Sozialarbeiter in Uniform?
In Berlin zeigt man sich überrascht und pikiert über einen schroffen Brief des US-Verteidigungsministers, der die Deutschen auffordert, endlich auch an Kampfhandlungen im Süden Afghanistans teilzunehmen. In Wirklichkeit dauert die Weigerung der Bundesregierung, das Mandat der Bundeswehr über den Norden des Landes hinaus auszuweiten, schon mindestens zwei Jahre an - ebenso wie die Verärgerung eines Teils der Nato-Verbündeten darüber, dass allein sie die Last gefährlicher Kampfeinsätze tragen müssen.
Der Druck geht dabei nicht in erster Linie von den US-Amerikanern aus, sondern vor allem von Nato-Partnern wie den Kanadiern, die in kurzer Zeit über 60 Mann in Gefechten mit den Taliban verloren haben. Längst sehen sie nicht mehr ein, dass wichtige europäische Nationen wie Deutschland vor allem darauf bedacht sind, die wirklichen Aufgaben, Verpflichtungen und Risiken der Nato-Mission vor ihrer eigenen Bevölkerung zu verschleiern. Die Kanadier hassen und fürchten den Krieg nämlich nicht weniger als die Deutschen, und ein gefallener kanadischer Soldat ist nicht weniger beklagenswert als ein deutscher.
Nach jahrelangem Ignorieren und Aussitzen der Hilferufe der Bündnispartner ist es nun aber für die deutsche Politik höchste Zeit, der Bevölkerung über die erforderlichen Anstrengungen für eine erfolgreiche Operation am Hindukusch reinen Wein einzuschenken - dass die Hauptaufgabe der Bundeswehr nämlich nicht ist, sich als ziviler Aufbauhelfer zu betätigen, sondern militärisch für die Sicherheit zu sorgen, die diesen Aufbau überhaupt erst möglich macht.
Aber vor den schlimmen K-Wörtern - Krieg gegen den Terror, Kampfeinsatz - schrecken deutsche Politiker noch immer zurück wie vor dem Namen des Leibhaftigen. So fördern sie die unter den Deutschen weit verbreiteten Vorurteile, nach denen wir am Hindukusch von den bösen Amerikanern in einen Krieg hineingezogen würden, mit dem wir in Wirklichkeit gar nichts zu tun hätten.
Tatsächlich aber handelt es sich bei dem Konzept einer Nachkriegsordnung für Afghanistan ganz Wesentlich um ein Projekt unter deutscher Federführung - es wurde Ende 2001 auf dem Petersberg in Bonn ausgehandelt. Die Sicherung dieser Ordnung überlassen wir aber, wenn es akut gefährlich wird, lieber anderen und erwecken den Eindruck, unser Part sei nur der des menschenfreundlichen Zivileinsatzes. In Wahrheit ist auch die Bilanz des deutschen zivilen Aufbaus mangelhaft. Auch für zivile Aufgaben wenden die USA allein ein Mehrfaches auf als die Europäer zusammengenommen.
Deutlich ausgesprochen werden muss auch, dass es sich bei der Internationalen Schutztruppe Isaf um ein Gesamtprojekt der Nato handelt, in dessen Rahmen alle für alle einstehen müssen. Deutschlands Beitrag zu Isaf ist keine Gefälligkeit, sondern eine Verpflichtung; man kann sie nicht nach eigenem Gutdünken auf das reduzieren, was einem innenpolitisch gerade noch opportun erscheint.
Wie ein Hohn klingt es, wenn Verteidigungsminister Jung jetzt sagt, eine Unterstützung der Nato-Kräfte im Süden übersteige die Fähigkeiten der Bundeswehr - die logische Folgerung daraus wäre doch wohl, ihre Ausstattung so schnell wie möglich zu verbessern. Aber mehr Mittel für das Militär aufzubieten, erscheint der Bundesregierung und den deutschen Parteien insgesamt so maßlos unpopulär, dass sie das erst gar nicht versuchen wollen.
Deutschland muss sich darüber klar werden, welchen Stellenwert es in der Weltpolitik bereits einnimmt - und ob es ihm gerecht werden will. Unsere Freiheit und Sicherheit wurde jahrzehntelang von unseren westlichen Verbündeten garantiert. Jetzt können wir uns nicht herausreden, wenn die Sicherung der Freiheit des Westens von uns auch möglicherweise schmerzliche Beiträge erfordert. Die Alternative wäre, uns aus dem politisch-militärischen Solidarverband des Westens zu verabschieden. Sie muss dann aber auch klar ausgesprochen werden, mit allen Konsequenzen.
Das Risiko einer deutschen Kampfbeteiligung ist übrigens durchaus kalkulierbar. Die Aufstandsbewegung der Taliban konzentriert sich auf ein Zehntel des afghanischen Territoriums, und sie ist deutlich rückläufig. Verlorengehen könnte die Mission der Nato nicht aus militärischen, sondern politischen Gründen. In Mazar-el-Sharif, im angeblich so vorbildlichen Norden des Landes, soll jetzt ein Journalist wegen Gotteslästerung hingerichtet werden, weil er islamkritische Materialien recherchierte. Würde dieser barbarische Akt unter den Augen der Bundeswehr vollzogen, wäre das der Offenbarungseid der Afghanistan-Mission.
Die Schuld trifft freilich nicht die Deutschen allein: Der Westen insgesamt sieht, um sich nicht mit den lokalen Machthabern anzulegen, darüber hinweg, wie sich die afghanische Gesellschaft fundamentalistisch re-islamisiert. Der Preis für den Sieg über die Taliban könnte so die unterschwellige Talibanisierung des afghanischen Staats sein.
Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "DIE ZEIT" gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
Nach jahrelangem Ignorieren und Aussitzen der Hilferufe der Bündnispartner ist es nun aber für die deutsche Politik höchste Zeit, der Bevölkerung über die erforderlichen Anstrengungen für eine erfolgreiche Operation am Hindukusch reinen Wein einzuschenken - dass die Hauptaufgabe der Bundeswehr nämlich nicht ist, sich als ziviler Aufbauhelfer zu betätigen, sondern militärisch für die Sicherheit zu sorgen, die diesen Aufbau überhaupt erst möglich macht.
Aber vor den schlimmen K-Wörtern - Krieg gegen den Terror, Kampfeinsatz - schrecken deutsche Politiker noch immer zurück wie vor dem Namen des Leibhaftigen. So fördern sie die unter den Deutschen weit verbreiteten Vorurteile, nach denen wir am Hindukusch von den bösen Amerikanern in einen Krieg hineingezogen würden, mit dem wir in Wirklichkeit gar nichts zu tun hätten.
Tatsächlich aber handelt es sich bei dem Konzept einer Nachkriegsordnung für Afghanistan ganz Wesentlich um ein Projekt unter deutscher Federführung - es wurde Ende 2001 auf dem Petersberg in Bonn ausgehandelt. Die Sicherung dieser Ordnung überlassen wir aber, wenn es akut gefährlich wird, lieber anderen und erwecken den Eindruck, unser Part sei nur der des menschenfreundlichen Zivileinsatzes. In Wahrheit ist auch die Bilanz des deutschen zivilen Aufbaus mangelhaft. Auch für zivile Aufgaben wenden die USA allein ein Mehrfaches auf als die Europäer zusammengenommen.
Deutlich ausgesprochen werden muss auch, dass es sich bei der Internationalen Schutztruppe Isaf um ein Gesamtprojekt der Nato handelt, in dessen Rahmen alle für alle einstehen müssen. Deutschlands Beitrag zu Isaf ist keine Gefälligkeit, sondern eine Verpflichtung; man kann sie nicht nach eigenem Gutdünken auf das reduzieren, was einem innenpolitisch gerade noch opportun erscheint.
Wie ein Hohn klingt es, wenn Verteidigungsminister Jung jetzt sagt, eine Unterstützung der Nato-Kräfte im Süden übersteige die Fähigkeiten der Bundeswehr - die logische Folgerung daraus wäre doch wohl, ihre Ausstattung so schnell wie möglich zu verbessern. Aber mehr Mittel für das Militär aufzubieten, erscheint der Bundesregierung und den deutschen Parteien insgesamt so maßlos unpopulär, dass sie das erst gar nicht versuchen wollen.
Deutschland muss sich darüber klar werden, welchen Stellenwert es in der Weltpolitik bereits einnimmt - und ob es ihm gerecht werden will. Unsere Freiheit und Sicherheit wurde jahrzehntelang von unseren westlichen Verbündeten garantiert. Jetzt können wir uns nicht herausreden, wenn die Sicherung der Freiheit des Westens von uns auch möglicherweise schmerzliche Beiträge erfordert. Die Alternative wäre, uns aus dem politisch-militärischen Solidarverband des Westens zu verabschieden. Sie muss dann aber auch klar ausgesprochen werden, mit allen Konsequenzen.
Das Risiko einer deutschen Kampfbeteiligung ist übrigens durchaus kalkulierbar. Die Aufstandsbewegung der Taliban konzentriert sich auf ein Zehntel des afghanischen Territoriums, und sie ist deutlich rückläufig. Verlorengehen könnte die Mission der Nato nicht aus militärischen, sondern politischen Gründen. In Mazar-el-Sharif, im angeblich so vorbildlichen Norden des Landes, soll jetzt ein Journalist wegen Gotteslästerung hingerichtet werden, weil er islamkritische Materialien recherchierte. Würde dieser barbarische Akt unter den Augen der Bundeswehr vollzogen, wäre das der Offenbarungseid der Afghanistan-Mission.
Die Schuld trifft freilich nicht die Deutschen allein: Der Westen insgesamt sieht, um sich nicht mit den lokalen Machthabern anzulegen, darüber hinweg, wie sich die afghanische Gesellschaft fundamentalistisch re-islamisiert. Der Preis für den Sieg über die Taliban könnte so die unterschwellige Talibanisierung des afghanischen Staats sein.
Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "DIE ZEIT" gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".

Richard Herzinger© DIE ZEIT