SPD-Außenpolitiker: Bundeswehr muss in Afghanistan mehr Risiken eingehen

Hans-Ulrich Klose im Gespräch mit Marietta Schwarz |
Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose hält eine größere Risikobereitschaft der Bundeswehr in Afghanistan für notwendig. Dafür müsse sie allerdings auch entsprechend ausgerüstet sein und verstärkt werden, betonte der Vizevorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz.
Marietta Schwarz: Wir bleiben noch einen Moment bei der Münchener Sicherheitskonferenz, die heute beginnt. Das Thema Afghanistan wird dort einen großen Raum einnehmen, eine Woche nach der Afghanistan-Konferenz in London, bei der sich die Staats- und Regierungschefs ja auf einen Strategiewechsel geeinigt hatten mit Truppenaufstockung, stärkerer Ausbildung der afghanischen Kräfte, zivilpolitischem Aufbau und einem Aussteigerprogramm für Taliban. Aber wie hoch sind da eigentlich die Erfolgsaussichten? – Fragen dazu an den SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose, er ist stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Guten Morgen, Herr Klose.

Hans-Ulrich Klose: Guten Morgen!

Schwarz: Herr Klose, der afghanische Präsident Karsai hat zum Friedensprozess in den vergangenen Jahren ja nicht allzu viel beigetragen. Bei der Sicherheitskonferenz in München wird er jetzt dabei sein und eine Rede halten. Erwarten Sie da überhaupt irgendwas Überraschendes?

Klose: Nein, da erwarte ich nichts Überraschendes, denn wir haben ja gerade erst mit Karsai hier in Berlin gesprochen. Er war unter anderem auch im Auswärtigen Ausschuss. Wir kennen seine Ansichten. Wir billigen die überwiegend und erwarten von ihm, dass er aktiv wird.

Schwarz: Also eine reine Höflichkeitseinladung?

Klose: Nein, das kann man nicht sagen. Es ist schon wichtig, mit ihm zu sprechen. Er ist wie immer gewählter Präsident von Afghanistan und es kommt darauf an, es kommt sehr darauf an, dass in Kabul wirklich regiert wird, und es kommt darauf an, dass eine Möglichkeit gefunden wird, die Region stärker an dieser Regierung zu beteiligen als bisher.

Schwarz: Was muss Herr Karsai konkret tun?

Klose: Ich glaube, er muss erstens dafür sorgen, dass seine Regierung effektiver wird und dass Korruption, die weit verbreitet ist, unterbleibt. Korruption heißt nicht nur, dass die erste Ebene dabei betroffen ist, sondern auch die nachfolgenden Ränge sind ein Problem. Es gibt übrigens einen interessanten Hinweis von Experten, die sagen, dass die Entwicklungshilfemittel, die nach Afghanistan fließen, nicht unwesentlich zum Entstehen von Korruption beitragen.

Schwarz: Das heißt, Entwicklungshilfemittel kürzen, streichen?

Klose: Nein, das heißt nicht kürzen, aber doch sehr sorgfältig beachten, für welche Projekte sie ausgegeben werden, und darauf achten, dass nicht, um Projekte zu platzieren, vorher Mittel fließen.

Schwarz: Herr Klose, letzte Woche wurden Beschlüsse gefasst zur Aufbauhilfe und zum schrittweisen Truppenabzug in London, aber es fehlt doch an Vielem, an Ausrüstung, Soldaten, Polizisten, und seit gestern wissen wir auch, es fehlt der NATO an sehr viel Geld für diesen Afghanistan-Einsatz. Also ist die Strategie falsch, oder das Problem sowieso unlösbar?

Klose: Nein, es ist ein schwieriges Problem. Afghanistan ist ein sehr komplexes Land. Wenn man die Geschichte des Landes kennt, weiß man, es ist eigentlich noch nie gelungen, von Alexander dem Großen mal abgesehen, das Land von außen zu stabilisieren. Deshalb muss man verschiedene Maßnahmen ergreifen und die, die wir uns vorstellen, sind: eine Stärkung der Region, eine stärkere Beteiligung der Nachbarländer von Afghanistan, eine schrittweise Übergabe der Verantwortung an afghanische Sicherheitskräfte in Regionen, wo das geht, und Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung.

Schwarz: Ist das vielleicht zu kurz gekommen letzte Woche in London, zum Beispiel die Miteinbeziehung der Nachbarländer?

Klose: Das ist intensiv besprochen worden, aber das ist, wie Sie sich vorstellen können, mit erheblichen Problemen verbunden. Sehen Sie mal, man muss mit Pakistan zusammenarbeiten. Pakistan ist aber ein Problem, weil die Regierung in Islamabad die Kontrolle über die sogenannten Tribal Areas, die Stammesgebiete entlang der afghanischen Grenze, nicht oder kaum noch hat. Zweitens ist nicht ganz sicher, ob die Zusammenarbeit mit Pakistan nicht von Teilen der Armee eher missbilligt als gefördert wird. Und dann kommt hinzu, dass sie Indien brauchen, weil für Pakistan ist der Gegner nicht Afghanistan und die Taliban dort, sondern in Wahrheit immer noch Indien, weil es um Kaschmir geht. Das ist ein Problemfall und der andere Problemfall ist im Westen Iran.

Schwarz: Schauen wir, Herr Klose, mal auf die deutschen Soldaten, die in Afghanistan im Einsatz sind und sich kaum noch aus ihrem Lager trauen. So geht das nicht, sagt der amerikanische General McChrystal. Muss die Bundeswehr vielleicht mehr Bodenpräsenz zeigen, mehr Risiko eingehen?

Klose: Ich glaube, das muss sie, aber dafür muss sie auch ausgerüstet sein und sie muss verstärkt werden, und deshalb war es im Kern richtig, dass der Verteidigungsminister eine zusätzliche Infanteriekomponente in Marsch gesetzt hat, denn natürlich muss man Soldaten, die man einem Risiko aussetzt, die besten Chancen geben, sich wirklich zu verteidigen.

Schwarz: Jetzt werden die deutschen Soldaten im Norden des Landes ja auch unterstützt von US-Soldaten. Wird es so sein, dass die dann die Dreckarbeit machen, während die Deutschen hoch gesichert Patrouille fahren?

Klose: Nein, das, glaube ich, wird nicht so sein. Die Amerikaner kommen im Wesentlichen in den Norden, um den Nachschub zu sichern. Sie wissen ja, dass das über Pakistan problematisch ist. Da hat es erhebliche Probleme gegeben in der Vergangenheit. Und jetzt gibt es eine Versorgungslinie auch über den Norden und die Aufständischen greifen die natürlich an, und deshalb haben die Amerikaner eine Verstärkung in den Norden geschickt.

Schwarz: Welche Rolle spielt denn in diesem Afghanistan-Konflikt überhaupt noch die Bundesregierung? Die hat ja von den USA vermittelt bekommen, dass sie allenfalls mitläuft, mehr aber auch nicht.

Klose: Gut, wir sind der drittgrößte Truppensteller, wir liegen weit hinter den Anstrengungen her, die die Amerikaner unternehmen, und wir liegen auch hinter den Briten hinterher, jedenfalls was das Militär angeht. Trotzdem sind wir unverzichtbar, wie auch die Amerikaner sagen, und ich glaube, wir können auch nicht sehr viel mehr machen.

Schwarz: Herr Klose, 100 Tage ist die schwarz-gelbe Bundesregierung nun im Amt und die SPD in der Opposition. Sind Sie insgeheim froh, dass die Verantwortung am Hindukusch nicht mehr auf Ihrer Partei lastet?

Klose: Ob wir in der Regierung sind, oder in der Opposition, wir tragen Mitverantwortung, und zwar erheblich, denn es war nur zur Erinnerung ein sozialdemokratischer Bundeskanzler, der nach den Anschlägen von New York und Washington den Amerikanern uneingeschränkte Solidarität versprochen hat. Ich hab damals bei dem Adjektiv "uneingeschränkt" etwas gezuckt, aber ich rufe das in Erinnerung.
Und zweitens: es war die rot-grüne Bundesregierung, die die sogenannte Petersberg-Konferenz in Bonn durchgeführt hat, und damals hat die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland den Afghanen Hilfe bei der Stabilisierung und beim Wiederaufbau des Landes versprochen. Also wir sind mit drin und haben eine fortwirkende Verantwortung zu tragen.

Schwarz: Der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose, war das. Herr Klose, vielen Dank!

Klose: Nichts zu danken. Wiederhören!
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