Sozialer Kampf im Szenekiez

Von Dirk Fuhrig |
Mehrere Jahre lang haben Jakob Rühle, Fabio Dondero und Teresina Moscatiello die Bewohner des Hauses Lychener Straße 64 in Berlin begleitet. Eigentlich sollten sie ausziehen, um wohlhabenden Familien Platz zu machen. Doch sie weigern sich - bis heute.
Ganz Prenzlauer Berg ist besetzt. Nein, nicht ganz. Ein kleines gallisches Dorf leistet erbittert Widerstand: die Lychener Straße Nummer 64. Die Invasoren: Wohlhabende Familien, die eine sanierte Altbau-Perle suchen. Die Widerständler: Eine Handvoll Leute, die sich aus ihren Wohnungen nicht vertreiben lassen wollen.

"Das war der Brief, als sie gesagt haben, wir müssten innerhalb einer Woche ausgezogen sein. Eine fristlose Kündigung. Und ich glaube, keiner freut sich darüber, am Montag zu erfahren, dass man am Samstag bitteschön ausgezogen ist."

Hohe Decken, Dielen, Flügeltüren – klassischer Berliner Altbau. Mit Hinterhof und Ofenheizung. Nach Komplett-Sanierung begehrt beim Mittelstand. Das Viertel, das heute europaweit als In-Viertel gilt - zu DDR-Zeiten vernachlässigt.

DDR-TV: "Prenzlauer Berg, Arbeiterbezirk im Norden Berlins. Auf einer Fläche von knapp elf Quadratkilometern leben über 200.000 Menschen. Die meisten Wohnhäuser stammen aus der sogenannten Gründerzeit. Trauriges Erbe kapitalistischen Profitstrebens. Aber die meisten Prenzlauer Berger lieben ihren Kiez."

Mehrere Jahre lang haben Jakob Rühle, Fabio Dondero und Teresina Moscatiello die Bewohner des Hauses Lychener Straße 64 begleitet. Ihr Film dokumentiert den Wandel des Prenzlauer Bergs vom Arbeiter-Kiez, Paradies für Hausbesetzer und Leute mit geringem Einkommen kurz nach 1989 zur teuren Top-Lage für Besserverdiener. Im Mittelpunkt des Films stehen die Bewohner des Hauses – Studenten, eine Abiturientin, eine Papageien-Züchterin. Aber es kommen auch Investoren, Stadtentwickler und Makler zu Wort.

De Film beschreibt beispielhaft - mit viel Sympathie für die Mieter, aber durchaus ausgewogen und vielschichtig – die gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen durch das, was heute "Gentrifizierung" genannt wird. Ein scheinbar unausweichlicher Prozess.

Am Ende werden die Bäder neu gekachelt. Die alten Mieter sind raus. Das gallische Dorf hat den Kampf verloren. Nicht nur das Haus hat sich durch und durch verändert. Sondern ein ganzes Stadtviertel, eine soziale Mischung.

"Das Lebensgefühl hat sich hier verschlechtert. Aufgrund dieser vielen Sanierereien. Weil viele interessante Leute, die wenig Geld haben, aber kreativ und intelligent sind, hier weggedrängt wurden. Die Chlorophyll-Marxisten hier, die grün reden, einen auf rot machen, aber das viele Geld im Nacken haben. Und die Leute wie mich als Störfaktor empfinden. Die wollen mich raus haben."