Soziale Medien

Digitale fünfte Gewalt im Staat?

53:36 Minuten
Person hält ein Smartphone in der Hand, das den suspendierten Twitter-Account von Donald Trump zeigt.
Twitter ist die wichtigste Kommunikationsplattform von US-Präsident Donald Trumps gewesen. Nun ist sein Account gesperrt. © AFP / Getty Images via AFP / Justin Sullivan
Moderation: Birgit Kolkmann · 15.01.2021
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Die Sperrung von Donald Trumps Social-Media-Konten nach den Ausschreitungen seiner Anhängern in Washington hat eine grundlegende Diskussion neu entfacht: Haben Internetplattformen wie Twitter - und damit private Firmen - zu viel Macht?
Die sozialen Medien dienten Donald Trump als Sprachrohr in die Welt. Mit ihrer Hilfe bedrohte der 45. Präsident der USA seine Kritiker und jene Staatenlenker, die sein Missfallen auf sich gezogen hatten. Er hetzte gegen unliebsame Personen, belog seine Anhänger, seine Nation, die Welt. Er feuerte über Twitter Regierungsmitglieder und Mitarbeiter, die ihm nicht mehr genehm waren. Das alles ungefiltert, weitgehend unkontrolliert und ungebremst.
Forderungen nach der Sperrung von Trumps Social-Media-Konten hatte es immer wieder gegeben. Aber jetzt erst, nachdem radikalisierte Anhänger sich von Trump befeuert fühlten, gewaltsam wütend ins Kapitol einzudringen, kam es dazu.

Einzelne Unternehmen entscheiden

Auch wenn sich viele der Meinung anschließen, dass es richtig ist, jemandem die Möglichkeit zu nehmen, zu Gewalt oder zum Sturm auf demokratische Institutionen aufzurufen, so birgt diese Art digitaler Amtsenthebung auch Gefahren. Es sind letztlich einige wenige private Unternehmen, die über den Zugang zur wichtigsten Kommunikationsinfrastruktur in der vernetzten Welt entscheiden. Oder eben auch über den Ausschluss.
Jenseits des aktuellen Falles müssten die Plattformen ihre Kriterien und Regeln für Löschungen und Sperrungen transparenter machen, fordert die Faktcheckerin und Autorin Karolin Schwarz. Wichtig sei zudem für jeden Nutzer und jede Nutzerin die "Möglichkeit, solche Entscheidungen auch anzufechten".

Eine neue Gewaltenteilung?

Die sozialen Medien prägen den digitalen Diskurs und sind somit eine gestaltende Kraft in demokratischen Prozessen. Sie "steuern den Diskurs im öffentlichen Raum", analysiert der Journalist Mathias Müller von Blumencron. Sie sind damit längst "essenzieller Bestandteil der öffentlichen Meinungsbildung". Jede Kontrolle von staatlicher Seite sei ein sensibles Thema.
Verschiebt sich über den Einfluss der Internetplattformen die Gewaltenteilung? Kommen sie nach Exekutive, Legislative, Judikative und der freien Presse inzwischen de facto als weitere Gewalt im Staat dazu? Sie seien sogar "mehr als eine fünfte Gewalt", meint der Soziologe Ulrich Dolata, weil die Internetplattformen im Grunde "alle Funktionen in sich vereinigen".

Die liberale Demokratie verteidigen

Wenn der Staat stärker regulierend eingreift, sind dann Redefreiheit und Meinungsvielfalt in Gefahr? Oder besteht eher Gefahr, dass Redefreiheit und Meinungsvielfalt nicht an die nötigen gesetzlichen Grenzen stoßen?
Müssen die Werte liberaler Demokratien wehrhafter verteidigt werden, wenn Lügen, Anstachelung zu Gewalt und Menschenverachtung – in welcher Form auch immer – keinen Platz haben können? Und wie geht man mit dem Dilemma um, dass der Einfluss auf Sperrungen und Löschungen von Inhalten immer auch zum politisch motivierten Missbrauch einladen könnte?

Wir diskutieren im "Wortwechsel" mit:

Mathias Müller von Blumencron, Journalist und Co-Chefredakteur des "Tagesspiegel"
Karolin Schwarz, Autorin, freie Journalistin, Faktencheckerin
Ulrich Dolata, Soziologe am Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung für Organisations- und Innovationssoziologie an der Uni Stuttgart

(anri)
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