und zweitens frage ich mich, wir sind in den letzten sieben Jahren genau diesen Weg über die Ökosteuer gegangen. Er ist massiv bekämpft worden von CDU, CSU und FDP. Warum geht man diesen Weg nicht weiter? Er ist sehr viel vernünftiger, weil er im Grunde genommen dann auch eine gewisse Lenkungsfunktion hat und auch unter Gesichtspunkt, dass man, wenn man ihn vermeiden will, indem man beispielsweise weniger Auto fährt, auch ein sozial verträglicher und ökologisch verträglicher sein kann.

Heckmann: Das heißt, dann müssten Sie die Erhöhung der Mehrwertsteuer begrüßen.

Müller: Nein, ich begrüße sie nicht, weil sie eben die Massenkonjunktur abwürgt und nicht gezielt ist.

Heckmann: Ein anderer wichtiger Punkt des Unionsprogramms sind die angekündigten Änderungen beim Kündigungsschutz. Die bisherigen Regelungen haben nicht verhindert, dass wir fünf Millionen Arbeitslose haben, so die Argumentation. Ist da nicht was dran?

Müller: 1996 hat die damalige Bundesregierung Kohl den Kündigungsschutz aufgelockert mit der Behauptung, es würde etwa eine halbe Million Arbeitsplätze schaffen. Am Ende hatten wir aber eine halbe Million Arbeitslose mehr. Dies ist nicht der Weg, der wirklich zu Verbesserungen führt. Ich verweise darauf hin, dass die Union in den letzten Monaten vor allem gesagt hat - und das finde ich den entscheidenden Punkt, über den man nachdenken muss -, man muss sozusagen vor allem über Innovationen neue Arbeitsplätze schaffen, das heißt also über den direkten Weg die Wertschöpfung stärken. Ich sehe aber in dem, was die Union macht, nicht, dass man beispielsweise in Bildung, Forschung, Wissenschaft, also in den Zukunftsfeldern, stärker reingeht. Das ist aus meiner Sicht die Schlüsselfrage. Im Gegenteil: Da ist in der Union vor allem in den neunziger Jahren massiv gekürzt worden, und ich sehe in dem Programm von Frau Merkel nicht einen Ansatz, der in Richtung künftige Wissensgesellschaft heute Vorsorge treibt.

Heckmann: Die Union kündigte auch an, dass betriebliche Bündnisse für Arbeit rechtlich abgesichert werden sollen. Was ist daran falsch, wenn sich Betriebsrat, zwei Drittel der Belegschaft und die Unternehmensführung auf Regelungen einigen, die vom Tarifvertrag abweichen?

Müller: Wir haben ja schon eine ganze Menge Entwicklungen in diese Richtung auf der Basis der heutigen Regelungen. Aber was dahinter steht, ist in Wahrheit - allerdings muss man diese Frage wirklich intensiv diskutieren -, wie man in der Zukunft die Steuerungsfähigkeit zwischen Kapital und Arbeit hinbekommt. Wir haben ja in Wahrheit in Deutschland eine nicht wirklich ausgetragene Auseinandersetzung über die Frage der künftigen Wirtschafts- und Unternehmensverfassung. Bisher haben wir eine Steuerungsfähigkeit, die läuft über den sozialen Interessensausgleich, also in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft eher der Versuch, beide Seiten, Kapital und Arbeit, in die Verantwortung hineinzubringen. Im Augenblick erlebt man mehr, dass es Zug für Zug eine Zurückdrängung vor allem des gewerkschaftlichen Einflusses gibt. Ich halte es für sehr viel wichtiger, über sozusagen die Reformen, die Stärkung, die Neuorientierung der sozialen Marktwirtschaft nachzudenken und damit auch über eine veränderte Rolle der Gewerkschaften, aber nicht über die Einschränkungen der Rechte der Gewerkschaften.

Heckmann: Über die Höhe der geplanten Gesundheitsprämie wollte Angela Merkel gestern keine Aussage machen, da sie erst 2007 oder 2008 eingeführt werden soll und niemand wisse, wie da die Kostenstrukturen seien. Trotzdem verspricht die Union, dass bei Einführung der Pauschale zumindest niemand mehr zahle als bisher. Ist das glaubhaft?

Müller: Nein, das ist deshalb nicht glaubhaft, weil ganz einfach die Rechnungen, die Gesamtsummen anders aussehen. Nach unseren Berechnungen wird das schon zu einer enorm hohen Subventionierung durch den Staat führen müssen, wenn der Weg, der jetzt angekündigt wurde mit den Summen, die Frau Merkel nennt, beibehalten werden soll. Das heißt, es wird eine massive Umfinanzierung über den Staat, und auch das ist wirklich eine Umverteilung zu Gunsten besserverdienender Gruppen und löst in einer gewissen Weise das Solidarprinzip, das wir bisher hatten, auf.

Heckmann: Seit geraumer Zeit ist es ja so, dass selbst Stammwähler Ihrer Partei sagen, Rot-Grün hatte seine Chance, sie haben es nicht verdient, noch länger zu regieren. Wo sehen Sie noch eine Chance für die SPD? In einer großen Koalition?

Müller: Also ich glaube, dass die große Koalition deshalb keine Lösung wäre, weil wir das Grundproblem, dass vor allem die große konservative Volkspartei bis heute den Wahlverlust von 1998 als Betriebsunfall ansieht, aber nicht als Grund, sich wirklich grundlegend zu erneuern. Aber ich sehe die Wahl noch nicht als verloren an. Im Gegenteil: Je mehr klar ist, worin die Widersprüche und Probleme liegen, desto mehr ist es auch möglich, die emotionale Mauer des Widerstandes oder der Ablehnung zu durchbrechen. Ich will nur zwei Punkte nennen. Es ist in der Tat so, wenn man genau hinguckt, sind die Länder, die heute gut da stehen, Länder gewesen, die zwischen 1990 und 1995 tiefgreifende Reformen gemacht haben, die mit der Agenda 2010 vergleichbar sind. Fast alle, ob man die skandinavischen Länder, Österreich oder die Niederlande nimmt, stehen heute gut da, und damals ist in der Bundesrepublik nichts getan worden. Das Zweite ist: Eine wirkliche Zukunft für unser Land wird nur möglich sein, wenn wir in Europa eine wichtige Rolle spielen. Ich sehe aber beispielsweise auch in dem Wahlprogramm von Frau Merkel fast überhaupt nichts, was in Richtung der Rolle der Bundesrepublik in Europa definiert wird.

Heckmann: Vielen Dank für das Gespräch.