„Sozialisierung“ von Banken rechtlich fragwürdig

Hans-Hugo Klein im Gespräch mit Leonie March |
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Hans-Hugo Klein, bezweifelt, dass eine Zwangsenteignung der maroden Hypo Real Estate mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der betreffende Artikel spreche nicht von Banken und Versicherungen, erläuterte Klein.
Leonie March: Eine Pleite der Hypo Real Estate muss unbedingt verhindert werden. Das ist Konsens in der Bundesregierung, denn die Bank ist strategisch wichtig. Ein Zusammenbruch hätte für Deutschland ähnliche Folgen wie der Kollaps der Lehman Brothers für die USA. Retten kann sie nur der Bund. Nur wie? – Um die Voraussetzungen für eine Verstaatlichung und eine mögliche Enteignung der Aktionäre wird es heute bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt gehen.
Über den rechtlichen Spielraum für den Einstieg des Staates bei der Hypo Real Estate spreche ich jetzt mit Professor Hans-Hugo Klein, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts. Guten Morgen, Professor Klein!

Hans-Hugo Klein: Guten Morgen, Frau March.

March: Welche rechtlichen Vorgaben gibt es denn für die Verstaatlichung einer Bank wie der Hypo Real Estate?

Klein: Ich beurteile die Frage einer Verstaatlichung als sehr problematisch, denn wir haben ja im Grundgesetz einen Artikel 15. Der bestimmt, dass Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zweck der Vergesellschaftung durch ein Gesetz in Gemeineigentum überführt werden kann. Von Banken wie ja auch von Versicherungen ist da nicht die Rede. Und die herrschende Meinung geht eindeutig dahin, dass solche Dienstleistungsbetriebe einer Sozialisierung nicht zugänglich sind. Das ist das eine.
Man kann überlegen, ob unabhängig von der Unzulässigkeit einer Sozialisierung, sprich Verstaatlichung von Banken, einzelne Eigentümer eines Bankunternehmens enteignet werden können. Das wäre, wenn überhaupt, wenn man es nicht als eine Umgehung des Verstaatlichungs- oder Sozialisierungsgebots ansieht, überhaupt nur zulässig, wenn ein anderes Mittel zur Sanierung der Bank gar nicht mehr vorstellbar wäre, wenn also nur das noch übrig bliebe als ein Mittel zur Abwendung größeren Schadens.

March: Sie haben die Enteignung der Aktionäre gerade angesprochen. Die ist ja auch im Gespräch. Unter welchen Bedingungen wäre sie denn mit dem Grundgesetz vereinbar?

Klein: Wie gesagt, wenn man überhaupt auf diesem Umweg dann doch zu einer völligen oder teilweisen Sozialisierung einer Bank gelangen dürfte, dann nur, wenn die Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit erfolgt, sprich wenn es eben kein anderes Mittel gibt, um einen wichtigen, überragenden Gemeinwohlzweck zu erreichen.

March: Die Aktionäre müssen dann ja entschädigt werden. Auch das ist festgelegt. Welche verfassungsrechtlichen Vorgaben gibt es denn dabei?

Klein: Die Entschädigung muss nach dem Text des Gesetzes der Verfassung angemessen sein. Normalerweise ist das der Wert, den der zu enteignende Gegenstand hat. So ist es etwa bei der Enteignung von Grundstücken immer begriffen worden und anders könnte es bei Anteilseigentum an einer Aktiengesellschaft auch nicht sein. Wenn der zu enteignende Gegenstand keinen Wert hat, dann ist die Entschädigung mehr oder weniger null.

March: Das wäre dann ja wahrscheinlich bei der Hypo Real Estate auch so. Der Hauptaktionär ist der US-Investor Christopher Flowers, der knapp 25 Prozent der Anteile hält. Es wird spekuliert, dass er eine mögliche Entschädigung nach oben treiben will. Hat er dafür rechtlichen Spielraum?

Klein: Ja. Er kann natürlich sagen, dass die momentane Flaute dieser Bank eine vorübergehende ist und dass der derzeitige Wert seiner Anteile nicht den realen Wert widerspiegelt. Insofern kann er hoffen oder vielleicht darauf spekulieren, dass er etwas mehr bekommt als nichts. Aber das ist eine gewagte Spekulation.

March: Nun berät die Regierung ja heute wieder über eine mögliche Verstaatlichung, über die Spielräume für die Entschädigung. Sollte sie sich dafür entscheiden, rechnen Sie dann mit Verfassungsklagen?

Klein: Ich rechne mit Sicherheit mit Verfassungsklagen, sowohl was die prinzipielle Zulässigkeit der Enteignung angeht, als auch was gegebenenfalls die Höhe der Entschädigung angeht, wenn die Regierung sich nicht überaus großzügig erweisen sollte.

March: Sie setzen sich ja schon lange mit dem Thema auseinander, Professor Klein. 1967 haben Sie Ihre Habilitation zum Thema „Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb“ veröffentlicht. Damals gab es noch mehr staatliche Unternehmen. Dann kam eine Welle der Privatisierungen. Jetzt wird wieder über Verstaatlichung diskutiert. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Klein: Die jetzige Entwicklung bewerte ich als eine Folge dessen, dass der Staat dem Markt zu viel Freiheit gelassen hat. Soziale Marktwirtschaft bedeutet ja, dass der Staat dem Markt einen Rahmen setzt. Diese Rahmenlinien sind in der Vergangenheit zu weit gezogen worden und diesem Umstand verdanken wir zu einem Teil jedenfalls die gegenwärtige Krise. Es ist also sicherlich nicht so, dass der Staat keine Verantwortung trüge für das, was wir derzeit erleben. Das beweist aber zugleich, dass der Staat als Wirtschaftender auch nicht immer die glücklichste Hand hat. Man muss da nur auf die Staatsbanken verweisen. Also im Augenblick bleibt nichts anderes, als die Rettung durch den Staat, aber der Staat sollte sich davor hüten, sich in dieser Situation zu überschätzen. Und was immer er jetzt an Eigentum im wirtschaftlichen Bereich an sich zieht, sollte er zum ehestmöglichen Zeitpunkt wieder an den Markt zurückgeben, allerdings nicht ohne für die Zukunft vorzusorgen, dass solche Turbolenzen nicht mehr entstehen.

March: Das heißt, wie weit darf und soll der Staat in der jetzigen Krisensituation in das Marktgeschehen eingreifen?

Klein: Darüber kann man natürlich nur ganz abstrakte Aussagen machen, weil dies vom konkreten Einzelfall abhängt. Grundsätzlich ist es sicher richtig zu sagen, dass der Staat sich als selbst Wirtschaftender tunlichst zurückzuhalten hat.

March: Professor Hans-Hugo Klein, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Klein: Ich danke Ihnen.


Das Gespräch mit Hans-Hugo Klein können Sie bis zum 4. Juli 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio