Späte Eltern

Die Deutschen werden immer älter und immer weniger. Und - wenn überhaupt - kriegen sie auch immer später Kinder. Ein Teufelskreis: Nach wie vor haben wir - neben Slowenien - mit knapp 1,3 die geringste Geburtenrate in Europa.
Zum Vergleich: Dänemark liegt bei einer Rate von 1,7, Frankreich bei 1,9. Die Zahl der Geburten hat sich hierzulande in den letzten 40 Jahren fast halbiert - von 1,4 Millionen im Jahr 1964 auf 700.000 im Jahr 2003. Besonders hoch liegt die Kinderlosenquote bei Frauen mit Hochschulabschluss: 42 Prozent der Akademikerinnen zwischen 35 und 40 haben keine Kinder. In nur sechs Jahren wird diese Zahl bei 50 Prozent liegen. Noch gravierender ist die Zahl bei den Männern bis 40: Hier sind 59 Prozent ohne Kinder.

Die Folgen für die Gesellschaft skizziert die Familiensoziologin Prof. Dr. Helga Krüger:

"Zu allererst sehe ich natürlich den demographischen Faktor. Dazu kommt aber dass die Frauen, die sich so spät entschließen, nur wenig Chancen haben, weitere Kinder zu kriegen."

Die Wissenschaftlerin der Universität Bremen beschäftigt sich seit den 70er Jahren mit der Entwicklung von Familien, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Familienpolitik. Ihre Beobachtung: Die früheren Mehr-Generationen-Familien, so die Wissenschaftlerin, stürben aus, wer spät Mutter werde, habe kaum Chancen, Großmutter oder gar Urgroßmutter zu werden. "Früher folgte alle 25 Jahre eine Generation, heute liegen wir bei 35 bis 40 Jahren."

In dieser Woche einigte sich die große Koalition auf den so genannten "Familien-Kompromiss" und damit auf eine steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten. Aber kann diese finanzielle Spritze die Talfahrt der Geburtenzahlen stoppen und tatsächlich ein Anreiz für Paare sein, Kinder zu bekommen?

"Das Geld allein wird kaum jemanden dazu bewegen", ist Helga Krüger überzeugt, "zumal die 460 Millionen eher ein Tropfen auf den heißen Stein sind."

Ihre Forderung: Die Politik, aber auch die Wirtschaft müssten Rahmenbedingungen schaffen, dass Frauen und Männer ohne Einbußen Kindererziehungszeiten in ihr Berufsleben einbauen können, das heißt flexible Arbeitsorganisation, bessere Wiedereinstiegschancen nach der Familienpause. Sie möchte dabei auch die Männer stärker einbezogen wissen:

"Welche Anreize können wir schaffen, dass Väter erkennen, dass Familie ein Zugewinn sein kann, auch an Kompetenzen für ihre berufliche Tätigkeit? Da hat die Bundesregierung mit dem Babyjahr ja eine Möglichkeit geschaffen. Aber dafür braucht es in der Tat ein Überdenken beiderseits, von Seiten der Frauen und der Männer. Es kann auch nicht sein, dass sie arbeitet und er bleibt zu Hause. Dann haben wir das klassische Verhältnis, nur umgekehrt."

Durch mehrere Auslandsaufenthalte hält sie auch den Blick über den deutschen Tellerrand für sehr wichtig: "In Dänemark ist die Wochenarbeitszeit auf 36 Stunden begrenzt, mit dem Verweis auf die Familie. Und wir diskutieren gerade die Verlängerung der Arbeitszeit, ohne an die Familie zu denken."

Ihre Forschung floss auch in den 7. Familienbericht des Bundesfamilien-Ministeriums aus dem Jahr 2005 ein. Helga Krüger gehört zu dem siebenköpfigen Expertengremium, das auch die Bundesfamilienministerin berät.

Eine der Mitarbeiterinnen von Ursula von der Leyen ist Petra Mackroth. Die SPD-Politikerin ist Stellvertretende Leiterin der Abteilung Familienpolitik, Wohlfahrtspflege / Bürgerschaftliches Engagement im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie bestätigt das Problem der "späten Eltern", sieht darin aber auch einen Erfolg der Politik:

"Der Grund, dass Frauen immer später Mütter werden, liegt auch in den besseren Bildungsangeboten. Das ist immer unser Ziel gewesen, dass die Frauen die gleichen Wahlmöglichkeiten haben, wie die Männer. Das ist ja erst einmal positiv. Das ist auch nicht unser Problem. Ich glaube, dass wir eine andere Infrastruktur brauchen, für Frauen wie auch für Männer. Das haben wir ja jetzt zum Beispiel. mit dem Elterngeld geschaffen, bei dem auch die Männer aufgerufen sind, die Familienpause einzulegen. Nachdem wir alles getan haben, damit möglichst viele Menschen gute Berufe ergreifen können, müssen wir jetzt die Möglichkeit schaffen, dass sie Kinder kriegen, und ich halte das für machbar."

Petra Mackroth kennt die Probleme "später Eltern" nur zu gut: Bei der Geburt ihres Kindes war sie 38 Jahre alt. Ihre Folgerungen für die Politik:

""Wir müssen davon ausgehen, dass nicht nur die Drei bis Sechsjährigen betreut werden müssen, wir müssen auch Möglichkeiten für die Ein bis Zweijährigen vermehrt anbieten. Viele Frauen wollen schnell wieder einsteigen. Das muss gewährleistet sein. Das haben wir mit dem Tagesbetreuungsgesetz ja geschaffen. Wir müssen auch an die denken, bei denen beide Partner arbeiten, um die Familie über die Runden zu bringen. Das ist aber eher eine Anforderung an die Kommunen und Unternehmen, diese Möglichkeiten zu schaffen. Die Unternehmen müssen den Blick auf die Elternschaft schärfen. Sie müssen erkennen, dass es auch in ihrem Sinne ist, wenn die Geburtenrate nicht bei 1,3 herum dümpelt. Familienfreundlichkeit heißt nicht, dass man die Elternzeit zähneknirschend in Kauf nimmt, sondern, dass man in hohem Maße Zeitflexibilität gewährleistet. Unternehmer sollten eben nicht mehr denken, da stelle ich doch lieber einen Mann ein, der kann keine Kinder kriegen. Sie müssen erkennen, dass ein Mann auch soziale Kompetenz mitbringt, wenn er sich in der Familie engagiert. Auch der Wiedereinstieg der Frauen nach der Babypause muss gewährleistet ein, und zwar ohne Abstriche."

"Späte Eltern - Welche Folgen hat es für eine Gesellschaft, wenn Paare immer später Kinder kriegen?" Diese Frage diskutiert Gisela Steinhauer gemeinsam mit der Familiensoziologin Prof. Dr. Helga Krüger und Petra Mackroth vom Bundesfamilien-Ministerium. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254-2254 oder per E-Mail gespraech@dradio.de.

Informationen zum Thema Familienpolitik unter: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend