Spannend wie ein Tatort

Thomas Wagner im Gespräch mit Joachim Scholl · 28.06.2010
Es ist für junge Wissenschafter eine einmalige Chance: Direkt mit Nobelpreisträgern über Forschungsthemen, Karrierechancen aber auch Persönliches zu sprechen. Auf dem Nobelpreisträgertreffen in Lindau kommen Spitzenforscher und junge Wissenschaftler aus über 70 Ländern zusammen.
Joachim Scholl: Seit 1951 versammeln sich in Lindau am Bodensee Weltstars der Wissenschaft. Nobelpreisträger aus aller Welt reisen an, und in diesem Jahr, zum 60-jährigen Jubiläum, sind es so viele wie nie zuvor - über 60 nämlich schönerweise.

Gestern begann das Treffen, es geht die ganze Woche, in deren Verlauf auch 650 Nachwuchsforscher aus 70 Ländern mit den Berühmtheiten in Dialog und Diskussion treten. Ich bin jetzt verbunden mit dem Kollegen Thomas Wagner in Lindau, der für uns die Veranstaltungen beobachtet. Ich grüße Sie, Herr Wagner!

Thomas Wagner: Hallo nach Berlin!

Scholl: Wer kommt denn da eigentlich alles - also Forscher aus allen Disziplinen?

Wagner: Forscher aus drei Disziplinen, nämlich Physik, Chemie und dann auch die Medizin sind hier vertreten. So viel Nobelpreisträger wie diesmal - Sie haben gesagt 60 - gab es noch nie, denn normalerweise werden diese Disziplinen sozusagen hintereinander hier zur Tagung gebracht, aber diesmal zum Jubiläum sind es eben alle zusammen dabei. Und mittlerweile sind es 680 Nachwuchswissenschaftler, Studierende, Postdocs [Post-Doktoranden, Anmerkung der Redaktion] aus aller Welt, aus 68 Nationen ganz genau gesagt.

Und ich stehe hier gerade in der Inselhalle im Foyer. Und es ist eigentlich sehr schön zu beobachten, was sich hier tut in den Kaffeepausen, es ist nämlich wirklich ein angeregter Dialog, schöne Dialoge, die da zusammenkommen. Ich habe gerade erlebt, wie Studierende mit mehreren Nobelpreisträgern zusammenkamen und die Nobelpreisträger wirklich auch eine Riesenfreude hatten, sozusagen dem wissenschaftlichen Nachwuchs da was zu sagen, wie man neue Zellen kreiert und so weiter.

Und es ist tatsächlich natürlich auch die einmalige Chance für diejenigen, die hierher nach Lindau gekommen sind, hier wissenschaftlich was mitzukriegen aus erster Hand. Eine der über 600 Nachwuchswissenschaftler ist Adriana Gagyi-Palffy aus Bukarest, Rumänien, und sie hat mir mal ein bisschen erzählt, warum sie das Ganze so spannend empfindet, wie ein Krimi.

Adriana Gagyi-Palffy: "Diese Interdisziplinarität finde ich diesmal absolut spannend, sagen wir mal, was von den Ribosomen zu hören, das wird mir nie sonst passieren, wissen Sie, also das ist eigentlich das Tollste, finde ich, wie man halt zum Beispiel eine uralte Zelle vielleicht selbst machen kann und sehe, wie Leben entstanden ist, das fand ich super spannend. Das ist halt für mich sehr interessant."

Wagner: Na, also die Nachwuchswissenschaftler, die freuen sich wirklich wie unsereins auf den nächsten "Tatort" auf diese Tagung, und das, was sie da zu hören bekommen, aber das Wissenschaftliche ist das eine, der Kontakt mit den Nobelpreisträgern, das persönliche Gespräch das andere. Und was da genauso spannend ist, das habe ich mir von Adriana Gagyi-Palffy und von Tavel Gyl aus Ägypten erklären lassen.

Adriana Gagyi-Palffy: "Also mich interessiert zum Beispiel als Frau, von der Frau Yonath zu wissen, wie sie halt Beruf und Familie vereinbart hat, oder mich interessiert auch, wie sie überhaupt zu dieser, also wie die Nobelpreisträger halt zu diesem Forschungsthema gekommen sind. War es Zufall, ist es einfach so entstanden, hat man gewusst, dass es ein ganz heißes Thema ist, also so Karriereentwicklung auch. Und mich interessiert es auch halt, die Jüngeren zu treffen, halt die Leute wie ich - und ein bisschen zu netzwerken."

Tavel Gyl: "Es ist eine sehr interessante Mischung, es ist auf der einen Seite ein Nobelpreisträger, die sehr viel erlebt haben und von ihrer Erfahrung und dem wissenschaftlichen Erfolg erzählen. Es ist für mich sehr interessant, wie sie diesen Weg gefunden haben, um was zu erreichen, was die Menschen, die Menschheit beeinflusst, was sehr viel bewirkt. Ich weiß, als Kind haben meine Eltern mich dazugeholt, wenn ein Nobelpreisträger im Fernseher was gesprochen hat oder geredet hat, damit ich davon lerne, wie sie erzählen, wie sie Dinge sehen, also die Perspektive, was es für Persönlichkeiten sind. Und das ist für mich sehr interessant."

Wagner: So manch einer der jungen Nachwuchswissenschaftler wird sich also die Frage stellen, wie wird man möglicherweise auch Nobelpreisträger, welche Bedingungen brauche ich, was muss ich tun - und da sind natürlich solche persönlichen Begegnungen sehr, sehr wichtig.

Zum anderen geht es auch darum, Karrierenetzwerke auszubauen. Diejenigen, die hier dabei sind, das nachweisen können, vor allem im Ausland, die haben natürlich bei zukünftigen Bewerbungen an wissenschaftlichen Einrichtungen einen Bonus. Und zum anderen trifft man sich natürlich hier auch nicht nur mit den Nobelpreisträgern, sondern auch mit deren wissenschaftlichen Mitarbeitern, mit anderen Wissenschaftlern aus aller Welt, tauscht Visitenkarten aus - Networking heißt das auch in der Sprache der Wissenschaftler. Und das ist eigentlich für die Anwesenden, egal, aus welcher Ebene sie jetzt kommen, Studierende oder auch Wissenschaftler, doch eigentlich sehr, sehr wichtig.

Und natürlich wird auch über Studienbedingungen, Forschungsbedingungen in den verschiedenen Ländern gesprochen. Und hier muss Europa aufpassen, sagt Klaus von Klitzing, deutscher Physik-Nobelpreisträger, dass es im weltweiten Wettbewerb nicht abgehängt wird.

Klaus von Klitzing: "Natürlich, wenn man sieht, was im Ausland gemacht wird, um exzellente Leute zusammenzubringen, wenn wir nach Korea gucken, nach China, nach Singapur, da wird um die Köpfe gerungen. Und ich glaube, gute Leute haben heute Möglichkeiten, die werden fast wie Fußballer transferiert, vom einen Land zum anderen. Und wir müssen uns in Europa anstrengen, dass wir international mithalten können."

Wagner: Tja, und möglicherweise wird die ein oder andere Transferverhandlung zwischen den Nachwuchswissenschaftlern und den ganz großen Labors und Forschungsstätten ja genau hier zu dieser Stunde in Lindau geführt.

Scholl: Wolfgang Wagner war das. Ich danke Ihnen sehr, haben Sie noch einen schönen Tag in Lindau! Gestern wurde, glaube ich, gegrillt auf einer Wiese am Bodensee, wo auch die Lindauer Bürger dann dabei waren - Grillen und Chillen, wahrscheinlich hat man auch Fußball geguckt.

Das Jahrestreffen der Nobelpreisträger in Lindau, heuer zum 60. Mal. Das war Thomas Wagner, herzlichen Dank für diese Eindrücke!

Der Deutschlandfunk berichtet vom 60. Nobelpreisträgertreffen in Lindau
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