Spät gewürdigt

Von Michaela Gericke |
Arno Fischer gilt als der "bekannteste der unbekannten Fotografen" in Deutschland. Erst jetzt wird im Westen Deutschlands sein eigenes Werk gewürdigt – mit einer Retrospektive, die das Institut für Auslandsbeziehungen gemeinsam mit der Bonner Bundeskunsthalle organisiert hat.
Der nächtliche Himmel ist hell erleuchtet, schwarz und scharfkantig wie ein Scherenschnitt zeichnet sich die Silhouette der Häuser ab, ein schlanker Kirchturm bohrt sich in dunkle Wolken. Arno Fischer ist 15 Jahre alt, als er dieses Foto 1942 in einer Kriegsnacht aufnimmt; seine Eltern sind bereits gestorben, er lebt beim Onkel im Arbeiterbezirk Wedding: "Brennendes Berlin" heißt dieses erste Foto, das in der Bundeskunsthalle Bonn zur Werkgruppe "Situation Berlin" gehört.

"Mein Onkel, der war Amateurfotograf, der hat mir die Grundbegriffe beigebracht und ick fand dit schon wichtig einfach mal aufm Schornstein die Kamera hinzusetzen, dann Langzeitbelichtung und das ist dabei raus gekommen. Ich nenne es immer mein erstes verwendbares Foto, vorzeigbares Foto."

Seine späteren Berlin-Bilder zeigen Spuren des Zweiten Weltkrieges und den hoffnungsvollen Neuanfang im Westen wie im Osten der Stadt. Einfühlsam, doch vollkommen unsentimental näherte sich Arno Fischer mit seiner Kamera Männern, Frauen, Kindern auf den Straßen und Plätzen in beiden Teilen Berlins, auf öffentlichen Veranstaltungen oder einfach nur in alltäglichen Lebenssituationen.

Trotz der respektvollen Distanz ist seine Empathie für Menschen am Rande der Gesellschaft immer wieder auf den Fotos erkennbar. Agnieszka Lulinska – Projektleiterin der Bundeskunsthalle Bonn – konnte sich sofort für die Idee einer Arno-Fischer-Retrospektive begeistern:

"Er lädt uns ein, in diese Bilder einzutreten, uns in diese Geschichte zu begeben und uns für die Menschen zu interessieren, die auf diesen Fotos festgehalten sind. Er macht neugierig, was denken sie, warum kucken sie plötzlich in diese Richtung, was sehen sie, was empfinden sie und das setzt bei uns, beim Betrachter einen Prozess in Gang und diesen Prozess, diese Geschichtenerzählung, diese Faszination an den Geschichten hinter den Geschichten, beherrscht er meisterhaft."

Obwohl manche der Schwarz-Weiß-Fotografien aussehen wie eine Szene aus Theater oder Film ist keines der Straßenfotos von Arno Fischer künstlich arrangiert. Er mochte keine Bilder inszenieren, wenngleich er eine Zeit lang auch für die – über die DDR hinaus bekannte – Modezeitschrift "Sibylle" fotografierte und dabei zwangsläufig inszenierte. Er brauchte allerdings kein Studio, sondern ging, und das war neu in der DDR – mit den Modellen auf die Straße, suchte ungewöhnliche und zugleich alltägliche Kulissen: die Industrielandschaft von Bitterfeld, einen Gasometer oder die Rollbahn auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld.

Bildhauer wollte er eigentlich werden, hatte das Studium in Berlin aber abgebrochen. Der geschulte Blick für grafischen Aufbau, Spannung, Komposition war ihm allerdings in Fleisch und Blut übergegangen.

Seine Motive: Wartende Menschen am Ufer eines Flusses oder Sees, ein einsames Auto, das sich in einer Mondlandschaft bei Murmansk nur mit eigenem Scheinwerferlicht zu orientieren versucht, die fette Schnauze eines Mercedes, hinter dem sich eine große Schrifttafel in den Himmel schiebt: "Berlin bleibt frei" ist darauf zu lesen. Lakonisch, aber deutlich vermittelt der Fotograf seine ganz persönliche Haltung:

"Ick hatte den Linksdrall, ja dit kann man schon so sagen, es zeigte sich aber mehr dit Oben und Unten in der Gesellschaft, das interessierte mich, ..."

Nie wurde er Parteimitglied, sagt Arno Fischer, der in den 70er- und 80er-Jahren auch ins westliche Ausland reisen durfte, um in den großen Städten historische Fotografien über die Arbeiterbewegung zusammenzutragen. Er fliegt dafür sogar zwei Mal nach New York; auch hier läuft er durch die Straßen, fotografiert Nachtgestalten, Träumer, Gestrandete:

"Ich hab da nicht bewusst nach Elend und Reichtum geguckt, ... ich hab da kein sozialkritisches Auge gehabt, ich hab einfach auch wieder dort nur Situationen erlebt und die hab ich fotografiert."

Ob in New York, Moskau oder Leningrad, in Indien oder Äquatorialguinea. Arno Fischer begibt sich in die Nähe von Menschen, denen er gleichsam eine Bühne gibt: Nie suchte er auf Reisen das Exotische, sondern ließ sich ein auf Stimmungen. Und stellte unscheinbare Menschen mit seinen Porträts auf die gleiche Ebene wie die Stars, die er vor sein Objektiv bekam. Das Ergebnis sind fast zärtliche Bilder; in einer wunderbaren Komposition aus Licht und Schatten.

Projektleiterin Agnieszka Lulinska: "Es ist vollkommen unerheblich, ob da Marlene Dietrich sich gerade vor dem Publikum verbeugt, Juliette Greco ein bisschen mit der Kamera flirtet oder er auf der Straße unbekannte Menschen vor die Linse zieht oder zum Beispiel unbekannte Gesichter, die heute kaum mehr denkbar sind: ein Salinenarbeiter aus Halle oder ein Fuhrunternehmer aus Thüringen, das sind Typen, man weiß, dass da eine Geschichte dahintersteckt; bei manchen die Schwere des Lebens, vielleicht des Schicksals der Arbeits- oder Lebensbedingungen, aber auch Unbeschwertheit, auch poetisch, wenn er eine russische Zugschaffnerin porträtiert, die so ganz versonnen vor sich schaut, dann hat das eine große menschliche Qualität, eine Verzauberung und man merkt, auch der Autor war verzaubert."

Der Autor, der Erzähler mit Fotokamera, das ist Arno Fischer auch im letzten Teil der Ausstellung. In einem großen Raum präsentiert die Bundeskunsthalle in Bonn originale Polaroidaufnahmen der letzten drei Jahrzehnte. Unter dem Titel: "Der Garten" hat Fischer jeweils drei Bilder aus dem eigenen Garten zu einem Triptychon angeordnet.

Agnieszka Lulinska: "Es sind meistens eine Art Stillleben, die sind aber so arrangiert und so aufgenommen, dass man immer gegenwärtig hat diesen – ich würde nicht scheuen zu sagen – den alten Vanitas-Gedanken, der Vergänglichkeit, da ist ein Werden, ein Beginn, ein Vergehen so dicht nebeneinander."

Und eine Poesie, die einen krönenden Abschluss bildet in der Ausstellung mit etwa 150 Bildern aus dem Lebenswerk von Arno Fischer, einem gesamtdeutschen Fotografen im 83. Lebensjahr, zurecht geschätzt und verehrt, auch von seinen Schülern, die weit reisen, um ihn zu erleben.

Katalog zur Ausstellung:
(Katalogautoren Matthias Flügge, Thomas Martin)
Museumsausgabe Softcover, 228 Seiten, 25 Euro

Buchhandelsausgabe Hardcover
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern
ca. 39,80 Euro

Die Ausstellung ist in der Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn bis 3. Januar 2010 zu sehen