Späte Aufarbeitung
Zur katholischen Theologie während der Nazi-Zeit gab es bis jetzt nur Einzelfalluntersuchungen. Das soll sich jetzt mit dem voluminösen Werk "Katholische Theologie im Nationalsozialismus" ändern. Knapp 700 Seiten untersuchen die Entwicklung der theologischen Fakultäten an deutschen und österreichischen Universitäten.
Man mag es kaum glauben, dass es bis jetzt keine umfassende Untersuchung zur Rolle der katholischen Theologie in der NS-Zeit gibt. Und doch ist es so. Das hat nach Meinung der Herausgeber Dominik Burkard und Wolfgang Weiß vor allem zwei Gründe: Zum einen haben viele katholische Professoren bruchlos auch in der Zeit nach 1945 weiter unterrichtet – die Loyalität ihre Schüler und Schülerinnen ist deshalb ein ernstzunehmender Faktor. Und zum anderen, und sicher wichtiger, wähnte man sich auf katholischer Seite in einer Art "splendid isolation". Dort hatte man das Konkordat, das der Vatikan nach einem halben Jahr Hitler-Regime abgeschlossen hatte. Das Konkordat sicherte den Bestand der katholischen Kirche und auch der katholischen Fakultäten, es nahm aber auch die Katholiken in Deutschland aus jeder politischen Diskussion heraus. Damit war die Kirche im wesentlichen mundtot. Das verhinderte aber auch so grässliche Verirrungen wie in der protestantischen Theologie, in der Wissenschaftler ernsthaft an der Verbindung von Christentum und Nationalsozialismus arbeiteten. Also, so dachte man, waren die katholischen Fakultäten still, aber eben auch ohne Schuld durch die NS-Zeit gekommen.
Und das war doch nicht so? Die Autoren haben keine bis jetzt unbekannte katholische NS-Theologie ausgegraben, das nicht. Aber zum einen zeichnen sie noch einmal deutlich die Geschichte von Einzelpersonen wie dem Kirchenrechtler Hans Barion auf seinem Weg durch verschiedene deutsche Fakultäten nach. Barion war mit zwei anderen Kollegen an seinem Seminar im ostpreußischen Braunsberg seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, er wurde wegen seiner Nähe zu den Nationalsozialisten kurzfristig von seinem Priesteramt suspendiert. An mehreren Fakultäten war er mehr geduldet als gewünscht, bis er von 1940 bis 1945 Dekan der katholischen Theologie in Bonn war. Und zum anderen, und das finde ich noch viel wichtiger, als Einzelbiographien: der Weg der katholischen Fakultäten durch den Nationalsozialismus lässt sich nachvollziehen und auch die Verstrickungen, in die sich die Fakultäten begeben haben, vielleicht auch begeben mussten, um sich selbst zu erhalten. So lehnte, nur ein Beispiel, der Münchner Kardinal Faulhaber die Berufung des eben erwähnten Hans Barion an seine Fakultät München ab, nicht, weil er dessen politische Positionen kritisierte – dabei durfte ein Priester eigentlich gar nicht politisch tätig sein. Nein, Faulhaber ist besorgt, dass seine Fakultät innerkatholisch einen schlechten Ruf bekommen könnte und, weil die meisten Studenten gar nicht aus dem Erzbistum München kamen, in ihrem Bestand gefährdet sein könnte. Mit seiner Gegnerschaft gegen Barion steht Faulhaber auch im Kreis seiner Bischofskollegen bald relativ alleine da. Was die Nationalsozialisten nicht daran hindert, die Fakultät München 1939 zu schließen. Was eben zeigt, dass die katholischen Fakultäten nicht unbeschadet durch diese Zeit gekommen sind, auch wenn sie nach außen recht still und ohne allzu große Bestandsverluste ihre Arbeit fortführten.
Spielte der Vatikan eine Rolle, außer bei Abschluss des Konkordats? Papst Pius XII. war ja vor seiner Wahl lange Nuntius in Deutschland gewesen. Zur Rolle des Vatikan gibt es einen der interessantesten Aufsätze des Sammelbandes. Klaus Unterburger untersucht darin den römischen Blick auf die deutschen Fakultäten. Und arbeitet meines Erachtens sehr schlüssig heraus, dass die Pläne der Nationalsozialisten zu Gleichschaltung und politischer Ruhigstellung der Fakultäten eigentlich ganz im Interesse des Vatikans lagen. Denn dort war man schon länger unzufrieden mit den deutschen Theologen. Man wollte mehr Rom-Treue, weniger Interesse an historisch-kritischer Theologie, mehr Dogmatik und das strikte Ordnungsdenken einer an Thomas von Aquin orientierten Theologie, es gab sogar Aufforderungen, wieder mehr Vorlesungen in Latein zu halten. Die deutschen Fakultäten sollten grundlegend im Sinne Roms reformiert werden. Dem kam nun wiederum das Konkordat mit Hitler-Deutschland in die Quere, das zwar den Bestand der Fakultäten sicherte, damit aber eben auch – für den Moment – die Reformmöglichkeiten einschränkte. Der Vatikan setzte sich natürlich, zumindest in den Anfangsjahren der universitären Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten, für den besonderen Status seiner Fakultäten ein. Es gibt eine Debatte in der katholischen Theologie, ob nicht die Theologen unbeschadeter von nationalsozialistischer Ideologie geblieben sind, die sich eng an Rom gebunden hatten und keine Modernisierungsgelüste hatten. Das zumindest zeigt der Band, auch wenn gerade bei den Veränderungen in der katholischen Theologie viele Forschungsfragen offen bleiben: Eine Bindung an Rom verschaffte keine Immunität. Das zeichnet zum Beispiel der Fall des Freiburger Andreas Veit, den gerade sein antiliberales Geschichtsbild in die Nähe der Nationalsozialisten rückte.
Was geschieht mit den offenen Fragen? Die sollen in anschließenden Veröffentlichungen behandelt werden, genau wie auch die Falldarstellungen einiger katholischer Fakultäten in Prag, Rom, Frankfurt und ausgerechnet Braunsberg, von wo der hochbelastete Theologe Hans Barion kam. Das ist wirklich ein Herkules-Projekt neuster katholischer Geschichtsschreibung, dem sich die Herausgeber Dominik Burkard und Wolfgang Weiß da verschrieben haben. Und auch wenn ich die Erleichterung ein bisschen unangenehm fand, mit der manche Autoren feststellen, "ihre" Fakultät habe im Nationalsozialismus gut gearbeitet und sich nichts zuschulden kommen lassen – ganz insgesamt ist das ein spannendes und immer noch notwendiges Projekt.
Rezensiert von Kirsten Dietrich
Dominik Burkard / Wolfgang Weiß (Hg.): Katholische Theologie im Nationalsozialismus. Band 1/1 Institutionen und Strukturen
Echter Verlag 2007, 694 S., 39 Euro
Und das war doch nicht so? Die Autoren haben keine bis jetzt unbekannte katholische NS-Theologie ausgegraben, das nicht. Aber zum einen zeichnen sie noch einmal deutlich die Geschichte von Einzelpersonen wie dem Kirchenrechtler Hans Barion auf seinem Weg durch verschiedene deutsche Fakultäten nach. Barion war mit zwei anderen Kollegen an seinem Seminar im ostpreußischen Braunsberg seit Mai 1933 Mitglied der NSDAP, er wurde wegen seiner Nähe zu den Nationalsozialisten kurzfristig von seinem Priesteramt suspendiert. An mehreren Fakultäten war er mehr geduldet als gewünscht, bis er von 1940 bis 1945 Dekan der katholischen Theologie in Bonn war. Und zum anderen, und das finde ich noch viel wichtiger, als Einzelbiographien: der Weg der katholischen Fakultäten durch den Nationalsozialismus lässt sich nachvollziehen und auch die Verstrickungen, in die sich die Fakultäten begeben haben, vielleicht auch begeben mussten, um sich selbst zu erhalten. So lehnte, nur ein Beispiel, der Münchner Kardinal Faulhaber die Berufung des eben erwähnten Hans Barion an seine Fakultät München ab, nicht, weil er dessen politische Positionen kritisierte – dabei durfte ein Priester eigentlich gar nicht politisch tätig sein. Nein, Faulhaber ist besorgt, dass seine Fakultät innerkatholisch einen schlechten Ruf bekommen könnte und, weil die meisten Studenten gar nicht aus dem Erzbistum München kamen, in ihrem Bestand gefährdet sein könnte. Mit seiner Gegnerschaft gegen Barion steht Faulhaber auch im Kreis seiner Bischofskollegen bald relativ alleine da. Was die Nationalsozialisten nicht daran hindert, die Fakultät München 1939 zu schließen. Was eben zeigt, dass die katholischen Fakultäten nicht unbeschadet durch diese Zeit gekommen sind, auch wenn sie nach außen recht still und ohne allzu große Bestandsverluste ihre Arbeit fortführten.
Spielte der Vatikan eine Rolle, außer bei Abschluss des Konkordats? Papst Pius XII. war ja vor seiner Wahl lange Nuntius in Deutschland gewesen. Zur Rolle des Vatikan gibt es einen der interessantesten Aufsätze des Sammelbandes. Klaus Unterburger untersucht darin den römischen Blick auf die deutschen Fakultäten. Und arbeitet meines Erachtens sehr schlüssig heraus, dass die Pläne der Nationalsozialisten zu Gleichschaltung und politischer Ruhigstellung der Fakultäten eigentlich ganz im Interesse des Vatikans lagen. Denn dort war man schon länger unzufrieden mit den deutschen Theologen. Man wollte mehr Rom-Treue, weniger Interesse an historisch-kritischer Theologie, mehr Dogmatik und das strikte Ordnungsdenken einer an Thomas von Aquin orientierten Theologie, es gab sogar Aufforderungen, wieder mehr Vorlesungen in Latein zu halten. Die deutschen Fakultäten sollten grundlegend im Sinne Roms reformiert werden. Dem kam nun wiederum das Konkordat mit Hitler-Deutschland in die Quere, das zwar den Bestand der Fakultäten sicherte, damit aber eben auch – für den Moment – die Reformmöglichkeiten einschränkte. Der Vatikan setzte sich natürlich, zumindest in den Anfangsjahren der universitären Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten, für den besonderen Status seiner Fakultäten ein. Es gibt eine Debatte in der katholischen Theologie, ob nicht die Theologen unbeschadeter von nationalsozialistischer Ideologie geblieben sind, die sich eng an Rom gebunden hatten und keine Modernisierungsgelüste hatten. Das zumindest zeigt der Band, auch wenn gerade bei den Veränderungen in der katholischen Theologie viele Forschungsfragen offen bleiben: Eine Bindung an Rom verschaffte keine Immunität. Das zeichnet zum Beispiel der Fall des Freiburger Andreas Veit, den gerade sein antiliberales Geschichtsbild in die Nähe der Nationalsozialisten rückte.
Was geschieht mit den offenen Fragen? Die sollen in anschließenden Veröffentlichungen behandelt werden, genau wie auch die Falldarstellungen einiger katholischer Fakultäten in Prag, Rom, Frankfurt und ausgerechnet Braunsberg, von wo der hochbelastete Theologe Hans Barion kam. Das ist wirklich ein Herkules-Projekt neuster katholischer Geschichtsschreibung, dem sich die Herausgeber Dominik Burkard und Wolfgang Weiß da verschrieben haben. Und auch wenn ich die Erleichterung ein bisschen unangenehm fand, mit der manche Autoren feststellen, "ihre" Fakultät habe im Nationalsozialismus gut gearbeitet und sich nichts zuschulden kommen lassen – ganz insgesamt ist das ein spannendes und immer noch notwendiges Projekt.
Rezensiert von Kirsten Dietrich
Dominik Burkard / Wolfgang Weiß (Hg.): Katholische Theologie im Nationalsozialismus. Band 1/1 Institutionen und Strukturen
Echter Verlag 2007, 694 S., 39 Euro