Sozialwahl: Einfluss der Selbstverwaltung schwindet
Vor der anstehenden Sozialwahl moniert der Gewerkschafter Klaus Wiesehügel den schwindenden Einfluss der Selbstverwaltung. Politik und Wirtschaft arbeiteten "Hand in Hand, die Selbstverwalter immer weiter rauszudrängen", betont der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt.
André Hatting: Vielleicht haben Sie auch schon Post von Herrn Rische bekommen? Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund lädt zur Sozialwahl ein. Alle sechs Jahre dürfen die etwa 40 Millionen Versicherten Interessensvertreter bestimmen. Parlament der Rentenversicherung nennt das Herbert Rische in seinem Anschreiben. Klingt nach einer guten Sache, aber ehrlich gesagt, kaum einer weiß, was und wen er da eigentlich wählen soll und wofür das Ganze gut ist. Dabei ist es mit insgesamt 6000 zu besetzenden ehrenamtlichen Mandaten die drittgrößte Wahl in Deutschland.
Einer der Kandidaten bei der Sozialwahl 2011 ist Klaus Wiesehügel, der Vorsitzende der IG Bauen-Agrar-Umwelt geht als Spitzenkandidat der Liste 12 in die Wahl, das ist die des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Tag, Herr Wiesehügel!
Klaus Wiesehügel: Schönen guten Tag!
Hatting: Bei der letzten Sozialwahl hat nicht einmal jeder Dritte abgestimmt. Wenn diese Wahl so wichtig ist, Herr Wiesehügel, warum interessiert sie kaum jemanden?
Wiesehügel: Ja, vielleicht liegt das auch daran, dass wir natürlich immer unter doppeltem Vorwurf sind. Es gibt immer einige, die sagen, ja noch so eine Wahl, die nichts bringt und viel Geld kostet. Deswegen sind ja die Wahlen reine Briefwahlen und finden nicht wie etwa Bundestagswahlen und Kommunalwahlen in Wahlbüros statt, wo man also mal eben so sonntags hingehen kann. Wenn man nur über Briefwahl eine Beteiligung will, dann ist das schon schwierig, diese entsprechenden Beteiligungen zu bekommen.
Dann haben wir natürlich nicht die öffentlichen Plakatwände, den tagtäglichen Hinweis darauf. Es gibt jetzt einige Plakate, die darauf hinweisen, jetzt findet also die Wahl statt, aber die Auseinandersetzung der Kandidaten, die Auseinandersetzung über Themen findet auch nicht statt wie bei anderen Wahlen. Und wenn wir das Ergebnis dann sehen und nach einer harten Wahlschlacht um ein Bürgermeisteramt dort auch nur eine Beteiligung von 20, 25 Prozent manchmal sehen, dann ist das bei den Sozialwahlen gar nicht mehr so erschreckend.
Hatting: Ja Herr Wiesehügel, kann es aber vielleicht auch daran liegen, dass ein Teil der Sozialwahl als Friedenswahl bezeichnet wird, das heißt, es steht sowieso schon vorher fest, welcher Kandidat da hineinkommt, weil es abgesprochen worden ist? Das heißt, es ist eigentlich in vielen Teilen gar keine richtige Wahl, sondern es ist nur eine Bestätigung der Kandidaten?
Wiesehügel: Ja, bei den Friedenswahlen muss man nicht diejenigen beschimpfen, die kandidieren auf einer Liste, und es gibt keine Gegenkandidaten. Wenn es Gegenkandidaten geben würde, dann wären es auch keine Friedenswahlen. Das mit der Absprache, das ist dann immer sehr schnell gesagt. Der eigentliche Hintergrund ist also tatsächlich: Wir haben keine weiteren Gegenkandidaten, wir haben die Kandidaten zum Beispiel aus Gewerkschaftlern, von uns aus in verschiedenen Berufen, in verschiedenen Altersgruppen, aus unterschiedlichen Regionen, große und kleine Betriebe berücksichtigt, haben das zusammengenommen, geben dafür auch den Anlass, von anderen dagegen zu kandidieren, halten das nicht für eine wirklich schlechte Situation, sondern ich glaube, in der Praxis sind Friedenswahlen auch ein ziemlich großer Vertrauensbeweis.
Hatting: Warum gibt es keine Gegenkandidaten?
Wiesehügel: Ja, das müssen Sie die fragen, die nicht kandidieren. Wir stellen uns jeder Wahl, die sich gibt. Wenn also welche sagen, nein, jetzt, da sind alles viel zu viel Gewerkschafter drauf, da wollen wir mal gegen kandidieren, ja, Konkurrenz ist gar nicht schlecht, dann sollen sie kandidieren! Wir versuchen innerhalb unserer Interessenssphäre, derjenigen, die sich für soziale Politik engagieren, die gewerkschaftlich organisiert sind, versuchen wir gemeinsam aufzutreten. Das gelingt nicht überall, Sie haben das vorhin mit der Rentenversicherung noch mal sehr deutlich gemacht, aber bei einigen Krankenkassen ist das so, dass wir das dann möglichst gemeinsam machen. Und daraus entstehen Friedenswahlen.
Hatting: Letztlich ist es ja so, dass 95 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen zum Beispiel gesetzlich festgelegt sind. Das heißt, Sie entscheiden, wenn Sie mitentscheiden in dem entsprechenden Gremium, ja nur über einen ganz, ganz, ganz kleinen Bestandteil. Liegt das vielleicht auch daran, dass viele Leute sagen, ich habe keine Lust auf so was, weil letztlich mitbestimmen tu ich sowieso nicht?
Wiesehügel: Ja, das weiß ich nicht, ob das tatsächlich ein guter Standpunkt ist, denn wenn ich jeden Monat meine Sozialversicherungsbeiträge bezahle, dann möchte ich eigentlich auch da mitbestimmen können, wofür die Gelder ausgegeben werden. Und so ganz, ganz, ganz machtlos sind wir ja auch nicht. Neben dem Budgetrecht gehört auch die Einstellung und Entlassung zum Beispiel der Manager, die ja oft auch in der Kritik stehen, über die ja auch viel geredet wird, zu den Aufgaben auch der Selbstverwaltung.
Ich gebe Ihnen aber recht, der Einfluss von Politik und Wirtschaft auf die Sozialversicherung wird leider immer größer. Politik und Wirtschaft, das ist nämlich genau der Punkt, arbeiten da Hand in Hand, die Selbstverwalter immer weiter rauszudrängen. Das kann aber nicht der Grund sein für uns, ja ist gut, Unternehmer und Politik haben da so miteinander uns zurückgeschubst, dass wir sagen, nein, das machen wir jetzt gar nicht mehr. Die Möglichkeiten, die wir noch haben, die wollen wir nutzen und es ist sehr oft auch für den Einzelnen, der sich dann an uns wendet, der sagt, ich brauche dringend mal einen Kontakt zu der Krankenkasse, könnt ihr uns nicht mal helfen, dann können wir auch Einzelnen helfen. Also Selbstverwalter tun viel im Stillen, aber sind also auch nicht ganz ohne Einfluss, zumindest wenn es darum geht, den richtigen Mann an der Spitze zu haben.
Hatting: Ja, Herr Wiesehügel, Sie beschreiben das so wie so ein Naturgesetz, dass der Einfluss der Selbstverwalter immer weniger wird, der von Politik und von Wirtschaft immer mehr zunimmt. Was muss denn getan werden, damit sich das wieder umkehrt?
Wiesehügel: Ja, wir müssen mehr Leute haben, die sich dafür interessieren. Das Ganze findet also alles so ein bisschen statt unter den großen Themen, es gelingt uns nicht, die Themen möglichst ganz, ganz nach vorne zu hieven, das ist mir schon oft aufgefallen, dass also Leute, die sich eigentlich sehr vital um ihre Rentenfragen kümmern müssen, immer erst dann zu mir kommen oder zu unseren Sekretären kommen, wenn sie also nun gerade den letzten Rentenbescheid bekommen haben oder den ersten Rentenbescheid bekommen haben. – Wie, so wenig ist das nur? Das hätte ich aber nicht gedacht! – Das heißt, man hat ein Leben lang Zeit, sich eigentlich mit den Dingen zu beschäftigen, man beschäftigt sich aber damit nicht, weil es so viele schöne andere interessante Sachen gibt.
Ich war ja auch mal Bundestagsabgeordneter, ich habe das auch in der Politik erlebt: Sozialpolitik war immer nur ein ganz kleiner Kreis, der sich hier ernsthaft damit beschäftigt hat, weil es ist nicht einfach, hat mit Gesetzesmaterie zu tun, man muss sich reinknien und es findet auch nicht jeder sexy, sich damit zu beschäftigen. Deswegen manchmal sehr elitär in einigen Bereichen. Aber umso dringender, umso wichtiger, dass sich trotzdem ein paar Menschen darum kümmern und wir nicht alles denjenigen überlassen, die das am grünen Tisch oder nur durch den Blick durch die Finanzröhren sehen.
Hatting: Zur Sozialwahl war das ein Interview mit Klaus Wiesehügel, Chef der IG Bauen-Agrar-Umwelt und Kandidat der Sozialwahl. Bis zum 1. Juni können Versicherte per Briefwahl ihren Vertreter bestimmen. Herr Wiesehügel, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wiesehügel: Ja, bitte schön, Wiederhören!
Einer der Kandidaten bei der Sozialwahl 2011 ist Klaus Wiesehügel, der Vorsitzende der IG Bauen-Agrar-Umwelt geht als Spitzenkandidat der Liste 12 in die Wahl, das ist die des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Tag, Herr Wiesehügel!
Klaus Wiesehügel: Schönen guten Tag!
Hatting: Bei der letzten Sozialwahl hat nicht einmal jeder Dritte abgestimmt. Wenn diese Wahl so wichtig ist, Herr Wiesehügel, warum interessiert sie kaum jemanden?
Wiesehügel: Ja, vielleicht liegt das auch daran, dass wir natürlich immer unter doppeltem Vorwurf sind. Es gibt immer einige, die sagen, ja noch so eine Wahl, die nichts bringt und viel Geld kostet. Deswegen sind ja die Wahlen reine Briefwahlen und finden nicht wie etwa Bundestagswahlen und Kommunalwahlen in Wahlbüros statt, wo man also mal eben so sonntags hingehen kann. Wenn man nur über Briefwahl eine Beteiligung will, dann ist das schon schwierig, diese entsprechenden Beteiligungen zu bekommen.
Dann haben wir natürlich nicht die öffentlichen Plakatwände, den tagtäglichen Hinweis darauf. Es gibt jetzt einige Plakate, die darauf hinweisen, jetzt findet also die Wahl statt, aber die Auseinandersetzung der Kandidaten, die Auseinandersetzung über Themen findet auch nicht statt wie bei anderen Wahlen. Und wenn wir das Ergebnis dann sehen und nach einer harten Wahlschlacht um ein Bürgermeisteramt dort auch nur eine Beteiligung von 20, 25 Prozent manchmal sehen, dann ist das bei den Sozialwahlen gar nicht mehr so erschreckend.
Hatting: Ja Herr Wiesehügel, kann es aber vielleicht auch daran liegen, dass ein Teil der Sozialwahl als Friedenswahl bezeichnet wird, das heißt, es steht sowieso schon vorher fest, welcher Kandidat da hineinkommt, weil es abgesprochen worden ist? Das heißt, es ist eigentlich in vielen Teilen gar keine richtige Wahl, sondern es ist nur eine Bestätigung der Kandidaten?
Wiesehügel: Ja, bei den Friedenswahlen muss man nicht diejenigen beschimpfen, die kandidieren auf einer Liste, und es gibt keine Gegenkandidaten. Wenn es Gegenkandidaten geben würde, dann wären es auch keine Friedenswahlen. Das mit der Absprache, das ist dann immer sehr schnell gesagt. Der eigentliche Hintergrund ist also tatsächlich: Wir haben keine weiteren Gegenkandidaten, wir haben die Kandidaten zum Beispiel aus Gewerkschaftlern, von uns aus in verschiedenen Berufen, in verschiedenen Altersgruppen, aus unterschiedlichen Regionen, große und kleine Betriebe berücksichtigt, haben das zusammengenommen, geben dafür auch den Anlass, von anderen dagegen zu kandidieren, halten das nicht für eine wirklich schlechte Situation, sondern ich glaube, in der Praxis sind Friedenswahlen auch ein ziemlich großer Vertrauensbeweis.
Hatting: Warum gibt es keine Gegenkandidaten?
Wiesehügel: Ja, das müssen Sie die fragen, die nicht kandidieren. Wir stellen uns jeder Wahl, die sich gibt. Wenn also welche sagen, nein, jetzt, da sind alles viel zu viel Gewerkschafter drauf, da wollen wir mal gegen kandidieren, ja, Konkurrenz ist gar nicht schlecht, dann sollen sie kandidieren! Wir versuchen innerhalb unserer Interessenssphäre, derjenigen, die sich für soziale Politik engagieren, die gewerkschaftlich organisiert sind, versuchen wir gemeinsam aufzutreten. Das gelingt nicht überall, Sie haben das vorhin mit der Rentenversicherung noch mal sehr deutlich gemacht, aber bei einigen Krankenkassen ist das so, dass wir das dann möglichst gemeinsam machen. Und daraus entstehen Friedenswahlen.
Hatting: Letztlich ist es ja so, dass 95 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen zum Beispiel gesetzlich festgelegt sind. Das heißt, Sie entscheiden, wenn Sie mitentscheiden in dem entsprechenden Gremium, ja nur über einen ganz, ganz, ganz kleinen Bestandteil. Liegt das vielleicht auch daran, dass viele Leute sagen, ich habe keine Lust auf so was, weil letztlich mitbestimmen tu ich sowieso nicht?
Wiesehügel: Ja, das weiß ich nicht, ob das tatsächlich ein guter Standpunkt ist, denn wenn ich jeden Monat meine Sozialversicherungsbeiträge bezahle, dann möchte ich eigentlich auch da mitbestimmen können, wofür die Gelder ausgegeben werden. Und so ganz, ganz, ganz machtlos sind wir ja auch nicht. Neben dem Budgetrecht gehört auch die Einstellung und Entlassung zum Beispiel der Manager, die ja oft auch in der Kritik stehen, über die ja auch viel geredet wird, zu den Aufgaben auch der Selbstverwaltung.
Ich gebe Ihnen aber recht, der Einfluss von Politik und Wirtschaft auf die Sozialversicherung wird leider immer größer. Politik und Wirtschaft, das ist nämlich genau der Punkt, arbeiten da Hand in Hand, die Selbstverwalter immer weiter rauszudrängen. Das kann aber nicht der Grund sein für uns, ja ist gut, Unternehmer und Politik haben da so miteinander uns zurückgeschubst, dass wir sagen, nein, das machen wir jetzt gar nicht mehr. Die Möglichkeiten, die wir noch haben, die wollen wir nutzen und es ist sehr oft auch für den Einzelnen, der sich dann an uns wendet, der sagt, ich brauche dringend mal einen Kontakt zu der Krankenkasse, könnt ihr uns nicht mal helfen, dann können wir auch Einzelnen helfen. Also Selbstverwalter tun viel im Stillen, aber sind also auch nicht ganz ohne Einfluss, zumindest wenn es darum geht, den richtigen Mann an der Spitze zu haben.
Hatting: Ja, Herr Wiesehügel, Sie beschreiben das so wie so ein Naturgesetz, dass der Einfluss der Selbstverwalter immer weniger wird, der von Politik und von Wirtschaft immer mehr zunimmt. Was muss denn getan werden, damit sich das wieder umkehrt?
Wiesehügel: Ja, wir müssen mehr Leute haben, die sich dafür interessieren. Das Ganze findet also alles so ein bisschen statt unter den großen Themen, es gelingt uns nicht, die Themen möglichst ganz, ganz nach vorne zu hieven, das ist mir schon oft aufgefallen, dass also Leute, die sich eigentlich sehr vital um ihre Rentenfragen kümmern müssen, immer erst dann zu mir kommen oder zu unseren Sekretären kommen, wenn sie also nun gerade den letzten Rentenbescheid bekommen haben oder den ersten Rentenbescheid bekommen haben. – Wie, so wenig ist das nur? Das hätte ich aber nicht gedacht! – Das heißt, man hat ein Leben lang Zeit, sich eigentlich mit den Dingen zu beschäftigen, man beschäftigt sich aber damit nicht, weil es so viele schöne andere interessante Sachen gibt.
Ich war ja auch mal Bundestagsabgeordneter, ich habe das auch in der Politik erlebt: Sozialpolitik war immer nur ein ganz kleiner Kreis, der sich hier ernsthaft damit beschäftigt hat, weil es ist nicht einfach, hat mit Gesetzesmaterie zu tun, man muss sich reinknien und es findet auch nicht jeder sexy, sich damit zu beschäftigen. Deswegen manchmal sehr elitär in einigen Bereichen. Aber umso dringender, umso wichtiger, dass sich trotzdem ein paar Menschen darum kümmern und wir nicht alles denjenigen überlassen, die das am grünen Tisch oder nur durch den Blick durch die Finanzröhren sehen.
Hatting: Zur Sozialwahl war das ein Interview mit Klaus Wiesehügel, Chef der IG Bauen-Agrar-Umwelt und Kandidat der Sozialwahl. Bis zum 1. Juni können Versicherte per Briefwahl ihren Vertreter bestimmen. Herr Wiesehügel, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wiesehügel: Ja, bitte schön, Wiederhören!