Späte Einsicht
Spektakuläre Kehrtwenden der Bundesregierung ist der Bürger in letzter Zeit fast schon gewohnt: Das Internetsperrengesetz, die Wehrpflicht, die Atomkraft. Jetzt hat die Regierung in Berlin das nächste Thema entdeckt, bei dem offensichtlich Korrekturen erforderlich sind.
Die Wehrpflicht, lange Jahrzehnte identitätsstiftend für die Unionsparteien, wurde mal eben nebenbei ausgesetzt. Und in Sachen Atomkraft steht der Ausstieg vom Ausstieg aus dem Ausstieg an. Eine Regierung im Korrekturmodus, und schon zeichnet sich die nächste Volte ab: dieses Mal in der Bildungspolitik.
Bundesministerin Annette Schavan spricht sich dafür aus, das 2006 eingeführte Kooperationsverbot wieder abzuschaffen. Leidgeprüfte Eltern schulpflichtiger Kinder erinnern sich an die Föderalismusreform. Damals wurde nach einem intensiven Geschacher zwischen Bund und Ländern festgelegt, dass sich der Bund bei der Bildungspolitik und -finanzierung strikt zurückzuhalten habe.
Endlich gestehen sich damit selbst Befürworter dieser Reform einen großen Fehler ein - auch Roland Koch, ehemals hessischer Ministerpräsident, allerdings erst nach seinem Abschied aus der Politik. Zur Einsicht verhilft die Schuldenbremse, die greift und eben nicht gelockert oder wieder abgeschafft wird. Sie macht den noch aktiven Landespolitikern klar, dass sie Bildung nicht allein finanzieren können.
Das Kooperationsverbot fügte dem Jahrzehnte anhaltenden Schuldrama ein weiteres trauriges Kapitel hinzu. Es hat das Misstrauen der Bevölkerung gegen die Kleinstaaterei in der Bildungspolitik weiter befeuert. Eltern sehen Landespolitiker, die nur an ihre Pfründe denken, sich aber nicht um die Sorgen und Nöte der Betroffenen scheren.
Es ist schließlich nicht erst seit gestern bekannt, dass ein Umzug innerhalb Deutschlands eine Tortur für Familien ist. Weder Lehrpläne noch Schulabschlüsse sind vergleichbar – heute sowenig wie früher. Eltern und Kinder haben die Nase gestrichen voll von Schulversuchen und Strukturdebatten. Viele wünschen sich eine ordnende Hand im System. Die zahnlose Kultusministerkonferenz der Länder kann und will dies nicht leisten. Und die Bildungsgipfel bleiben chronisch ohne Ergebnis.
Zwar scheint sich nach Jahren und Jahrzehnten des hemmungslosen Experimentierens und Evaluierens ein gewisser Pragmatismus einzuschleichen. Länderübergreifende Trends zeichnen sich ab – etwa, dass Realschulen mit schwächelnden Hauptschulen zu Oberschulen zusammengelegt werden, Gymnasien aber unangetastet bleiben. Von einem Konsens sind die Länder allerdings weit entfernt.
So groß der Frust über die ständigen Reformen auch ist, diesmal dürfte die Mehrheit der Bevölkerung zustimmen, sollte das Kooperationsverbot im Grundgesetz wieder aufgehoben werden. Denn das würde helfen, den Einfluss von Bund und Ländern auf die Bildungspolitik sinnvoll zu koordinieren und wäre ein Beitrag zu mehr Transparenz und Ehrlichkeit. Schließlich hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass der Bund kreativ Wege gefunden hat, um trotz des Verbotes Geld in die Bildungseinrichtungen zu lenken – und dass die Länder dabei dankbar die Hand aufgehalten haben.
Bund und Länder werden die immer grundsätzlicher werdende, dabei auch teilweise überzogene Kritik am Föderalismus erst wieder einfangen, wenn sie auch tatsächlich liefern. Bundesministerin Schavan hat einen Bildungsrat vorgeschlagen, der Empfehlungen abgeben soll. Er könnte helfen, so sich die Akteure nicht im Kleinteiligen verlieren, sondern auf Leitlinien einigen.
Ganz besonders gilt das für die Frühförderung von Kindern. Ob nun Gesamtschule oder Gymnasium - Defizite, die sich vor und in den ersten Schuljahren festigen, können auf keiner wie auch immer gearteten Schulform später behoben werden. In den Kindertagesstätten tut sich einiges, aber es ist noch immer nicht erkennbar, dass den Politikern wirklich bewusst ist, wie dringlich eine anspruchsvolle Vorschule ist. Solange dieses Ziel nicht Priorität genießt, wird Deutschland der vielbeschworenen Bildungsgerechtigkeit nicht näher kommen.
Katja Wilke arbeitet als freie Journalistin und Rechtsanwältin in Berlin. Sie schreibt für Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazine über Rechtspolitik und Wirtschaftsrecht. Sie arbeitete zuvor als Redakteurin für die Financial Times Deutschland. Das Volontariat absolvierte sie an der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf.
Bundesministerin Annette Schavan spricht sich dafür aus, das 2006 eingeführte Kooperationsverbot wieder abzuschaffen. Leidgeprüfte Eltern schulpflichtiger Kinder erinnern sich an die Föderalismusreform. Damals wurde nach einem intensiven Geschacher zwischen Bund und Ländern festgelegt, dass sich der Bund bei der Bildungspolitik und -finanzierung strikt zurückzuhalten habe.
Endlich gestehen sich damit selbst Befürworter dieser Reform einen großen Fehler ein - auch Roland Koch, ehemals hessischer Ministerpräsident, allerdings erst nach seinem Abschied aus der Politik. Zur Einsicht verhilft die Schuldenbremse, die greift und eben nicht gelockert oder wieder abgeschafft wird. Sie macht den noch aktiven Landespolitikern klar, dass sie Bildung nicht allein finanzieren können.
Das Kooperationsverbot fügte dem Jahrzehnte anhaltenden Schuldrama ein weiteres trauriges Kapitel hinzu. Es hat das Misstrauen der Bevölkerung gegen die Kleinstaaterei in der Bildungspolitik weiter befeuert. Eltern sehen Landespolitiker, die nur an ihre Pfründe denken, sich aber nicht um die Sorgen und Nöte der Betroffenen scheren.
Es ist schließlich nicht erst seit gestern bekannt, dass ein Umzug innerhalb Deutschlands eine Tortur für Familien ist. Weder Lehrpläne noch Schulabschlüsse sind vergleichbar – heute sowenig wie früher. Eltern und Kinder haben die Nase gestrichen voll von Schulversuchen und Strukturdebatten. Viele wünschen sich eine ordnende Hand im System. Die zahnlose Kultusministerkonferenz der Länder kann und will dies nicht leisten. Und die Bildungsgipfel bleiben chronisch ohne Ergebnis.
Zwar scheint sich nach Jahren und Jahrzehnten des hemmungslosen Experimentierens und Evaluierens ein gewisser Pragmatismus einzuschleichen. Länderübergreifende Trends zeichnen sich ab – etwa, dass Realschulen mit schwächelnden Hauptschulen zu Oberschulen zusammengelegt werden, Gymnasien aber unangetastet bleiben. Von einem Konsens sind die Länder allerdings weit entfernt.
So groß der Frust über die ständigen Reformen auch ist, diesmal dürfte die Mehrheit der Bevölkerung zustimmen, sollte das Kooperationsverbot im Grundgesetz wieder aufgehoben werden. Denn das würde helfen, den Einfluss von Bund und Ländern auf die Bildungspolitik sinnvoll zu koordinieren und wäre ein Beitrag zu mehr Transparenz und Ehrlichkeit. Schließlich hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass der Bund kreativ Wege gefunden hat, um trotz des Verbotes Geld in die Bildungseinrichtungen zu lenken – und dass die Länder dabei dankbar die Hand aufgehalten haben.
Bund und Länder werden die immer grundsätzlicher werdende, dabei auch teilweise überzogene Kritik am Föderalismus erst wieder einfangen, wenn sie auch tatsächlich liefern. Bundesministerin Schavan hat einen Bildungsrat vorgeschlagen, der Empfehlungen abgeben soll. Er könnte helfen, so sich die Akteure nicht im Kleinteiligen verlieren, sondern auf Leitlinien einigen.
Ganz besonders gilt das für die Frühförderung von Kindern. Ob nun Gesamtschule oder Gymnasium - Defizite, die sich vor und in den ersten Schuljahren festigen, können auf keiner wie auch immer gearteten Schulform später behoben werden. In den Kindertagesstätten tut sich einiges, aber es ist noch immer nicht erkennbar, dass den Politikern wirklich bewusst ist, wie dringlich eine anspruchsvolle Vorschule ist. Solange dieses Ziel nicht Priorität genießt, wird Deutschland der vielbeschworenen Bildungsgerechtigkeit nicht näher kommen.
Katja Wilke arbeitet als freie Journalistin und Rechtsanwältin in Berlin. Sie schreibt für Tages- und Wochenzeitungen sowie Magazine über Rechtspolitik und Wirtschaftsrecht. Sie arbeitete zuvor als Redakteurin für die Financial Times Deutschland. Das Volontariat absolvierte sie an der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf.

Katja Wilke© privat