SPD kritisiert Haltung der Union gegenüber Türkei

Moderation: Birgit Kolkmann |
Der stellvertretende Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Johannes Kahrs (SPD), hat die Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft der Türkei von CDU-Chefin Angela Merkel kritisiert. Derzeit treffen sich die EU-Außenminister im walisischen Newport, um über die Vorbereitungen für die Beitrittsverhandlungen der Türkei zu beraten.
Birgit Kolkmann: ...Vorsitzenden der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Johannes Kahrs von der SPD, einen schönen guten Morgen.

Johannes Kahrs: Guten Morgen.

Kolkmann: Herr Kahrs, Angela Merkel und Edmund Stoiber haben letzte Woche einen Brief an die konservativen Regierungschefs geschrieben, ausdrücklich das mögliche Ziel einer privilegierten Partnerschaft mit in die Rahmenbedingungen für die Verhandlungen festzuschreiben. Scheint dieser Vorstoß jetzt deutlich mehr Liebhaber zu finden?

Kahrs: Das glaube ich nicht. Also was ist denn eine privilegierte Partnerschaft? Privilegierte Partnerschaft ist doch das, was wir jetzt hier schon haben.

Kolkmann: Es geht ja um eine mögliche Alternative, falls es mit dem Beitritt nicht klappt.

Kahrs: Ja, aber es ist ja keine Alternative zu sagen, es bleibt alles, wie es ist.
Kolkmann: Eine privilegierte Partnerschaft könnte ja auch bedeuten, dass man die Zusammenarbeit noch ausbaut.

Kahrs: Na ja, das ist ja in vielen Fällen schon passiert, also viel mehr Möglichkeiten gibt es da nicht. Und ich glaube, dass unter dem Strich man der Türkei ja immer zugesagt hat, dass sie Mitglied der Europäischen Union wird. Und das wir zurzeit das einfach ausprobieren, dass die Türkei die gleichen Möglichkeiten, die gleichen Chancen, die gleichen Auflagen bekommt, wie es im Bereich von Polen oder Ungarn gewesen ist.

Kolkmann: Allerdings muss die Türkei natürlich da gewisse Auflagen auch erfüllen. Im Augenblick sieht es da ja in verschiedenerlei Hinsicht nicht so positiv aus. Was macht Sie optimistisch, dass sich das ändern wird?

Kahrs: Na, ich weiß nicht, ob sich das ändern wird, das sind ja normale Beitrittsverhandlungen, wie sie alle anderen Länder auch haben. Wir sagen nur, wir wollen mit den Beitrittsverhandlungen anfangen, dann wird das zehn bis zwölf Jahre dauern. Und in den zehn bis zwölf Jahren müssen die Türken dann eben zeigen, ob sie es schaffen, unsere Bedingungen zu erfüllen. So, und das ist ein langwieriger Prozess und ob das klappt, das weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass die Türken es sich verdient haben, dass es auch gut wäre und in der Sache richtig, dass sie es zumindest ausprobieren können.

Kolkmann: Haben Sie das Gefühl, dass im Augenblick in der Türkei, auch angesichts der Diskussion in der Europäischen Union und der gewissen Ressentiments, die es nun auch gibt, so eine Form der Abkehr gibt? Das man sagt, na, dann wollen wir eben nicht?

Kahrs: Also, es gibt da natürlich einen gewissen Frust, weil jetzt ziemlich viele irrationale Argumente hochkommen, die CDU das ja auch ziemlich breit und pampig im Wahlkampf ausschlachtet - was ich für ziemlich unanständig halte. Und deswegen sind die natürlich etwas gefrustet. Aber es muss natürlich so sein, dass die Türkei sich entsprechend bewegen muss. Und ich glaube, dass man ihnen diese Chance geben sollte.

Kolkmann: Die türkische Regierung ist im Augenblick ziemlich widerborstig, vor allen Dingen in der Zypern-Frage und was ethnische und religiöse Minderheiten angeht; und natürlich auch in der Frage der historischen Aufarbeitung des Armenier-Genozids. Müsste sich Ankara in der Tat da etwas schnell bewegen?

Kahrs: Wir haben jetzt die Beitrittsverhandlungen und natürlich wird sich die Türkei bewegen. Ich glaube nicht, dass es an diesen Punkten scheitern wird. Wenn man sich anguckt, wie sich die türkische Regierung unter Erdogan im letzten Jahr bewegt hat, das hätte nie einer für möglich gehalten. Deswegen halte ich das alles nicht für ernsthafte Stolpersteine. Ich glaube, dass die Türkei sich da bewegen wird.

Kolkmann: Allerdings der diesjährige Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Orhan Pamuk, ist ja ein Befürworter des EU-Beitritts. Aber er wird wegen öffentlicher Herabsetzung des Türkentums jetzt vor Gericht gestellt. Und da geht es vor allen Dingen darum, dass er den Genozid an den Armeniern benannt hat. Das klingt nicht so, als würde die Türkei sich sehr öffnen für europäische Rechtmaßstäbe.

Kahrs: Na ja, es bleibt der Türkei gar nichts anderes übrig, wenn sie Mitglied werden will, weil wir haben ja unsere festen Bedingungen, die alle anderen Beitrittsländer auch erfüllt haben. Und deswegen hat es die Türkei ja auch selber in der Hand. Ich bin ganz zuversichtlich, auch nach vielen Gesprächen in der Türkei, dass die Türken das auch genau wissen. Und das Problem, was Erdogan hat: Er muss natürlich seine Bevölkerung mitnehmen, die in vielen Punkten noch nicht so weit ist wie er. Und das machen die schrittweise und ich glaube, dass man da ernsthaft in den nächsten Wochen und Monaten keine großen Hindernisse sehen wird. Da wird es viel hin und viel her geben, aber das Ergebnis ist, dass ein übergroßer Anteil der Türken, der gesamten Eliten das befürwortet. Und ich glaube nicht, dass wir es uns leisten können, die so zu verschrecken, weil die Frage dann ja auch immer die ist: In welche Richtung geht die Türkei denn, wenn sie nicht Richtung Europa geht?

Kolkmann: Sie kritisieren die Position von Angela Merkel, was die privilegierte Partnerschaft angeht. Sie steht aber in Europa nicht ganz allein mit dieser Auffassung. Auch die österreichische Bundesregierung ist einer ähnlichen Auffassung. Und starke Vorbehalte gibt es ja - wissen wir auch, in Frankreich. Könnten Sie sich vorstellen, dass offenbar diese Meinung sich noch weiter durchsetzen wird?

Kahrs: Das ist ja auch in Europa ein Prozess und ich glaube, wenn man sich das anguckt, Frau Merkel macht zurzeit Wahlkampf. Ich glaube, es hat ja auch schon Äußerungen in der Union gegeben, dass das nach der Wahl anders aussehen wird. Und deswegen bin ich da ganz zuversichtlich. Und was die österreichische und die französische Meinung angeht: Die Franzosen sind natürlich noch geschockt von dem Nein ihrer Volksabstimmung und bei den Österreichern ist ja schon eine länger vorherrschende Meinung. Trotzdem: Unter dem Strich muss man sich ansehen, dass eine große, übergroße Mehrzahl der Länder der Europäischen Union diese Beitrittsverhandlungen befürwortet. Es geht ja nicht darum, dass die Türkei, so wie sie heute ist, Mitglied der Europäischen Union wird. Das will ja niemand. Es geht darum, dass jetzt Beitrittsverhandlungen anfangen, die zwölf bis fünfzehn Jahre dauern, in denen sich die Türkei ganz schön verändern muss, um überhaupt Mitglied werden zu können.

Kolkmann: Das war der stellvertretende Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Johannes Kahrs.