Spannungsbogen zwischen Tradition und Moderne

Von Volkhard App |
Mit dem Ende der Militärdiktatur 1992 brach für die Kunst in Korea ein neues Zeitalter an. Wie sich der Wandel hin zu einer demokratischen Zivilgesellschaft auf die zeitgenössische Kunst, auf Fotografie und Design auswirkte, dokumentiert die Kestnergesellschaft in der Ausstellung "made in korea".
Die große Kunstausstellung "Made in Korea" ist eine offizielle, aufwendige Präsentation der "Republik Korea" - als Partnerland der diesjährigen Hannovermesse will sie sich in Hannover auch mit einem umfangreichen Kulturprogramm darstellen. Schauplatz ist ein stillgelegtes Kaufhaus in der Innenstadt.

Flugzeuge donnern über eine trostlose Landschaft mit eingefallenen Hütten und hässlichen Pfützen - und damit die schnelle Folge der Maschinen deutlich wird, hat der Fotograf Honggoo Kang gleich vier davon in den Himmel montiert. Ein kritischer Zivilisationskommentar:

"Meine Landschaften sind in unmittelbarer Nähe von Flughäfen angesiedelt. Die Menschen, die hier leben, leiden unter einem ungeheuren Lärm, der alles zerstört. Die Betrachter meiner Fotos sprechen mich in Ausstellungen darauf an, zeigen sich überrascht, staunen über diese Landschaften, die von Flugzeugen derart beherrscht werden."

Unterschiedliche Welten stoßen in der großen Fotoabteilung der Schau "made in korea” aufeinander: das urbane Hier und Jetzt mit Hochhäusern, aufgeputzten Imbissläden und überbordender Neonreklame, aber auch das verwunschene Reich der Mythen mit geradezu märchenhaften Wäldern. Magie und Realität, Tradition und Moderne, Gegenwart und Geschichte: Menschen posieren vor Heldendenkmälern und setzen sich so in Bezug zur koreanischen Vergangenheit. Dagegen wirken die Ladeninterieurs, die Jeongmee Yoon aufgenommen hat, recht beschaulich: selbstbewusste Geschäftsleute sind umgeben von überfüllten Regalen mit Zeichenutensilien, Antiquitäten oder Werkzeug.

"Ich habe Menschen in Geschäften fotografiert, Verkäufer und Ladenbesitzer in einer traditionsreichen Straße von Seoul. Sie arrangieren ihre Ware, damit sie verkauft werden kann. Ich habe also beobachtet, wie Menschen im Alltag ihre Geschäftswelt, ihren Besitz organisieren - und sehe darin ein Bild unseres Gesellschaftssystems, wie die Dinge klassifiziert und präsentiert werden."

Typisch ist dieser Bilderzyklus durchaus. Veit Görner, Direktor der hannoverschen Kestnergesellschaft, die den Koreanern organisatorisch zur Seite steht, sieht in der Hinwendung zum Alltag eine besondere Stärke der koreanischen Fotografie :

"Wenig mythologischer Überbau, wenig digitale Verfremdungen – wie wir sie bei Gursky zum Beispiel erlebt haben, sondern alltagsorientiert. Blick wie im Fokus auf Szenarien, die alle berühren und deshalb der Bevölkerung, den koreanischen Menschen in erster Linie verständlich sind."

Eine künstlerische Entwicklung der Koreaner, die bei aller heimischen Anbindung in der technischen Modernität weltweit von Reiz ist:

"Hochinternational in Bildauffassung und Darbietung - mit allen Formen, die wir auch im Westen kennen, ob es gerahmte Arbeiten sind oder solche, die direkt auf die Wand appliziert werden. Alle uns bekannten Produktions- und Präsentationsformen finden dort genauso Anwendung."

Die Fotopräsentation ist der stärkste Teil des umfangreichen Gesamtprojekts. Im Unter- und im Erdgeschoss des Kaufhauses bestimmen dagegen andere Formen der zeitgenössischen Moderne das Bild - Installationen mit Objéts trouvés wie einem alten Mercedes gleich am Eingang, aber auch mit allerlei Projektionen: Filmkünstler gehen Spuren nach, die eine US-Militärbasis hinterlassen hat, sie beschwören aber auch Fantasiewelten.

Die bei "made in korea” vertretenen Künstlerinnen und Künstler repräsentieren eine junge Generation, ihre Interessen und stilistischen Vorlieben sind vielfältiger Natur. Kurator Manu Park über ihr Engagement:

"Sie sind noch immer daran interessiert, die Gesellschaft zu kritisieren – aber anders, als es die Künstler früher taten. Die hier vorgestellten haben ihre Laufbahn in den neunziger Jahren begonnen, als nach der Militärdiktatur unsere Gesellschaft demokratisiert wurde und einen zivilen Charakter annahm. Die Kritik, die die Künstler heute äußern, ist nicht mehr so fundamental und militant - sie sind mit Themen der Globalisierung, des Feminismus und der Kultur nach Ende des Kalten Kriegs befasst."

Ein ausgesprochener Blickfang ist die Videoarbeit von Hyerim Lee - in verführerisch schimmernde Flakons montiert sie Frauenkörper und andere dekorative Motive: Ein Auge öffnet sich da wie eine Auster. Aber auch hier stellt sich die Frage nach dem kritischen Potenzial - ein ironischer Seitenhieb gegen die Waren- und Medienwelt oder doch eher ein selbstvergessenes Spiel mit deren Bestandteilen?

"Beides. Meine Werke beschäftigen sich mit der Bildwelt der Massenmedien und mit der Modeindustrie - auch Computerspiele bilden das Reservoir, aus dem ich für meine Kunst schöpfe. Bildwelten also, die die Menschen faszinieren und Wünsche hervorrufen."

Oben, in der zweiten Etage, wird die Ambivalenz mit Designobjekten noch auf die Spitze getrieben: kubische Gebilde, die mit Lichtern gespickt sind, Glühbirnen, die an langen, spaghettiähnlichen Leitungen angebracht wurden und Möbel mit einem Hauch von Spiritualität. Objekte sind es im Spannungsfeld zwischen traditioneller angewandter und moderner Bildender Kunst mit all ihrem Eigensinn.

Wer hier angelangt ist, hat allerdings die Höhepunkte der Ausstellung bereits hinter sich und sich auf dem Weg "nach oben” vielleicht statt des Heftes einen richtigen Katalog mit ausreichenden Fotos und gut lesbaren deutschen Texten gewünscht.

Eine Chance, zeitgenössische koreanische Kunst kennenzulernen, ist diese Schau allemal. Ihr bietet das stillgelegte Kaufhaus für Bekleidung fast schon zuviel Raum und spielt zwischendurch immer mal seine eigene Rolle, denn etliche Umkleidekabinen haben das ökonomische Desaster überdauert, hier und da hängt noch ein Preisschild - "Hose kürzen 9 Euro” - und an der Decke sind noch ein paar Markenlogos von Modefirmen befestigt und wirken in ihrer Sinnlosigkeit wie eine bizarre Installation - aber das ist eben keine von den koreanischen Gästen.

Service:
"made in korea"
Kestnergesellschaft Hannover
17. april bis 31. mai 2009