SPD-Europapolitikerin fordert neue Perspektiven für Europa

Moderation: André Hattig · 28.04.2012
Im Streit um den richtigen Kurs für die Eurozone unterstützt die Europapolitikerin Evelyne Gebhardt (SPD) die Forderungen nach zusätzlichen Wachstumsimpulsen. Der Fiskalpakt reiche nicht aus, ein Pakt für Wachstum und Beschäftigung sei nötig.
André Hatting: Kein Licht in Sicht. Europa rutscht weiter in die Staatsschuldenkrise, die Ratingagenturen stufen Spanien gleich um zwei Punkte runter, Irland bleibt mit über 13 Prozent der größte Schuldner der Euro-Zone, und jetzt hat sich auch Großbritannien angesteckt, das Land ist in einer Rezession. Angefangen hatte alles in Griechenland, wir erinnern uns, die Regierungen haben dort jahrelang schlecht gewirtschaftet und geschönte Zahlen vorgelegt. Damit das nicht wieder passiert, will die EU die Regeln für neue Schulden verschärfen. Fiskalpakt heißt das Projekt und ist vor allem eine deutsche Idee, ein Nachbau der Schuldenbremse für die EU, sozusagen. Bislang hatte die Bundeskanzlerin mit Nicolas Sarkozy einen Verbündeten für ihr Projekt, aber Francois Hollande, der gute Chancen hat, die Stichwahl in Frankreich zu gewinnen und damit neuer Präsident zu werden, der will den Pakt aufkündigen. Am Telefon ist jetzt Evelyne Gebhardt, sie ist gebürtige Französin, hat zwischenzeitlich Sarkozy beraten und sitzt für die SPD im Europaparlament. Also die perfekte Vermittlerin! Guten Morgen, Frau Gebhardt!

Evelyne Gebhardt: Guten Morgen!

Hatting: Francois Hollande sagt, Deutschland entscheidet nicht allein. Das klingt wie eine Kampfansage!

Gebhardt: Ja also, natürlich sind es 27 Staaten und 27 Regierungen. Also, auch Deutschland regiert nicht alleine und da muss man gucken, wie das geht. Wenn ich Francois Hollande richtig verstanden habe, als er das Renégocier sagte, er meinte da ja nicht unbedingt, dass der Fiskalpakt wieder geöffnet werden muss, sondern dass ein weiterer Pakt dazukommen muss, nämlich ein Pakt für Wachstum und Beschäftigung. Und ich glaube, das tut auf jeden Fall not in Europa!

Hatting: Berlin hat sofort zurückgeschlagen: Am Fiskalpakt wird nicht gerüttelt, sagen Kanzlerin und ihr Außenminister unisono.

O-Ton Angela Merkel: Alle wissen, der Fiskalpakt ist verabschiedet, er ist von 25 Ländern unterzeichnet. Wir werden an einer anderen Baustelle weiterarbeiten, das ist das Thema Wachstum, und das haben wir im Januar begonnen und das werden wir im Juni fortsetzen.

O-Ton Guido Westerwelle: Also, für Wachstum muss und soll noch mehr getan werden in Europa, aber eben nicht, indem neue Schulden gemacht werden, sondern indem wir die Wettbewerbsfähigkeit vergrößern. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass, wen auch immer das französische Volk wählt, wir mit jeder gewählten französischen Regierung auf dieser Grundlage hervorragend zusammenarbeiten werden.

Hatting: Sagt Guido Westerwelle. Frau Gebhardt, glauben Sie das auch, dass Merkel mit Hollande hervorragend zusammenarbeiten wird?

Gebhardt: Sie werden sich auf jeden Fall zusammenraufen müssen, beide. Denn die deutsch-französische Zusammenarbeit ist für Europa äußerst wichtig, war es schon immer und ist es auch geblieben. Und wir müssen sehen, dass es in Europa weitergeht, wir müssen aus der Krise herauskommen, wir müssen Lösungen finden. Und es wird nicht so gehen, wie Frau Merkel sich das vorstellt, dass man gar nichts macht, und das, was die Regierungschefs im März beschlossen haben, was sie im Juni angehen wollen, ist so was von vage, dass man davon noch lange nicht von einem Wachstumspakt sprechen kann. Und Francois Hollande wird sich natürlich auch angucken müssen, welche Möglichkeiten habe ich, was tue ich. Aber er hat natürlich auch das Recht zu sagen, wo seine politischen Schwerpunkte sind.

Hatting: Aber Frau Gebhardt, einerseits macht die Bundeskanzlerin ja etwas, sie verknüpft nämlich die Verabschiedung des erweiterten Rettungsschirms ESM eben mit diesem Fiskalpakt, und andererseits, wenn man sich die deutsche SPD anguckt, die sagt auch, der Fiskalpakt ist grundsätzlich richtig.

Gebhardt: Der ist grundsätzlich richtig, ich habe auch nichts anderes gesagt, und Francois Hollande hat es auch nicht gesagt, dass es nicht richtig wäre. Sondern hier muss sehr viel stärker daran gegangen werden, dass wir für die Menschen etwas machen, dass wir dafür sorgen, dass jeder in Arbeit komme, dass die Wirtschaft auch wieder funktioniert, gerade in diesen Staaten Griechenland, Spanien, Irland, und auch in dem Nicht-Euro-Land Großbritannien. Und wir müssen dafür sorgen, dass in Europa wieder eine Perspektive entsteht.

Hatting: Aber wie soll das funktioniert, ohne weitere, ohne neue Schulden aufzunehmen? Wenn wir mal nach Frankreich gucken, dort ist auch eine hohe Arbeitslosigkeit, eine hohe Staatsverschuldung. Im Dezember hat die Ratingagentur Standard and Poor’s deshalb die Kreditwürdigkeit Frankreichs herabgestuft, und jetzt ein teures Konjunkturpaket?

Gebhardt: Nein, das nicht unbedingt. Also, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wir noch mehr Schulden machen, das wäre, glaube ich, nicht die richtige Antwort. Aber wir müssen uns überlegen, wie wir eine Industriepolitik auch wieder in Gang bringen wollen. Die Staaten, die die größten Schwierigkeiten haben, sind ja diejenigen, die sich ausschließlich auf Dienstleistungen kapriziert haben, das ist Spanien, das ist Großbritannien, das ist auch Griechenland, die keine richtige Wirtschaft mehr vorzuweisen haben. Und da müssen wir über die Strukturen nachdenken. Wir müssen gucken, wie können wir dafür sorgen, dass in diesen Staaten wieder Start-ups sich installieren können. Bei regenerativerEnergie zum Beispiel, was in den Südstaaten der Europäischen Union durchaus Sinn machen würde. Und da gibt es einiges, was man sich vorstellen kann, was man machen kann, das allerdings bisher nicht angegangen wurde.

Hatting: Sie haben Nicolas Sarkozy eine Zeit lang beraten. Stimmt es eigentlich wirklich, dass Sarkozy und Merkel so wunderbar zusammenarbeiten können?

Gebhardt: Also, die haben sich halt zusammengerauft. Und ich hatte immer wieder den Eindruck, dass zwischen den beiden eher Deals gemacht wurden: Du gibst mir das eine, dafür kriegst du das andere und dann können wir beide nach Hause gehen und sagen, wir haben was Tolles gemacht. Das ist nicht die Art und Weise, wie ich gerne Politik machen würde. Ich möchte eine echte europäische Politik machen in Europa, und nicht nationale Politik, die versteckt hinter europäischen Lösungen zu finden sind.

Hatting: Und warum glauben Sie, dass das mit Hollande als Präsident europäischer wird?

Gebhardt: Hollande hat in seinem ganzen Wahlkampf – und ich kenne ihn auch schon seit einigen Jahren – sich immer sehr für die Europäische Union eingesetzt, hat auch Ideen dazu, während Sarkozy wirklich ein nationaler Politiker ist.

Hatting: Wie arbeitet die Kanzlerin am besten mit ihm zusammen?

Gebhardt: Sie wird mit ihm erst mal Kontakt aufnehmen müssen, ob sie will oder nicht, und wird … Ich denke, es wird eine Basis für eine gemeinsame Arbeit geben können. Sie müssen sich halt kennenlernen, sie müssen lernen, miteinander umzugehen. Anders geht es nicht zwischen Menschen.

Hatting: Das ist klar. Was mich verwundert, ist, dass einerseits immer mal wieder nach der Führungsrolle Deutschlands gerade in dieser Euro-Schuldenkrise gerufen wird; jetzt im französischen Wahlkampf aber wird Berlin kräftig auf die Finger gehauen. Was denn nun?

Gebhardt: Ja, das war aber auch schon etwas früher so. Sarkozy hat dann gedacht, er könnte Wahlkampf machen mithilfe von Frau Merkel, und deswegen hat er sich da zurückgehalten. Aber in Frankreich sind die Bürger sehr verärgert darüber, sie sagen, wir haben doch eigene Ideen, wir stehen für uns und mögen es nicht so sehr, wenn man plötzlich so aussieht, als würde man einem anderen Staat nachlaufen, egal, welcher Staat das ist.

Hatting: Merkel, Hollande und der Fiskalpakt, die SPD-Europaparlamentarierin Evelyne Gebhardt war das. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Gebhardt!

Gebhardt: Bitte schön!


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