Sozialsysteme in Not
Mit der von ihm geplanten Angleichung des Pensionsalters an das Rentenalter von 67 Jahren hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble den Deutschen einen Dienst erwiesen, den er vielleicht gar nicht im Auge hatte. Gemeint ist nicht die doch wohl selbstverständliche Länge der Lebensarbeitszeit von Staatsdienern und allen anderen Beschäftigten.
Das sind, wie es der einstige Deutsche Bank Chef Hilmar Kopper zu bezeichnen pflegte, doch eher "Peanuts" - nicht zuletzt, weil die Anpassung ja erst im Jahr 2029 abgeschlossen sein soll. Nein, Schäubles Verdienst liegt auf anderem Terrain. Er hat vielleicht unfreiwillig die Generaldebatte über die Alterssysteme eröffnet. Denn Fakt ist, dass die Masse der Staatsdiener mit ihren prächtigen Pensionen über die mageren Renten nur mitleidig lächeln können. Nach über 40 Jahren kann ein Arbeitnehmer, selbst wenn er immer die Höchstbeiträge eingezahlt hat, allenfalls eine Rente von 2000 Euro beziehen. Und Höchstbeiträge hat kaum einer vom Beginn seines Berufes an eingezahlt. Folglich klaffen zwischen den Altersbezügen der Staatsdiener und denjenigen normaler Arbeitnehmer Welten. Und das hat auch nichts mit der Qualifizierung zu tun. Das gilt für angestellte Juristen, Architekten, Ingenieure und Ärzte genauso wie für bestens ausgebildete Industriemeister.
Und für die Rentenempfänger gilt seit dem Kabinettsbeschluss der Großen Koalition aus dem Jahre 2006 noch eine weitere Verschärfung. Denn damals sind die Renten praktisch eingefroren worden. Das heißt nominell nehmen sie nicht ab, aber sie wachsen auch nicht. Weil sich die Inflation aber von Regierungsbeschlüssen nicht im Geringsten beeindrucken lässt, verlieren die eingefrorenen Renten Kaufkraft – derzeit jedes Jahr rund 1,8 Prozent. Zusammengerechnet auf zehn Jahre bedeutet dies, dass im Jahr 2016 die Durchschnittsrente von derzeit 750 Euro auf eine Kaufkraft von rund 520 Euro geschrumpft sein wird. Davon wird kein Bundesbürger leben können.
Man braucht nur die deutlich darüber liegenden Hartz-IV-Sätze zum Vergleich heranzuziehen. In der Konsequenz werden Millionen von braven und treu beitragzahlenden Arbeitnehmern als Rentner nun den Staat quasi als Armenkasse anbetteln müssen. Sie werden Wohn-, Essens-, Kleidungs- und Heizgeld beantragen müssen.
Einmal ganz abgesehen von der persönlichen Demütigung des Menschen stellt sich der Gesamtgesellschaft ein Gerechtigkeitsproblem. Denn wie zuvor angesprochen liegen die Pensionen der Staatsdiener - mit vielfach geringerer Qualifikation – deutlich darüber und sie wachsen auch mit den Gehältern weiter fröhlich mit. Legitimiert wird diese Ungerechtigkeit mit einer Begründung aus dem 19. Jahrhundert. Dieser zufolge schuldet der Staat nicht ein Gehalt und Alterssicherung, sondern vielmehr einen angemessenen Unterhalt bis ans Lebensende. Diese Vorstellungen entsprechen in keiner Weise mehr der modernen arbeitsteiligen Welt. Der große Unterschied in den Altersbezügen kann doch nicht davon abhängen, dass zum Beispiel der Ingenieur eine staatliche Dienstmütze auf hat.
Jahrzehntelang wurde argumentiert, diese Art Unterschiede legitimierten sich aus der Gehaltsdifferenz von Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft und denjenigen, die im Staatsdienst schlechter besoldet werden. Das aber war schon immer eine Milchmädchenrechnung. Denn erstens genießen die Beamten und Angestellten des Staates ein Privileg, das in Zeiten von vier Millionen Arbeitslosen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Die faktische Unkündbarkeit, also den Arbeitsplatz, der nicht verloren gehen kann. Zweitens sind die normalen Einkommensunterschiede auch nicht so groß wie stets behauptet. Und drittens gilt: Um Pensionen, wie sie die Mehrzahl der Beamten erhält, durch Einzahlungen in Versicherungskassen zu erwerben, müssten sie massive Summen aufbringen. Schlägt man diese auf die Einkommen der Staatsdiener drauf, so egalisiert sich der behauptete Einkommensunterschied sehr schnell.
Kurz, das derzeitige Alimentationsprinzip des Staates ist schlicht überholt.
Und das ist es noch mehr angesichts der in wenigen Jahren drohenden Altersarmut von Millionen Normalrentnern. Und genau davor warnen schon heute die meisten der Rentenexperten. Selbstverständlich werden die Interessenvertreter der Beamten umgehend nach dem bekannten Pawlowschen Reflex das Wehgeschrei anstimmen, dadurch drohe der Untergang des Staates, weil das Berufsbeamtentum seine wohltuende Wirkung für die Gemeinschaft nicht mehr ausüben könne. Das Gezeter würde die Gesellschaft wohl kalt lassen, wären da nicht die Parlamente, in denen heute die Staatsdiener die Mehrheit der Abgeordneten stellen.
Und die unternehmen dann trickreich alles, um die schönen eigenen Privilegien zu retten. Aber inzwischen ist alles anders geworden. Die drohende Altersarmut setzt neues Denken und damit eine neue Politik in Bewegung. Diese können auch die beinharten Interessenvertreter nicht aufhalten. Es wäre besser, alle begännen schon jetzt mit der Umgestaltung des Systems – sowohl für Rentner wie auch für Pensionäre.
Dr. Friedrich Thelen geboren am 16. Oktober 1941 in Berlin
1961- Abitur, Grundwehrdienst als Leutnant der Reserve - heute: Oberst d. R.
1962 - 1964 - Studium der Rechtswissenschaften, Geschichte und Philosophie in Marburg, Strassburg und Bonn, Staatsexamen
1964 - 1965 - Studium an der London School of Economics und Barristerausbildung in London
1965 - 1968 - Universität Bonn, Staatsexamen
1968 - 1974 - Referendarausbildung und Bundestagsassistent
1974 - Promotion
1974 - Ressortleiter Außenpolitik bei Christ und Welt
1976 - Geschäftsführer beim Deutschen Entwicklungsdienst
1977 - Ressortleiter Rechtspolitik bei Die Welt
ab 1978 Bonner Korrespondent und Büroleiter der Wirtschaftswoche
1988 - Fellow Harvard University, John F. Kennedy School for Government
ab 1999 Berliner Büroleiter der Wirtschaftswoche
Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der Atlantik Brücke, Tönnissteiner Kreis, Mars und Merkur
Und für die Rentenempfänger gilt seit dem Kabinettsbeschluss der Großen Koalition aus dem Jahre 2006 noch eine weitere Verschärfung. Denn damals sind die Renten praktisch eingefroren worden. Das heißt nominell nehmen sie nicht ab, aber sie wachsen auch nicht. Weil sich die Inflation aber von Regierungsbeschlüssen nicht im Geringsten beeindrucken lässt, verlieren die eingefrorenen Renten Kaufkraft – derzeit jedes Jahr rund 1,8 Prozent. Zusammengerechnet auf zehn Jahre bedeutet dies, dass im Jahr 2016 die Durchschnittsrente von derzeit 750 Euro auf eine Kaufkraft von rund 520 Euro geschrumpft sein wird. Davon wird kein Bundesbürger leben können.
Man braucht nur die deutlich darüber liegenden Hartz-IV-Sätze zum Vergleich heranzuziehen. In der Konsequenz werden Millionen von braven und treu beitragzahlenden Arbeitnehmern als Rentner nun den Staat quasi als Armenkasse anbetteln müssen. Sie werden Wohn-, Essens-, Kleidungs- und Heizgeld beantragen müssen.
Einmal ganz abgesehen von der persönlichen Demütigung des Menschen stellt sich der Gesamtgesellschaft ein Gerechtigkeitsproblem. Denn wie zuvor angesprochen liegen die Pensionen der Staatsdiener - mit vielfach geringerer Qualifikation – deutlich darüber und sie wachsen auch mit den Gehältern weiter fröhlich mit. Legitimiert wird diese Ungerechtigkeit mit einer Begründung aus dem 19. Jahrhundert. Dieser zufolge schuldet der Staat nicht ein Gehalt und Alterssicherung, sondern vielmehr einen angemessenen Unterhalt bis ans Lebensende. Diese Vorstellungen entsprechen in keiner Weise mehr der modernen arbeitsteiligen Welt. Der große Unterschied in den Altersbezügen kann doch nicht davon abhängen, dass zum Beispiel der Ingenieur eine staatliche Dienstmütze auf hat.
Jahrzehntelang wurde argumentiert, diese Art Unterschiede legitimierten sich aus der Gehaltsdifferenz von Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft und denjenigen, die im Staatsdienst schlechter besoldet werden. Das aber war schon immer eine Milchmädchenrechnung. Denn erstens genießen die Beamten und Angestellten des Staates ein Privileg, das in Zeiten von vier Millionen Arbeitslosen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Die faktische Unkündbarkeit, also den Arbeitsplatz, der nicht verloren gehen kann. Zweitens sind die normalen Einkommensunterschiede auch nicht so groß wie stets behauptet. Und drittens gilt: Um Pensionen, wie sie die Mehrzahl der Beamten erhält, durch Einzahlungen in Versicherungskassen zu erwerben, müssten sie massive Summen aufbringen. Schlägt man diese auf die Einkommen der Staatsdiener drauf, so egalisiert sich der behauptete Einkommensunterschied sehr schnell.
Kurz, das derzeitige Alimentationsprinzip des Staates ist schlicht überholt.
Und das ist es noch mehr angesichts der in wenigen Jahren drohenden Altersarmut von Millionen Normalrentnern. Und genau davor warnen schon heute die meisten der Rentenexperten. Selbstverständlich werden die Interessenvertreter der Beamten umgehend nach dem bekannten Pawlowschen Reflex das Wehgeschrei anstimmen, dadurch drohe der Untergang des Staates, weil das Berufsbeamtentum seine wohltuende Wirkung für die Gemeinschaft nicht mehr ausüben könne. Das Gezeter würde die Gesellschaft wohl kalt lassen, wären da nicht die Parlamente, in denen heute die Staatsdiener die Mehrheit der Abgeordneten stellen.
Und die unternehmen dann trickreich alles, um die schönen eigenen Privilegien zu retten. Aber inzwischen ist alles anders geworden. Die drohende Altersarmut setzt neues Denken und damit eine neue Politik in Bewegung. Diese können auch die beinharten Interessenvertreter nicht aufhalten. Es wäre besser, alle begännen schon jetzt mit der Umgestaltung des Systems – sowohl für Rentner wie auch für Pensionäre.
Dr. Friedrich Thelen geboren am 16. Oktober 1941 in Berlin
1961- Abitur, Grundwehrdienst als Leutnant der Reserve - heute: Oberst d. R.
1962 - 1964 - Studium der Rechtswissenschaften, Geschichte und Philosophie in Marburg, Strassburg und Bonn, Staatsexamen
1964 - 1965 - Studium an der London School of Economics und Barristerausbildung in London
1965 - 1968 - Universität Bonn, Staatsexamen
1968 - 1974 - Referendarausbildung und Bundestagsassistent
1974 - Promotion
1974 - Ressortleiter Außenpolitik bei Christ und Welt
1976 - Geschäftsführer beim Deutschen Entwicklungsdienst
1977 - Ressortleiter Rechtspolitik bei Die Welt
ab 1978 Bonner Korrespondent und Büroleiter der Wirtschaftswoche
1988 - Fellow Harvard University, John F. Kennedy School for Government
ab 1999 Berliner Büroleiter der Wirtschaftswoche
Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der Atlantik Brücke, Tönnissteiner Kreis, Mars und Merkur