Michaela Karl: "'Ladies und Gentlemen, das ist ein Überfall!' - Die Geschichte von Bonnie & Clyde"
Residenz-Verlag, St. Pölten/Salzburg/Wien 2013
302 Seiten, 24,90 Euro
Bonnie und Clyde jenseits des Mythos
Sie ist Bestandteil der Popkultur, wurde verfilmt und besungen: Die Geschichte von Bonnie und Clyde, des Pärchens, das in den 1930er-Jahren mordend und raubend durch den Mittleren Westen der USA zog. Die Münchner Autorin Michaela Karl zeigt, wie dieser Mythos entstand.
Cäsar und Kleopatra, Romeo und Julia, Bonnie und Clyde. Unter den berühmten Paaren unseres kollektiven Gedächtnisses nehmen Letztere durchaus eine Sonderstellung ein: Sie drehten nicht am Rad der Geschichte und waren keine hoch stilisierten Figuren der Weltliteratur, sondern nur ein verbrecherisches Pärchen, das mordend und raubend durch entlegene Winkel des südlichen Mittleren Westens der USA zog und letztendlich von der Polizei erschossen wurde.
Berühmt geworden sind sie als populärkultureller Mythos: sexy und tödlich, als Robin Hoods in einer harten, gemeinen Welt, charmant und gut zu den Ihren, von den Umständen zu allerlei Untaten gezwungen und letztendlich in Gestalt von Faye Dunaway und Warren Beatty ikonographiert, von Serge Gainsbourg besungen und in vielen Diskussionen und multimedialen Bearbeitungen rund um das Phänomen der "Sozialbanditen" (nach dem englischen Historiker Eric Hobsbawm) letztendlich diskursrelevant geworden. Es sind also viele Schichten, unter denen die historischen Figuren Clyde Barrow und Bonnie Parker verschwunden sind.
Die Münchener Autorin Michaela Karl, deren brillante Biographien von Dorothy Parker und von F. Scott Fitzgerald sich ebenfalls intensiv mit den Vereinigten Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigen, wagt sich hier auf ungesichertes Terrain: Nicht um zu Lebzeiten als celebrities gefeierte Menschen in kultivierten Kontexten geht es, sondern um den Versuch, einen Mythos aus seiner Sozialgeschichte heraus verständlich zu machen.
Bonnie und Clyde sind paradoxerweise zu einem Mythos geworden
Das gelingt Karl extrem spannend. Bonnie und Clyde werden transparent - soweit Menschen das werden können - durch die genaue Analyse ihrer Zeit und Umwelt. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise trifft in den 1930er-Jahren die agrarischen Staaten des Mittleren Westens besonders, also die Gegenden in denen sich unser Narrativ hauptsächlich abspielt. Ganze Landstriche sind verarmt, die Gesellschaft ist weder friedliebend noch solidarisch, die Sitten sind teilweise von barbarischer Brutalität.
Besonders eindrücklich zeigt Karl das am Straf- und Gefängnissystem, an den chain-gangs und boot-camps, rechtlose Räume, von Willkür und Gewalt geprägt, die kein politischer Wille abschaffen möchte. Eine von Clyde Barrows zentralen Triebfedern, die fast sein gesamtes Handeln bestimmte, war der Widerwille und die panische Angst, zum wiederholten Mal in eine dieser Knochenmühlen zu geraten. Und für Bonnie Parker war weniger das glamouröse Gangsterleben faszinierend oder gar sexy, sondern die Solidarität mit "ihrem Mann", dem einzigen Fixpunkt im Universum, auf den sie sich verlassen wollte.
Als die Kettenreaktion aus Delikt und Verfolgung beginnt – wobei Karl klar zeigt, dass die beiden beim besten Willen keine kompetenten Kriminellen waren, sondern Amateure, die sehr gut Auto fahren konnten -, zeigen sich die Strafverfolgungsbehörden brachial: Gegen unbedarfte Einzeltäter auf dem flachen Land wie Bonnie und Clyde konnte man viel medienwirksamer Erfolge einfahren als gegen die ausgefuchsten Strukturen des organisierten Verbrechens in den Städten. Bonnie und Clyde sind paradoxerweise zu einem Mythos geworden, der von ihren Verfolgern zu ganz gegenläufigen Zwecken erfunden wurde. Und Michaela Karl ist eine grandiose Chronistin dieses Prozesses.