Soziologin Kelek: Türkische Jungen sind Opfer der Tradition

Die Soziologin Necla Kelek hat auf die Benachteiligung von türkisch-muslimischen Jungen durch das traditionelle Rollenverständnis hingewiesen. Ebenso wie die Frauen seien auch die Männer und Jungen in ihrer Welt gefangen, in der sie nicht über sich selbst bestimmen könnten, sagte Kelek im Deutschlandradio Kultur.
Sie stellt am Abend ihr Buch zu dem Thema vor. Wie die deutsch-türkische Soziologin erläuterte, muss ein traditionell erzogener Junge früh „draußen seinen Mann stehen“ und werde auf seine spätere Rolle als Familienoberhaupt vorbereitet. Dabei fehle es aber an Geborgenheit und der Möglichkeit, freundschaftliche Beziehungen zu Frauen zu entwickeln. Verantwortlich für die Situation ist laut Kelek ein Zusammenwirken von Tradition und Religion.

Der Islam legitimiere die Position des Vaters als Respektperson, der Gehorsam geschuldet werde. Zur Lösung der Probleme forderte die Soziologin, die Schule dazu müsse beitragen, dass die Kinder „neben der Herkunftskultur, die die Eltern mitgebracht haben, eine Alternative finden“. Es sollten „Menschenrechte, Selbstbestimmungsrecht und vor allen Dingen Entscheidungskompetenzen“ vermittelt werden, damit die Kinder in der Lage seien zu sagen: „Ich will nach diesen archaischen, traditionellen Erziehungsformen nicht mehr leben. Ich möchte mein Leben jetzt selbst bestreiten.“

Kelek unterstützt den Vorstoß Hessens, Einbürgerungswilligen künftig einen Katalog mit Fragen zu deutscher Geschichte, Politik und Kultur vorzulegen. Dies entspreche den Vorschlägen, die sie als Beraterin bei der Entwicklung des Einbürgerungsfragebogens in Baden-Württemberg gemacht habe. Es könne „doch nur eine Bereicherung“ sein, sich mit dem Land zu beschäftigen, dessen Staatsbürger man werden will: „Wenn ich einen Pass haben möchte von dem Land, wo ich alle Rechte für mich abverlange, dann möchte ich doch wenigstens wissen, dass ich mich damit identifiziere, dass ich mich mit diesem Land auseinandersetze, gegenüber dem ich ab jetzt auch Pflichten habe.“