Soziologin über das Corona-Krisenmangement

"Die Gesellschaft wird zum Reallabor der Politik"

06:29 Minuten
Vogelperspektive auf den Alexanderplatz, auf dem mit großem Abstand einige Menschen laufen.
Mit Sorge sieht die Soziologin Teresa Koloma Beck, dass durch die Kontaktsperre in der Coronakrise viele ihre Mitmenschen zunehmend als mögliche "Gefahrenträger" wahrnehmen. © Getty Images / Christian Enders
Teresa Koloma Beck im Gespräch Julius Stucke · 28.03.2020
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Die Politik gehe in der Coronakrise genauso experimentell vor wie die Forschung, sagt die Soziologin Teresa Koloma Beck. Auf diese Weise werde die Gesellschaft zum Labor und neues Wissen beeinflusse die Veränderung politischer Entscheidungen.
Auch politische Entscheider stehen angesichts der Ausbreitung des Coronavirus vor einer unbekannten Situation, sagt die Soziologin Teresa Koloma Beck. Dass sich politische Überlegungen - etwa zum massenhaften Einsatz von Corona-Tests bei bestimmten Bevölkerungsgruppen - von heute auf morgen verändern könnten, will die Soziologin nicht mit Vorwürfen an die Politik beantworten. Vielmehr könne man jetzt sehen, wie "Politik im Reallabor" funktioniere.
Ein Porträtbild von Prof. Dr. Teresa Koloma Beck.
Prof. Dr. Teresa Koloma Beck ist Professorin für Soziologie der Globalisierung.© Hamburger Insitut für Sozialforschung
Koloma Beck verweist auf Forschungen der Technik-Soziologie, die derzeit auch auf die Politik zuträfen. So gebe es Situationen, die nur mit neuem Wissen bearbeitet werden könnten. Um dieses Wissen zu gewinnen, müsse man "irgendetwas" machen - und zwar in der Realität, nicht im Labor. Auf diese Weise werde die Gesellschaft zum Labor.

Politik gehe in dieser Situation genauso experimentell vor wie die Forschung. Es werde etwas getan und dann die Erfahrung, "wie wir alle handeln", auswertet. "Und dann sieht man diese 180-Grad-Drehungen, die tatsächlich, wenn man den politischen Betrieb sonst gewöhnt ist, irritierend wirken."

Andere Menschen als "Gefahrenträger"

Auf die Frage wie wir aus der Situation der sozialen Isolierung wieder herauskommen können, zeigt sich Koloma Beck besorgt. Der Alltag richte sich zwar ein und das Leben gehe weiter. Doch könnten sich die Menschen, während sie sich daran gewöhnen mit der Bedrohung zu leben, eben auch daran gewöhnen, andere Menschen als mögliche Gefahrenträger wahrzunehmen.

"Diese Veränderungen treten relativ schnell ein und können dann relativ lange anhalten", sagt Koloma Beck, die unter anderem über gesellschaftliche Folgen von Kriegen forscht. "Deswegen ist es so wichtig, mit diesem Problem politisch umzugehen. Also nicht nur zu fragen, was sollen die Leute nicht machen, sondern was können sie denn stattdessen machen - in einem positiven Sinne."

Auch Streit darüber, wie tief Maßnahmen in unseren Alltag eingreifen sollten, sei jetzt sehr wichtig, so dass die Verantwortlichen sich rechtfertigen müssten und nur solche Entscheidungen getroffen würden, die "wirklich essentiell nötig" seien.
(huc)

Teresa Koloma Beck ist Professorin für Soziologie der Globalisierung an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaft der Universität der Bundeswehr München und Gastwissenschaftlerin am Hamburger Institut für Sozialforschung. Sie studierte in Paris und an der Universität Witten/Herdecke und promovierte 2010 an der Humboldt-Universität zu Berlin über Veralltäglichungsprozesse im Bürgerkrieg. Der Schwerpunkt ihrer akademischen Arbeit liegt in der alltagssoziologischen Erforschung von Gewaltkonflikten und Globalisierungsdynamiken.

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