Sparkassenbus in Sachsen-Anhalt

Die Bank kommt zum Kunden

Sparkassenbus im Burgenlandkreis
Bargeld oder Kontoauszüge: Im Sparkassenbus lassen sich alle Geschäft abwickeln. © Christoph Richter
Von Christoph Richter · 08.06.2018
Kein Bäcker, keine Schule, keine Bank - wenn es in ländlichen Regionen mit der Versorgung nicht mehr klappt, ziehen die Leute weg. Damit es nicht so weit kommt, setzt man im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt auf eine mobile Lösung: den Sparkassenbus.
Heiko Fischer ist der Fahrer des Sparkassenbusses im Burgenlandkreis, im Süden Sachsen-Anhalts. Er bringt die große Welt der Finanzen in die kleinsten Dörfer. Heute macht Fischer – ein äußerst freundlicher Mensch - mit seiner rollenden Sparkassenfiliale Station in Spora, einem kleinen Dorf bei Zeitz. Eingebettet in eine sanft hügelige Landschaft, liegt es auf halber Strecke zwischen Leipzig und Jena.
Heiko Fischer: "So, wie kann ich Ihnen helfen?"
Edith Nowak: "Erst mal das hier, das hier und das."
Edith Nowak ist 88. Sie reicht diverse Überweisungsbelege über den Tresen.
"Ich bezahl alles mit bar. Ich habe noch nicht mal meine Karte genutzt. Solange der Sparkassenbus kommt, hole ich mir hier immer mein Geld."
Früher war Edith Nowak Verkäuferin im Konsum, dem Tante-Emma-Laden in Spora. Gibt’s schon lange nicht mehr, lediglich einen Bäcker gibt es noch, die letzte Kneipe macht Ende des Jahres zu. Die Sparkassen-Filiale hat noch zu DDR-Zeiten geschlossen. Weshalb Bank-Vertreter kamen, die das Geld den Kunden persönlich nach Hause brachten. Nach dem Mauerfall war das nicht mehr erlaubt …
"… und da hat man sich dann besonnen auf solche Sparkassenbusse, und die dann rumfahren lassen. In die einzelnen Ortschaften. Und da wurde das Geld dann ausbezahlt. Und in den Bussen ist auch die qualifizierte Beratung möglich."

Geldgeschäfte im Bus

Bevor die Kunden kommen, sortiert und ordnet Heiko Fischer die Kontoauszüge. Alphabetisch und nach Orten, in einem grauen Karteikasten. Zettelwirtschaft im Internet-Zeitalter. Damit er sie sofort bei der Hand hat, wenn die Kunden kommen.
Seit 1993 fährt Fischer den Sparkassenbus durch den Burgenlandkreis. Seine Kundschaft ist meist weiblich, älter als 80, und sie schwärmt:
"Herr Fischer ist sehr nett. Er erklärt einem alles, was man wissen will. Ich gehe gerne hierher. Wir hoffen alle, dass das so bleibt. Aber Herr Fischer sagt, das bleibt. Der Bus wird nicht abgesetzt. Das ist doch schön."
500 Kilometer tourt Heiko Fischer mit seinem Sparkassenmobil in der Woche übers Land, pendelt zwischen Dörfern mit Namen wie Trebnitz, Wethau, Lossa oder Gleina. Orte, die nur eine Zugstunde, aber gefühlte Lichtjahre von Leipzig entfernt liegen. Hier wickelt Fischer Geldgeschäfte zwischen Wäldern und Feldern, Haustüren und Ställen ab.
Allein in Sachsen-Anhalt gibt es quer übers Land verteilt fünf Sparkassenbusse. Die beste Lösung, wie es heißt, weil eine Filiale schlicht zu teuer ist, selbst ein Bankautomat würde sich nicht lohnen. Im Jahr 2000 gab es in Sachsen-Anhalt nach Angaben des Ostdeutschen Sparkassenverbandes noch knapp 600 Filialen. Jetzt sind es gerade mal noch 444 Zweigstellen, also ein Viertel weniger. Tendenz weiter fallend. Ähnlich sieht die Entwicklung bei den Hauptgeschäftsstellen aus. Gab es in Ostdeutschland vor 17 Jahren noch 72 eigenständige Sparkassen, so sind es jetzt nur noch 45. Die rückläufige Entwicklung habe sich beschleunigt, heißt es seitens der Bundesbank. Gründe sind unter anderem der hohe Wettbewerbsdruck und die niedrigen Zinsen.
Doch von einem Sparkassen- bzw. Filialsterben will niemand sprechen, ja man scheut das Wort, die Verantwortlichen wollen es nicht in den Mund nehmen. Stattdessen heißt es blumig, was man derzeit erlebe, sei eine "Veränderung der Kundenbedürfnisse."

Die Filialen machen dicht

"Zum einen steht in den Sparkassen-Statuten, dass wir einen öffentlichen Auftrag haben. Das ist unsere Aufgabe, die uns gesetzlich vorgegeben ist", sagt Mario Kerner, der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse im Burgenlandkreis. Ein junger dynamischer Mann, Mitte 40.
"Zum anderen: Nicht jeder im Dorf kann uns erreichen, wie es vielleicht der eine oder andere in der Stadt machen kann. Deswegen ist es uns wichtig, dass wir vor Ort da sind, dahin kommen. Unsere Kunden besuchen. Und denen zumindest ein Grundgerüst an Bank-Dienstleistungen anbieten."

Nicht nur die Alten, auch viele der Unter-40-jährigen Kunden haben noch nie eine Sparkassenfiliale von innen gesehen, sagt Kerner noch. Nicht mal wenn sie eine Beratung wollen, kommen sie zu ihrem Berater. Anders die frühere Zigarrenmacherin Elfriede Hoffmann, Jahrgang 1933. Sie lässt sich ihre Kontoauszüge gar noch persönlich geben.
"Gut für die Region" steht in großen weißen Lettern auf dem knallroten viereckigen Kastenwagen, dem Sparkassenmobil. Weil es in den Ortschaften fast nichts mehr gibt, ist der kleine Aufenthaltsraum im Bus auch sowas wie der Dorf-Brunnen, wo der neueste Tratsch ausgetauscht wird. Die Themen: Rente, Nachbarschaft, die kleinen Wehwehchen und die guten alten Zeiten.
Unter dem Stichwort gleichwertige Lebensverhältnisse ist der Sparkassenbus – neben der Grundschule oder dem Tante-Emma-Laden - der richtige Weg, um Menschen in ländlichen Regionen zu zeigen: Wir haben euch nicht vergessen. Meint zumindest Bevölkerungsforscher Manuel Slupina vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, einem Think-Tank, der sich mit demografischen Fragen beschäftigt.
Heiko Fischer steht vor seinem Sparkassenbus.
Seit 1993 ist Heiko Fischer mit dem Sparkassenbus unterwegs.© Christoph Richter

Der Bus fördert das soziale Miteinander

"Dafür müssen die Orte und Dörfer eine gewisse Infrastruktur bieten, also da muss eine Kita sein, eine Grundschule sein. Damit sie die Wanderungsgruppe – die für ländliche Regionen interessant sind – auch anziehen kann."
Allein können es die Kommunen jedoch nicht stemmen, das gehe nur gemeinsam mit den großen, oft marktbeherrschenden Institutionen. Doch die hätten vielerorts es noch nicht verstanden, dass sie buchstäblich "Mit-Verantwortung" tragen, sagt Slupina.
Der Sparkassenbus sei der genau richtige Ansatz. Das Konzept sei identitätsstiftend und fördere das soziale Miteinander. Streiche man den Bus, könne das für einen Ort den weiteren Niedergang bedeuten.
"Für die Regionen, gerade die entlegenen Regionen, besteht dann die Gefahr, dass sich dann eine Abwärtsspirale auftut. Also, dass mit dem Weggehen der Menschen, mit den schrumpfenden Einwohnerzahlen immer mehr Versorgungseinrichtungen schließen. Dass die Attraktivität gerade dieser Dörfer weiter abnimmt. Und die kaum noch Möglichkeiten haben, neue Zuzügler zu gewinnen."
Junge Leute – die sogenannten Familienwanderer – ziehen nur dann neu zu oder wandern eben nicht ab, wenn es am Ort die Schule oder den Bäcker gibt. Dazu zähle auch der Sparkassenbus. Haltefaktoren bzw. Versorgungsanker nennen das die Soziologen.
"Ja, wir sagen, schaut Euch die Situation in den betroffenen Regionen genauer an. Sagt nicht, das ist der ländliche Raum und das ist eine Kategorie, sondern schaut genau hin, wo die Bedarfe sind."

Ein Mittel gegen die Landflucht

Der Sparkassenbus ist nur ein Baustein. Aber eine pfiffige Idee, um die Landflucht zu stoppen, den demografischen Wandel in den Griff zu bekommen, meint Sozialgeograf Klaus Friedrich, emeritierter Professor von der Universität Halle-Wittenberg und langjähriges Mitglied im Demografie-Beirat des Landes Sachsen-Anhalt. Es gehe schlicht um das Überleben der Dörfer, der ländlichen Regionen, sagt Friedrich noch. Seiner Meinung nach wird die Bedeutung dieses Lebensraums für die Gesellschaft unterschätzt. Mario Kerner nickt. Der Chef der Sparkasse im Burgenlandkreis – ein glühender Verfechter des Sparkassenbusses. Er versteht sich nicht nur als Banker, sondern auch als Heimat-Beauftragter.
"Ich glaub, auch was für die Jungen vor Ort wichtig ist, sind so Signale: Geht unsere Infrastruktur flöten oder machen sich verantwortliche Institutionen – dazu zählt eine Sparkasse – auch Gedanken, wie man vor Ort das Leben angenehmer gestalten kann? Und selbst für junge Menschen, die auch im Ort wohnen, die vielleicht, wie die Eltern auf demselben Grundstück gebaut haben, ist der Sparkassenbus ein wichtiges Signal, dass man sich um die Region kümmert."
Man könne jedoch nicht in jedem Ort eine Geschäftsstelle haben, bedauert Kerner.
In der mobilen Bankfiliale der Sparkasse im Burgenlandkreis geht es zu wie im Taubenschlag. Heiko Fischer kümmert sich aber nicht nur um korrekte Buchungen. Denn: Wenn kleinere Reparaturen anliegen, legt er sich schon auch mal unter den Bus.
"Manchmal. Der Bus muss gewartet werden, der Bus muss getankt werden. Der Bus muss auch mal in die Werkstatt. Und da kümmert man sich auch drum."

Für den Fahrer ein Traumjob

Nach einer Stunde ist in Spora Schluss. Der Fahrplan drängelt. Jetzt geht es ins acht Kilometer entfernte Rehmsdorf. Für den dortigen parteilosen Bürgermeister Thomas Heilmann ist der Sparkassenbus ebenfalls unersetzlich. Damit die Menschen bleiben und nicht gehen. Für den Sparkassenbus würde er gar auf die Barrikaden gehen.
"Einfach zurückziehen, das gibt’s nicht."
Soll auch erst mal im Burgenlandkreis nicht passieren, so lautet zumindest das Versprechen der Sparkasse.
Für Fahrer Heiko Fischer ein beruhigendes Signal. Denn: Für ihn gibt es nichts Schöneres, als mit dem feuerroten Sparkassenmobil zu den Menschen vor Ort auf die Dörfer zu fahren. Ein Traumjob, sagt er noch.
"Ja. Mit diesen Kunden. Mit dieser Sparkasse."
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