Soziale Gerechtigkeit

SPD und Linke in der Defensive

07:05 Minuten
Ein abgerissenes Wahlplakat der CDU hängt an der Wand eines leerstehenden Hauses in Oranienbaum-Wörlitz (Sachsen-Anhalt).
Perspektiven vermisst: Straßenszene in Oranienbaum-Wörlitz (Sachsen-Anhalt). © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Alexander Kritikos im Gespräch mit Dieter Kassel · 08.06.2021
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Wer sorgt am ehesten für soziale Gerechtigkeit? Die CDU, sagen die Menschen in Sachsen-Anhalt in einer Umfrage. Warum schwächeln SPD und Linke bei ihrem Kernthema? Antworten von DIW-Forscher Alexander Kritikos.
Laut einer infratest-dimap-Umfrage haben die Wählerinnen und Wähler in Sachsen-Anhalt der CDU am ehesten zugetraut, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Die Parteien hingegen, die die soziale Gerechtigkeit als ihr Kernthema reklamieren, verlieren laut diesem Stimmungsbild drastisch an Vertrauen: Die Linke büßte im Vergleich zu 2016 fünf Prozentpunkte ein, die SPD sogar neun.

Soziale Gerechtigkeit hat viele verschiedene Facetten

Wie kann das sein? Warum schaffen es SPD und Linke in Ostdeutschland nicht, ihre Kernthemen in Wählerstimmen umzumünzen? Alexander Kritikos ", Forschungsdirektor der Querschnittsgruppe "Entrepreneurship" beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) verweist darauf, dass das Thema soziale Gerechtigkeit viele verschiedene Facetten hat.
Menschen mit geringem Einkommen hätten in Sachsen-Anhalt vor allem deshalb AfD gewählt, weil es für sie in den vergangenen Jahren kaum Lohnzuwächse gegeben habe, sagt Kritikos. Und auch die Wähler, die das Thema soziale Gerechtigkeit gesamtgesellschaftlich nicht verwirklicht sähen, hätten ihre Stimme oft der AfD gegeben.
Der dritte und wesentlichste Aspekt ergebe sich aber beim Blick in die ostdeutschen Flächenregionen, so Kritikos. Diese seien von Abwanderung und Überalterung geprägt, die jungen Menschen empfänden Perspektivlosigkeit.
Auch hier stelle sich die Frage der sozialen Gerechtigkeit – und dieser Aspekt werde bisher zu wenig diskutiert, kritisiert der Forscher. Wer verhindern wolle, dass rechts gewählt werde, müsse an diesem Punkt ansetzen. In den ländlichen Regionen habe die CDU habe im Übrigen die gleichen Probleme wie SPD und Linke.

Der Mindestlohn ist nicht für alle die Antwort

Dass die SPD nicht mit der von ihr forcierten Einführung des Mindestlohns punkten kann, erklärt Kritikos damit, dass dieser nur für eine bestimmte Klientel eine Antwort darstelle – und diese sei "überschaubar." Der Mindestlohn sei keine Antwort für Menschen, die andere Sorgen hätten: Wer halbwegs gut bezahlt werde, sich aber dennoch perspektivlos fühle, sehe in ihm keine Lösung.
Die SPD müsse ihre eigenen Erfolge besser verkaufen, das habe sie beim Mindestlohn verpasst, sagt Kritikos. Sie müsse aber auch "mehrdimensionaler" werden, was die aktuellen Probleme angehe – und sich wieder den Problemen der Arbeiter zuwenden. "Das findet bis heute nicht statt."
(ahe)
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