Spannungsreiche Konstellation
Das ewige Thema vom Mann zwischen zwei Frauen steht in Jules Barbey d'Aurevillys Roman „Die alte Mätresse“ im Mittelpunkt. Der vor zweihundert Jahren geborene Autor beschreibt die Zerissenheit seines Titelhelden zwischen seiner Frau und der Geliebten. Dabei sind die Charaktere hochkomplex und die Sprache virtuos.
Vor zweihundert Jahren, am 2. November 1808, wurde Jules Barbey d’Aurevilly im Cotentin geboren, jenem nördlichen Zipfel der Normandie, der in den Kanal hineinragt und an dessen Spitze Cherbourg liegt. Zwar zog der Autor als junger Mann nach Paris, um dort mit der Feder sein Glück zu machen, und kehrte nach einem Zerwürfnis mit der Familie zwanzig Jahre lang nicht in die Heimat zurück.
Dennoch sind viele seiner Werke im Norden Frankreichs situiert, so auch die zweite Hälfte seines Romans „Die alte Mätresse“, der eben im Cotentin spielt, genauer in und um Carteret, in dem Schloss, in dem Barbey mehrere Sommer seiner Kindheit am Meer bei Verwandten verbrachte.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Die engelsschöne Hermangarde de Polastron, eine der reichsten Erbinnen des Landes, heiratet den faszinierenden Schwerenöter Ryno de Marigny, der ihretwegen nach zehn Jahren die Liaison mit Vellini, der temperamentvollen Tochter einer spanischen Herzogin und eines Torreros, beendet. Mit Hermangardes Großmutter verbringen sie die verlängerten Flitterwochen in deren Schloss in Carteret, wo die alte Dame das junge Paar vor Beginn des Winters allein lässt.
Die Idylle wird allerdings jäh gestört durch Vellini, die sich nicht mit dem Verlust des Geliebten abfinden will, sich in einer Fischerkate in der Nähe einnistet und brieflich Kontakt zu Ryno aufnimmt. Es kommt, wie es kommen muss, und Hermangarde sieht, von einem Verdacht in die kalte Winternacht hinausgetrieben, was sie nicht sehen sollte, verliert ihr Kind und jegliches Vertrauen in den Gatten.
Es ist typisch für Barbey d’Aurevillys Schreibweise, dass alle Charaktere absolute Ausnahmeerscheinungen sind, was nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit, wohl aber zum Reiz des Textes beiträgt, zumal der Autor ein Meister des literarischen Porträts ist. Allerdings sind diese Figuren bei aller Exzentrik weit davon entfernt, eindimensional zu sein: So ist Hermangarde einerseits ein reiner Engel, ohne indes die mindeste Nachsicht ihrem zerknirschten Gatten gegenüber aufzubringen, woran ihre Ehe letztlich zerbricht.
Vellini ist ebenso exaltiert wie egoistisch, nimmt jedoch sämtliche Entbehrungen in Kauf, nur um Ryno nahe zu sein, und er wiederum liebt seine Frau aufrichtig, ohne deshalb der Versuchung widerstehen zu können.
Diese spannungsreiche Konstellation sowie die sprachliche Virtuosität Barbeys, dessen mitunter hochkomplexe Sätze Proust inspirierten und von Caroline Vollmann perfekt ins Deutsche übertragen wurden, müssten dem Roman einen Platz unter den Meisterwerken des französischen 19. Jahrhunderts gesichert haben, doch steht Barbey zwischen den dominanten Tendenzen seiner Zeit.
So wie seine Romane und Erzählungen in deutlichem Gegensatz zum Realismus Flauberts oder zum Naturalismus Zolas stehen, so polemisierte er als Kritiker vehement gegen deren Werke, was sicher dazu beigetragen hat, dass die Literaturgeschichtsschreibung ihn lange auf einen Vorläufer der Décadence-Literatur zu reduzieren versucht hat.
Die französischen Leser wissen es schon seit langem besser, und dank der Initiative des Verlags Matthes & Seitz, wo bereits drei Bände mit Essays von Barbey erschienen sind, kann nun auch das hiesige Publikum ihn kennen und schätzen lernen.
Rezensiert von Carolin Fischer
Jules Barbey d’Aurevilly: Die alte Mätresse
Deutsch von Caroline Vollmann
Matthes & Seitz 2008, Berlin
510 Seiten, 29,80 Euro
Dennoch sind viele seiner Werke im Norden Frankreichs situiert, so auch die zweite Hälfte seines Romans „Die alte Mätresse“, der eben im Cotentin spielt, genauer in und um Carteret, in dem Schloss, in dem Barbey mehrere Sommer seiner Kindheit am Meer bei Verwandten verbrachte.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Die engelsschöne Hermangarde de Polastron, eine der reichsten Erbinnen des Landes, heiratet den faszinierenden Schwerenöter Ryno de Marigny, der ihretwegen nach zehn Jahren die Liaison mit Vellini, der temperamentvollen Tochter einer spanischen Herzogin und eines Torreros, beendet. Mit Hermangardes Großmutter verbringen sie die verlängerten Flitterwochen in deren Schloss in Carteret, wo die alte Dame das junge Paar vor Beginn des Winters allein lässt.
Die Idylle wird allerdings jäh gestört durch Vellini, die sich nicht mit dem Verlust des Geliebten abfinden will, sich in einer Fischerkate in der Nähe einnistet und brieflich Kontakt zu Ryno aufnimmt. Es kommt, wie es kommen muss, und Hermangarde sieht, von einem Verdacht in die kalte Winternacht hinausgetrieben, was sie nicht sehen sollte, verliert ihr Kind und jegliches Vertrauen in den Gatten.
Es ist typisch für Barbey d’Aurevillys Schreibweise, dass alle Charaktere absolute Ausnahmeerscheinungen sind, was nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit, wohl aber zum Reiz des Textes beiträgt, zumal der Autor ein Meister des literarischen Porträts ist. Allerdings sind diese Figuren bei aller Exzentrik weit davon entfernt, eindimensional zu sein: So ist Hermangarde einerseits ein reiner Engel, ohne indes die mindeste Nachsicht ihrem zerknirschten Gatten gegenüber aufzubringen, woran ihre Ehe letztlich zerbricht.
Vellini ist ebenso exaltiert wie egoistisch, nimmt jedoch sämtliche Entbehrungen in Kauf, nur um Ryno nahe zu sein, und er wiederum liebt seine Frau aufrichtig, ohne deshalb der Versuchung widerstehen zu können.
Diese spannungsreiche Konstellation sowie die sprachliche Virtuosität Barbeys, dessen mitunter hochkomplexe Sätze Proust inspirierten und von Caroline Vollmann perfekt ins Deutsche übertragen wurden, müssten dem Roman einen Platz unter den Meisterwerken des französischen 19. Jahrhunderts gesichert haben, doch steht Barbey zwischen den dominanten Tendenzen seiner Zeit.
So wie seine Romane und Erzählungen in deutlichem Gegensatz zum Realismus Flauberts oder zum Naturalismus Zolas stehen, so polemisierte er als Kritiker vehement gegen deren Werke, was sicher dazu beigetragen hat, dass die Literaturgeschichtsschreibung ihn lange auf einen Vorläufer der Décadence-Literatur zu reduzieren versucht hat.
Die französischen Leser wissen es schon seit langem besser, und dank der Initiative des Verlags Matthes & Seitz, wo bereits drei Bände mit Essays von Barbey erschienen sind, kann nun auch das hiesige Publikum ihn kennen und schätzen lernen.
Rezensiert von Carolin Fischer
Jules Barbey d’Aurevilly: Die alte Mätresse
Deutsch von Caroline Vollmann
Matthes & Seitz 2008, Berlin
510 Seiten, 29,80 Euro