Späte Hinwendung zur Literatur

Von Susanne von Schenck |
Anne Wiazemsky war in den 60er- und 70er-Jahren eine bekannte Schauspielerin, spielte in Filmen von Robert Bresson, Pierre Paolo Pasolini und Jean Luc Godard. Nun hat sie sich dem Schreiben zugewandt - und die Lebensgeschichte ihrer Eltern zu einem Roman verdichtet.
Dass sie das Rendezvous beim Verlagshaus Gallimard schlichtweg vergessen hat, ist ihr äußerst peinlich. "Ich mache jetzt etwas, was ich sonst nie für Interviews mache," sagt Anne Wiazemsky am Telefon, "ich lade Sie zu mir nach Hause ein. Mögen Sie Katzen? Trinken Sie Kaffee?"

Eine kleine Wohnung im 6. Arrondissement in Paris, nur wenige Schritte vom Verlag Gallimard entfernt. Anne Wiazemsky öffnet die Tür und bittet dann in den kleinen, geschmackvoll eingerichteten Salon: ein helles Sofa, davor ein niedriger schlichter Holztisch, in der Regalwand stehen einige Familienfotos vor den Büchern. Durch die Fenster scheint die Sonne herein. Anne Wiazemsky lebt allein mit ihrer grauen Katze, die auf einem Sessel döst.

"Die Schauspielerei - das ist für mich seit langem vorbei. Schriftstellerin? Sie treffen mich in einem heiklen Augenblick, wo ich an gar nichts arbeite. Weil ich etwas abergläubisch bin, kann ich nicht sagen: Ich bin Schriftstellerin. Aber ich wäre es gerne weiterhin."

Nach dem Abschluss ihres neuesten Buches "Mein Berliner Kind" fühlt die mittelgroße Frau mit den braun-rot gelockten Haaren eine große Leere in sich. In dem Roman erzählt sie die Geschichte ihrer Eltern, der Französin Claire Mauriac, Tochter des Literaturnobelpreisträgers Francois Mauriac, und des russischstämmigen Prinzen Yvan Wiazemsky. Die Arbeit hatte beide kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs ins zerstörte Berlin geführt. Sie verlieben sich ineinander und heiraten.1947 wird ihr erstes Kind, Anne Wiazemsky, in Berlin geboren. Anhand von Tagebuchaufzeichnungen und Briefen ihrer Mutter hat sie deren Geschichte zu einem Roman verdichtet.

"Ehrlich gesagt, hat mich mein Bruder darauf gebracht. Im Sommer 2007 sagte ich zu ihm: 'Weißt Du, ich vermisse die Eltern'. Eigentlich ein ziemlich dummer Satz. Mein Bruder antwortete: 'Das könnte doch der Moment sein, ihre Geschichte in Berlin zu erzählen.' Ich hätte das ja auch fünf oder zehn Jahre früher machen können. Warum nun gerade zu diesem Zeitpunkt? Ich weiß es nicht."

Anne Wiazemsky ist eine liebenswürdige, sehr zurückhaltende Frau. Die braunen Augen, die mal melancholisch, mal fragend-überrascht blicken, strahlen etwas Scheues, etwas Mädchenhaftes aus. Das muss seinerzeit auch den französischen Regisseur Robert Bresson fasziniert haben. Der suchte 1965 eine jugendliche Darstellerin für seinen Film 'Zum Beispiel Balthasar'.

"Als Robert Bresson mich engagierte, war ich 17 Jahre alt. Diese Erfahrung war für mich so bereichernd, dass ich sofort wusste: Ich muss alles hinter mir lassen und zum Film gehen. Das war gar nicht geplant."

Ihr Großvater Francois Mauriac riet ihr damals ein Tagebuch über die Zeit mit Bresson zu schreiben. Über 40 Jahre später, nach dem Tod des Regisseurs, hat Anne Wiazemsky ihre Notizen literarisch umgesetzt: "Jeune fille", "Junges Mädchen", heißt der Roman, in dem sie von den Dreharbeiten, ersten erotischen Erfahrungen und den Gefühlen des Erwachsenwerdens erzählt – und von ihrer ersten Begegnung mit Jean Luc Godard. Der Regisseur der Nouvelle Vague hatte im "Figaro" ein Foto der jungen Schauspielerin gesehen, sich in ihr Bild verliebt und kurzerhand zum Set aufgemacht. Sie ignoriert ihn – erfolglos. 1967 heiraten die beiden, bleiben gut zehn Jahre ein Paar. Eine Zeit, über die Anne Wiazemsky – noch – nicht sprechen möchte.

Sie wird eine bekannte Schauspielerin und bekommt zahlreiche Angebote von namhaften Regisseuren.

"Ich fing an, ohne irgendetwas über Schauspielerei zu wissen. Aber ich arbeitete mit Regisseuren wie Bresson, Godard oder Pasolini zusammen, die eine ganz genaue Vorstellung davon hatten, was sie von mir wollten und das auch vermitteln konnten. Als ich später auch mit Anfängern arbeitete, die Schauspieler nicht leiten konnten, merkte ich, dass ich gar nichts konnte und habe mich in einen Theaterkurs eingeschrieben. Da habe ich ganz bei Null angefangen."

Dann beschließt sie, sich der Schriftstellerei zuzuwenden. Warum? Weil die Filmangebote im Lauf der Jahre weniger werden – das Schicksal vieler älterer Schauspielerinnen? Oder wegen der Mauriac’schen Familientradition? Immerhin stammt Anne Wiazemsky aus der Familie eines Literaturnobelpreisträgers.

"Es ist eher selten, dass die Familie einem dabei hilft, sich zu entwickeln. Bei uns jedenfalls war das ganz und gar nicht der Fall. Ich habe spät mit dem Schreiben begonnen. Ich musste davor ein anderes Leben leben, um nicht das Gefühl zu haben, dass ich mich einfach in die Fußstapfen von Francois Mauriac begebe."

Bis auf wenige Ausnahmen hat sie immer über sich selbst und ihre engere Familie geschrieben. Sie habe selbst nicht viele Ideen, sagt sie bescheiden. Aber wer ihre einfühlsamen Bücher liest, wird das nicht bestätigen. Die Leere, unter der die Autorin leidet, wird sich bestimmt verflüchtigen. Denn es gibt noch genug Geschichten aus dem Hause Mauriac–Wiazemsky zu erzählen.