Spätfolgen der Nazi-Zeit
Der Psychotherapeut Jürgen Müller-Hohagen behandelt in seinem Buch "Verleugnet, verdrängt, verschwiegen" die seelischen Nachwirkungen der NS-Zeit. Oft finden sich auch noch tiefe Spuren in der zweiten und dritten Generation. So können Auffälligkeiten bei Kindern im Kindergarten mit der nicht aufgearbeiteten NS-Vergangenheit des Großvaters zu tun haben.
Das Konzentrationslager Dachau, 1933 in der Stadt am Rande von München errichtet, wurde zu einem der Synonyme für das Grauen der Nazi-Herrschaft. Anfang der 80er Jahre zog der Psychologe Jürgen Müller-Hohagen in den Ort und begann sich dort intensiver mit der NS-Zeit zu beschäftigen. Er wurde sensibler, bekennt er, für das, was noch nicht aufgearbeitet ist, in den Köpfen der Menschen, der Opfer und Täter - und ihrer Nachfahren. Seelische Nachwirkungen gebe es bei beiden Gruppen, Opfern wie Tätern.
"Oft wird behauptet, das Schweigen sei gleich gewesen, in den Familien von Verfolgten ebenso wie in denen der ehemaligen Nazis. Das ist grundfalsch (…) Bei den einen ist es Schweigen angesichts des Unsagbaren, bei den anderen ist es ein Verschweigen dessen, was sie getan, befürwortet, zugelassen oder auch ohne Einflussmöglichkeiten und doch dem Kollektiv der Verfolger zughörig geduldet haben."
Seine These lautet nun, zugespitzt: Die Nazis sind in uns, auch noch nach Generationen. Jungen und Mädchen, die heute im Kindergarten Verhaltensauffälligkeiten zeigen, haben diese möglicherweise als indirekte Folge einer Verstrickung der Großeltern in NS-Unrecht. Oder als Folge von Folter, Flucht, Vertreibung, Bombenkrieg.
In seiner therapeutischen Arbeit sei er immer wieder auf Spuren aus der Vergangenheit gestoßen, ohne dass er gezielt danach gesucht habe, schreibt Müller-Hohagen und schildert Beispiele aus der Praxis, die nach ähnlichem Muster verlaufen: Er kommt bei Problemkindern lange nicht recht voran, bis sich im Familienschicksal der Schlüssel für heutige Auffälligkeiten findet. Der Großvater, der im Widerstand war, der KZ-Überlebende oder der überzeugte Nationalsozialist.
"Beginnen die Schleier sich zu lüften, zeigen sich in besonderer Weise Störungen im Dialog, zwischen den Nachgeborenen und ihren Eltern und Großeltern wie auch zu den eigenen Kindern, im Dialog zwischen Partnern, im Dialog und in der Kommunikation mit der Umgebung und in der Gesellschaft allgemein."
Wenn Mütter und Väter sich dieser seelischen Nachwirkungen der Vergangenheit bewusst werden, können sie auch klarer erkennen, was sie an ihre Kinder weitergeben, ohne es zu wollen. Müller-Hohagens Buch ist ein Appell, die psychologischen Folgen und Spätfolgen der NS-Zeit nicht zu unterschätzen. Soweit, so nachvollziehbar.
An einigen Stellen möchte man das Buch dann aber doch zur Seite legen, denn es enthält Thesen, die doch Stirnrunzeln hervorrufen können. Zum Beispiel entdeckt er eine Häufung von Fällen sexuellen Missbrauches…
"…der von Männern begangen war, die im Nazi-Reich eindeutige Täter waren oder hoch identifiziert."
Müller-Hohagen kann diese These dann allerdings nicht wirklich schlüssig belegen, sondern spricht von "Grauzonen". Ein anderes Beispiel: Über den Umgang mit dem Rechtsextremismus heute schreibt er:
"Es ist möglich, dass bei bestimmten Leuten, die allzu schnell mit dem Finger auf Rechtsradikale zeigen, sogar mehr davon in den seelischen Untergründen verborgen liegt."
Da ist dann doch der Psychologe mit ihm durchgegangen, der das, was er sucht, auf einmal überall findet.
"Ich musste oft an die Unterscheidung von Schwarzer und Weißer Magie denken und daran, dass verschiedene Nazi-Führer sich okkulter Mittel bedient haben sollen."
Das Buch umfasst mehr als 300 Seiten, ohne dass immer erkennbar wird, ob all das für Müller-Hohagens Kernthese wirklich notwendig ist: Sensibel zu sein dafür, dass Erfahrungen früherer Generationen bis heute - unbewusst - nachwirken können.
Jürgen Müller-Hohagen: "Verleugnet, verdrängt, verschwiegen. Seelische Nachwirkungen der NS-Zeit und Wege zu ihrer Überwindung". Kösel-Verlag 2005, 328 Seiten, € 19,95
"Oft wird behauptet, das Schweigen sei gleich gewesen, in den Familien von Verfolgten ebenso wie in denen der ehemaligen Nazis. Das ist grundfalsch (…) Bei den einen ist es Schweigen angesichts des Unsagbaren, bei den anderen ist es ein Verschweigen dessen, was sie getan, befürwortet, zugelassen oder auch ohne Einflussmöglichkeiten und doch dem Kollektiv der Verfolger zughörig geduldet haben."
Seine These lautet nun, zugespitzt: Die Nazis sind in uns, auch noch nach Generationen. Jungen und Mädchen, die heute im Kindergarten Verhaltensauffälligkeiten zeigen, haben diese möglicherweise als indirekte Folge einer Verstrickung der Großeltern in NS-Unrecht. Oder als Folge von Folter, Flucht, Vertreibung, Bombenkrieg.
In seiner therapeutischen Arbeit sei er immer wieder auf Spuren aus der Vergangenheit gestoßen, ohne dass er gezielt danach gesucht habe, schreibt Müller-Hohagen und schildert Beispiele aus der Praxis, die nach ähnlichem Muster verlaufen: Er kommt bei Problemkindern lange nicht recht voran, bis sich im Familienschicksal der Schlüssel für heutige Auffälligkeiten findet. Der Großvater, der im Widerstand war, der KZ-Überlebende oder der überzeugte Nationalsozialist.
"Beginnen die Schleier sich zu lüften, zeigen sich in besonderer Weise Störungen im Dialog, zwischen den Nachgeborenen und ihren Eltern und Großeltern wie auch zu den eigenen Kindern, im Dialog zwischen Partnern, im Dialog und in der Kommunikation mit der Umgebung und in der Gesellschaft allgemein."
Wenn Mütter und Väter sich dieser seelischen Nachwirkungen der Vergangenheit bewusst werden, können sie auch klarer erkennen, was sie an ihre Kinder weitergeben, ohne es zu wollen. Müller-Hohagens Buch ist ein Appell, die psychologischen Folgen und Spätfolgen der NS-Zeit nicht zu unterschätzen. Soweit, so nachvollziehbar.
An einigen Stellen möchte man das Buch dann aber doch zur Seite legen, denn es enthält Thesen, die doch Stirnrunzeln hervorrufen können. Zum Beispiel entdeckt er eine Häufung von Fällen sexuellen Missbrauches…
"…der von Männern begangen war, die im Nazi-Reich eindeutige Täter waren oder hoch identifiziert."
Müller-Hohagen kann diese These dann allerdings nicht wirklich schlüssig belegen, sondern spricht von "Grauzonen". Ein anderes Beispiel: Über den Umgang mit dem Rechtsextremismus heute schreibt er:
"Es ist möglich, dass bei bestimmten Leuten, die allzu schnell mit dem Finger auf Rechtsradikale zeigen, sogar mehr davon in den seelischen Untergründen verborgen liegt."
Da ist dann doch der Psychologe mit ihm durchgegangen, der das, was er sucht, auf einmal überall findet.
"Ich musste oft an die Unterscheidung von Schwarzer und Weißer Magie denken und daran, dass verschiedene Nazi-Führer sich okkulter Mittel bedient haben sollen."
Das Buch umfasst mehr als 300 Seiten, ohne dass immer erkennbar wird, ob all das für Müller-Hohagens Kernthese wirklich notwendig ist: Sensibel zu sein dafür, dass Erfahrungen früherer Generationen bis heute - unbewusst - nachwirken können.
Jürgen Müller-Hohagen: "Verleugnet, verdrängt, verschwiegen. Seelische Nachwirkungen der NS-Zeit und Wege zu ihrer Überwindung". Kösel-Verlag 2005, 328 Seiten, € 19,95