Soziale Netzwerke

Liebe kann man nicht kaufen, Follower schon

Ein Mann schlägt die Werbetrommel.
Manche verteilen ihre Likes und Shares wie erdbeerig duftende Küsschen in die Menge, meint Julya Rabinowich. © imago / Ikon Images
Von Julya Rabinowich · 18.10.2017
Wer in Sozialen Netzwerken aktiv ist, sammelt Follower wie Pilze. Manchmal erwischt man ein giftiges Exemplar, schreibt die Schriftstellerin Julya Rabinowich in ihren Überlegungen zum Verhältnis zwischen "Führendem" und "Folgendem".
Einmal in das Netz getreten, ist man nie mehr allein. Das kann Himmel sein. Oder auch Hölle. Und: Wer in das Netz blickt, in den blickt auch das Netz. Manchmal blickt es unter Gezeter, Lobeshymnen, Liebeserklärungen oder auch mit kühlem Schweigen.
Der Blick des Netzes heißt Follower. Wer die meisten Blicke sammelt, hat gewonnen. Ein Schneeballsystem, das nicht jeden glücklich machen kann. Follower ist eine Maßeinheit für digitale Aufmerksamkeit, die der Mensch genauso dringend braucht wie die Liebe. Auch Liebe macht manchmal süchtig, und manchmal prostituiert man sich für sie. Unterschiede gibt es natürlich auch: Liebe kann man nicht kaufen, Follower schon.

Stille und laute Follower

Die Natur des Followers ist vielfältig. Follower sammelt man wie Pilze: voller Inbrunst, und man kann schon mal ein giftiges Exemplar erwischen. Zu unterscheiden ist prinzipiell der stille und der laute Follower. Da gibt es jene, die einfach nur ihre Likes und Shares wie erdbeerig duftende Küsschen in die Menge verteilen. Sie sind die aufmerksamen oder vielleicht auch nur etwas wahllosen Seelenstreichler, die die Oxytocin-Ausschüttung großzügig manipulieren.
Nicht zu unterschätzen die digitalen Saubartln vulgo Rüpel, die alles, was ihnen im Weg steht, am liebsten in Flammen aufgehen sehen würden. Und das kann vieles sein - von politischen Standpunkten über die korrekt gewählte Fußballmannschaft bis hin zu Impfung oder Globuli.

Trolle, Droher und Schattenpirscher

Die tragischste digitale Ecke ist von Trollen, Drohern, Wiederbetätigern bevölkert, den strafrechtlich relevanten Tätern, die so gerne Frauen im Netz angreifen. Auch die Schlachtfelder des Wortes sind so unendlich wie die Dummheit und das Netz. Dann noch die A-, B- und C-Promis der digitalen Hackordnung, deren Gefolgschaft den eigenen Marktwert ausmacht. Von seriösen Starjournalisten bis hin zu Big Brother Sternchen, die täglich am liebsten auch ihre Intimrasur ins Netz stellen würden - weil die Fernsehkamera leider schon weg ist. Für Kranke stellt das Netz wiederum oft die einzige Verbindung zur Außenwelt her. Manche schöpfen aus den täglichen Genesungswünschen Kraft. Oder sie fühlen sich noch lebendig, wenn sie ihre täglichen Berichte aus dem Spital posten können. Auch Österreichs Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser hielt bis knapp vor ihrem frühen Tod mit 53 Jahren Kontakt zu ihren Followern.

Likes sind körperlose Berührungen

Die Virtualität des Netzes macht diesen flüchtigen Kontakt zu etwas anderem, ephemeren. Man ist da und doch nicht da. Gemeinsam und dennoch allein. Ein freundlicher Beitrag, ein kleines Like bedeutet körperlose Berührung, wie ein geisterhafter Besuch. Schlimm, wenn eines Tages die Antwort darauf wegbleibt. Und dann gibt es da die Meisterspione. Jene, die einem still und leise folgen, ohne in Erscheinung zu treten, sie bekommt man gar nicht mit. Diese sind manchmal die unheimlichsten. Die Schattenpirscher, die sämtliche unbekümmert zur Schau gestellte Information durchforsten. Weitergeben. Schlüsse ziehen. Das unangenehmste daran: Manchmal sind das Menschen, die man kennt. Die einem vielleicht nahestehen. Man weiß es nicht, und man hat auch keine Chance, es zu erfahren. Ein Betrug an der eigenen Intimität - allerdings erst möglich gemacht mit dem freiwilligen Verzicht auf seine Privatheit. Nacktheit versus Unsichtbarkeit. Und dann endet womöglich doch alles bei der Variation des alten Songtextes eines echten Wieners namens Kurt Sowinetz: Alle Mentions san mir zwider.

Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien. Sie ist bildende Künstlerin, Autorin, Simultandolmetscherin, Kolumnistin in der österreichischen Tageszeitung "Der Standard". Für ihren Debütroman "Spaltkopf" (2008) erhielt sie u.a. den Rauriser Literaturpreis, das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt. 2011 nahm Julya Rabinowich am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. Ihre Theaterstücke wurden an mehreren Bühnen aufgeführt, ihre Romane " Herznovelle" (2011, nominiert für den Prix du Livre Européen), "Die Erdfresserin" (2012) und "Krötenliebe" (2016) erschienen bei Deuticke. Für ihr bei Hanser 2016 publiziertes Buch "Dazwischen: Ich" erhielt Julya Rabinowich den österreichischen Jugendbuchpreis.

Julya Rabinowich
© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
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