Soziologe Matthias Quent über Rechtsterrorismus

"Es ist eine internationale Szene"

07:04 Minuten
Menschen legen Blumen vor der Synagoge in Halle ab.
Eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik? Menschen legen Blumen vor der Synagoge in Halle ab. © dpa / Jan Woitas
Matthias Quent im Gespräch mit Dieter Kassel · 10.10.2019
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Nach dem Anschlag von Halle spricht der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent von einer besorgniserregenden Dimension von massivem terroristischen Antisemitismus. Neu sei die Verbindung mit einer rechtsradikalen Internet-Subkultur.
Dieter Kassel: 8:09 Uhr, am Donnerstagmorgen, dem Tag nach dem Attentat von Halle, einem Terroranschlag, der, glaube ich, die Bundesrepublik wirklich verändern wird aufgrund dessen, was da wirklich passiert ist – und vor allen Dingen aufgrund dessen, was da eigentlich im Kopf des Täters hätte passieren sollen. Zwei Menschen sind ermordet worden gestern von einem 27-jährigen Mann in Halle. Nach allem, was wir wissen, waren die beiden aber Zufallsopfer. Was er wirklich wollte, ist, in eine Synagoge eindringen und dort ein Blutbad anrichten.
Was für Hintergründe es geben könnte, was dazu geführt haben kann, dass es inzwischen diese Form von rechter Gewalt in Deutschland gibt, darüber wollen wir jetzt mit Matthias Quent reden. Er ist der Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.
Es gibt leider immer wieder nicht nur Sachbeschädigungen auf jüdischen Friedhöfen und Ähnliches, sondern tatsächlich auch Angriffe auf jüdische Einrichtungen und jüdische Menschen in Deutschland. Aber das, was gestern in Halle passiert ist, ist das eine Zäsur jetzt in der Geschichte der Bundesrepublik?
Quent: Das ist eine neue Qualität, insofern der Täter offenbar vorhatte, in eine vollbesetzte Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, einzudringen, um dort ein Blutbad anzurichten. Er ist dabei gescheitert an den Sicherheitsvorkehrungen der Tür. Es ist ja ein Manifest aufgetaucht, was ihm zuzurechnen ist, wo er diese Pläne detailliert darstellt, wo er auch beschreibt, wie er das ausspioniert hat, die Tat vorbereitet hat, dass er so viele Juden wie möglich töten möchte. Er beschreibt darin aber auch, dass es auch gut sei, Muslime oder Linke umzubringen.

Nicht der erste antisemitische Terroranschlag

Insofern ist es tatsächlich nicht ganz zufällig, dass er dann einen Betreiber eines Dönerimbisses erschossen hat. Also diese Dimension von massivem terroristischen Antisemitismus, die ist extrem, die ist auch neu. Sie ist in der Form gescheitert, allerdings gab es in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten immer wieder auch antisemitische Terroranschläge, 2000 etwa in Düsseldorf, 1980 die Ermordung des Rabbiners Shlomo Lewin und seiner Frau in Erlangen.
Aber diese Massivität und die Verbindung mit einer rechtsradikalen Internetsubkultur, die international vernetzt ist, das ist eine neue besorgniserregende Dimension, die sich hier gestern in Halle sehr brutal gezeigt hat.
Kassel: Dieses international Vernetzte, was Sie erwähnt haben, das heißt ja auch, dass diese Fragen, die jetzt natürlich gestellt werden, warum gerade Halle, warum gerade ein Mann aus Eisleben, warum gerade Sachsen-Anhalt, eine gewisse Relevanz vielleicht haben, aber vielleicht gar keine so große Relevanz, wie wir glauben, weil das eine internationale Szene ist.
Quent: Es ist eine internationale Szene. In dem Manifest schreibt der Täter selber, er hat die Synagoge in Halle ausgewählt, weil sie schlicht der nächste Ort ist, wo viele Juden zusammenkommen, um diese zu töten. Es ist also in einer gewissen Weise durchaus ein Zufall.

Rassistisch, antifeministisch, antisemitisch

Jetzt muss man schauen, welche biografischen Verbindungen gibt es möglicherweise zur radikal rechten Szene oder auch den Identitären, die in Halle sehr stark sind. Aber in der Tat ist es so, dass die Taten in Christchurch im März diesen Jahres mit 51 toten Muslimen oder auch der Anschlag auf die Synagoge in Pittsburgh vor einem Jahr in den USA ganz ähnliche Merkmale in verschiedenen Perspektiven aufzeigen. Und auch der Täter aus Halle hat sich an dem Attentäter in Christchurch orientiert, in verschiedenen Formen der operativen Durchführung, aber auch in der Ideologie.
Diese Szene ist international, deswegen hat der Täter von Halle vor allem auch auf Englisch geschrieben und gesprochen, um diese Internationale der weißen, rassistischen, antifeministischen und antisemitischen Extremisten anzusprechen und sich vor denen zu produzieren.
Kassel: Kann man denn dann das Problem überhaupt auf nationaler oder gar regionaler Ebene lösen?
Quent: Na ja, man kann es auf jeden Fall auf regionaler und nationaler Ebene angehen, denn nur weil es sich auch international abspielt, bedeutet das nicht, dass man vor Ort nichts tun kann, um solche Taten zu verhindern, um eine Kultur der Solidarität und der Empathie mit angegriffenen Gruppen herzustellen, um vielleicht auch Betroffene zu unterstützen, die nicht wissen, was passiert hier in meinem Freundeskreis, in meiner Familie, wenn es problematische Tendenzen gibt, gerade in diesen Onlinestrukturen, die erstens kaum reguliert sind und wo zweitens auch professionelle Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner fehlen, um problematische Entwicklungen vielleicht mitzuteilen, sich beraten zu lassen.

Problem rechtsradikaler Gewalt schneller angehen

Uns fehlen hier tatsächlich auch noch Einblicke, wie die Radikalisierung genau verläuft, wo Stellschrauben sind. Was man erkennen kann, letztlich mag die Vernetzung international sein, aber sie operiert letztendlich ja lokal. Das bedeutet, es sind Menschen vor Ort, die sich Waffen beschaffen, die im Umfeld, in ihrem sozialen Umfeld vielleicht auch auffallen.
Der Täter hat hier offensichtlich sehr umfangreich Waffen auch selber hergestellt und produziert, was durchaus jemand mitbekommen haben könnte oder auch mitbekommen haben müsste. Das setzt doch in den Regionen, in den Familien, in sozialen Strukturen Ansatzpunkte für Interventionen bereit, wo man ansetzen kann, um so etwas auch womöglich zu verhindern.
Kassel: Nach der Ermordung des Regierungspräsidenten von Kassel hat der Bundesinnenminister und haben auch viele andere angekündigt, wir werden jetzt anders mit dem Problem rechtsradikaler Gewalt umgehen, wir werden aufmerksamer werden, wir werden mehr Energie und mehr Geld reinstecken. Das ist ja jetzt nicht so lange her. Glauben Sie, dass das wirklich geschehen ist?
Quent: Es gibt die Ankündigungen, und natürlich dauert es ein bisschen, die Stellen entsprechend im Bundeskriminalamt zu besetzen beispielsweise. Andererseits muss man sagen, das hätte viel früher passieren müssen, spätestens als das Netzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds 2011 aufgeflogen ist. Danach gab es immer weitere terroristische Gruppen und Strukturen aus der extrem rechten Gruppe – Freital beispielsweise, der Anschlag in München 2016 mit neun Toten. Sie kommen, aber sie kommen zu spät. Nun wird es einige Zeit dauern, die Strukturen auch aufzubauen und diese auch auf der Länderebene entsprechend anzupassen und nicht nur – wobei ich das sehr begrüße – beim BKA.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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