Spagat zwischen zwei Welten

31.10.2008
Erich Wolfgang Korngold war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Sensation im musikalischen Wien. Später machte Korngold mit ganz anderer Musik von sich reden - als Filmkomponist in Hollywood. Guy Wagner widmet dem lange vergessenen Komponisten nun eine Biografie.
"Between two worlds" - Filmmusik von Erich Wolfgang Korngold aus dem Jahr 1944. Die Komposition zum gleichnamigen Hollywood-Film "Zwischen zwei Welten" bringt auch die Tragik in Korngolds eigener Biografie auf den Punkt, der selbst einen solchen Spagat zwischen zwei Welten erlebte.

Die eine davon war Wien, waren Kammermusik, Opern und Operetten-Bearbeitungen. Die andere Welt war Hollywood und dessen Filmmusik, von der der Komponist ab 1938 lebte. Hier wie dort war Korngold sehr erfolgreich, nicht zuletzt auch, weil er die Filmmusik nicht anders behandelte als seine klassischen Werke. Wie ein Zitat aus Guy Wagners Korngold-Biografie eindrücklich dokumentiert:

"Ich bin oft gefragt worden, ob ich beim Komponieren von Filmmusik den Geschmack und das momentane Musikverständnis des Publikums bedenke. Ich kann diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Nie habe ich einen Unterschied zwischen meiner Filmmusik, den Opern und den konzertanten Werken gemacht. Genau wie für die Oper will ich für den Film dramatische, melodische Musik schaffen, die symphonische Entwicklung und Themenreichtum besitzt."

Allen Unterschieden zum Trotz galt für Korngold: "Musik ist Musik" - Genau so heißt die Biografie des Luxemburger Autors Guy Wagner, der bereits über Schubert und Mozart geschrieben und zuletzt eine große Arbeit über Mikis Theodorakis verfasst hat.

Für sein jüngstes Werk, das seit 1922 die erste deutschsprachige Biografie über Erich Wolfgang Korngold darstellt, recherchierte er vier Jahre in den USA und Europa. Mit größter Akribie beschreibt er auf über 500 Seiten - mit zahlreichen Fußnoten und einem umfangreichen Anhang - chronologisch, fast penibel genau die Stationen in Korngolds Leben: vom Anfang seiner Karriere, als gefeiertes Wunderkind, das bald schwelgerisch und melodieselig, geprägt von Puccini und Wagner, komponiert.

Bis hin zum Ende: dem einsamen Tod Korngolds in Hollywood 1957 - nach dem Scheitern einer Rückkehr in sein früheres Wiener Leben. "Der Zurückgestossene" und "Der Vereinsamte" nannte Guy Wagner diese besonders einfühlsamen und bewegenden Kapitel seines Buchs.

Viele Dutzend Kompositionen sind in den 60 Jahren dieses Lebens entstanden, und Guy Wagner listet sie alle auf: vom kleinsten Lied über die Opern und Operettenbearbeitungen bis hin zu jedem einzelnen der 22 Filme, die Korngold vertont hat. Beispielhaft für den manchmal etwas überbordenden Materialreichtum ist eins von insgesamt 18 Kapiteln des Buchs über die relativ kurze Phase Korngolds als Komponist und Dirigent in Hamburg.

Die Stadt hatte es mit Korngold einige Jahre besonders gut gemeint, was Guy Wagner mit dem Kapitel "Der Hamburger" auch atmosphärisch stark durch Zeitungsnotizen und Porträts von Korngolds zahlreichen Bekanntschaften dokumentiert. Hier erlebte Korngold den Sensationserfolg mit der Uraufführung seiner Oper "Die tote Stadt" im Jahr 1920.

Die Arie "Glück, das mir verblieb" aus der Oper "Die Tote Stadt"– Das Libretto zu Korngolds größtem Erfolg schrieb er zusammen mit seinem Vater - unter einem gemeinsamen Pseudonym. Denn Julius Korngolds Name als berühmt-berüchtigter Musikkritiker in Wien schadete dem Sohn eher, als dass er ihm half - was den Vater nicht daran hinderte, Erich Wolfgang bis an sein Lebensende zu bevormunden. 1935 schrieb er seinem Sohn voller Selbstüberschätzung:

"Ich kann keinem Vater das Recht geben, sich mit mir zu vergleichen, so wie auch kein Vater – wirklich seit dem alten Mozart – einen solchen Sohn gehabt hat und so in ihm aufgehen konnte."

Die unglückselige Rolle des Vaters zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografie. Er ist die Schlüsselfigur im Leben von Erich Wolfgang Korngold- deshalb beschreibt Guy Wagner auch ausführlich den Lebensweg dieses Julius Korngold, seinen sozialen Aufstieg vom Sohn eines Getränkehändlers in Brünn zum Großkritiker in Wien.

Auch wenn der Biograf sich mit persönlichen Urteilen und Einschätzungen zurückhält, stattdessen Fakten, Briefe und Zeitdokumente sprechen lässt, erhält man doch dank seiner genauen Darstellung neben Korngolds Lebenschronik auch eine Art psychologische Studie über den Komponisten. Dazu gehört auch ein kurzes Zitat – es ist ein ungewöhnliches Bekenntnis von Erich Wolfgang Korngold:

"Ich wollte ja gar nicht komponieren, ich habe es nur für den Vater getan."

Rezensiert von Olga Hochweis

Guy Wagner: "Korngold - Musik ist Musik"
Matthes&Seitz, Berlin 2008, 535 Seiten für 39,90 Euro