Spannendes über den Tränenpalast

28.08.2013
Der Berliner Bahnhof Friedrichstraße erinnert heute noch an die innerdeutsche Teilung. Philipp Springer erzählt die wechselvolle Geschichte des Gebäudes und seines Umfelds mit vielen bisher unveröffentlichten Bildern. Ein spannendes Buch für diejenigen, die Berlin gut kennen und den Bahnhof oft nutzen.
Fast jeder Berlin-Besucher kennt ihn, doch das heimliche Gruseln ebbt ab, je mehr die Mauer in Vergessenheit gerät. Der Bahnhof Friedrichstraße und die geteilte Stadt: Das waren zwei Synonyme, die über Jahrzehnte zusammen gehörten. Doch dieser Bahnhof war, wie der Autor es in seinem Text erwähnt, nie als Grenzstation konzipiert gewesen.

Er erzählt vom Pomp, als der Bahnhof vom Kaiser - wenngleich auch nur für vier Minuten - feierlich eröffnet wurde. Der Bahnhof Friedrichstraße lag im Herzen der Stadt, war bald einer der wichtigsten Bahnhöfe Berlins. Die U-Bahn kam hinzu, schwierige Bauwerke waren notwendig.

Der Bahnhof als neue Grenzstelle
Dann folgte die Nord-Süd-Verbindung der S-Bahn, lange hinausgeschoben, in der NS-Zeit durch Zwangsarbeiter verwirklicht. Der Krieg zerstörte die Stadt, auch die Friedrichstraße und ihr Umfeld. Der Bahnhof erlangte erneut Bedeutung: Als Grenzstelle. Erst nutzten ihn neben weiterhin vielen Reisenden zwischen den Stadtteilen Schieber und Agenten, schließlich immer mehr Menschen zur Flucht.

Die S-Bahn wurde von der - ostdeutschen - Reichsbahn betrieben, noch war es möglich, auf dem kurzen Schienenweg die Reise in den Westen anzutreten. Doch mit dem Bau der Mauer 1961 wurde die alte Ost-West-Gleisverbindung unterbrochen, Friedrichstraße wurde Endstation für die Reisenden aus West-Berlin.

Alsbald wurde ein eigenes Grenzabfertigungsgebäude geschaffen, der Tränenpalast, heute mehr Kult-Ikone als Erinnerung an eine böse Zeit. Der ehemals zentrale innerstädtische Bahnhof war Grenzbahnhof zwischen zwei Staaten und Systemen mit einem immer ausgefeilteren Kontrollsystem, denn die Staatsmacht hatte die schwierige Aufgabe, an diesem unübersichtlichen Ort zu verhindern, dass DDR-Bürger in den Westen entkamen.

Für Westberliner war Friedrichstraße die meist genutzte Übergangsstelle für die Besuche in Ost-Berlin, die ohne spezielles Einreisevisum nur Tagesbesuche sein durften. Friedrichstraße wurde daher auch zum Ort des Abschiednehmens für unbestimmte Zeit, mitunter für immer - ein Ort, an dem viele Tränen flossen. So wurde Friedrichstraße zum Sinnbild für menschliche Tragödien, wie sie Philipp Springer in seinem Buch erzählt, nicht zuletzt zum Ort von Fluchtversuchen, wie sie nur Berlin kennt.

Zahlreiche vorher unbekannte Schwarz-Weiß-Fotos
Springer stellt das alles chronologisch dar und bezieht auch das Umfeld ein. Man erfährt, dass gegenüber das ursprüngliche Berliner Varieté Wintergarten gestanden hat, dass auch der Friedrichstadtpalast anfangs unmittelbarer Nachbar jenseits der Spree war. Man erfährt, warum der U-Bahn-Ausgang Richtung Weidendammbrücke so bescheiden ausfallen musste und was bestimmte Konstruktionen während der DDR-Zeit in diesem absichtlich immer unübersichtlicher gewordenen Bau zu bedeuten hatten.

Der Text in diesem Buch im ungewohnten fast quadratischen Format wird unterstützt durch zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos, die bisher wohl unbekannt waren. Nicht viele Gebäude in Berlin haben einen solchen Wandel in nur hundert Jahren mitgemacht wie der Bahnhof Friedrichstraße.

Dabei mögen dem Autor Archiv und Sammelbestände der Stasi-Unterlagenbehörde geholfen haben, für die er tätig ist. Das Textstudium erschließt viele Bilder, diese machen die Ausführungen des Autors plastisch. Insofern ist dieses Buch kein Sachtext für Fachleute, sondern ein spannendes Lesebuch für jene, die Berlin kennen und oft den Bahnhof Friedrichstraße benutzen.

Besprochen von Stephan May

Philipp Springer: "Bahnhof der Tränen - Die Grenzübergangsstelle Berlin-Friedrichstraße"
Ch.Links Verlag, Berlin 2013
224 Seiten, 19,90 Euro
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