"Sozial" wird zum Problemfall

Von Dirk Fuhrig |
Der Mensch ist ein Sozialwesen, haben wir im Biologieunterricht gelernt. Und im Lexikon steht: sozial heißt – auch - "gesellig". "Socialis" sagt der Lateiner und meint damit genau das: ein "geselliges Zusammensein".
Im globalisierten Neudeutsch-Sprech nennt sich diese Form gemeinschaftlichen Erlebens schon mal ein "Social Event" – womit wir schon ganz nah dran sind an unserem Begriff, der tagein, tagaus den Politikern in allen möglichen Kombinationen von den Lippen fließt. Nicht nur den Sozialpolitikern.

"Soziales Verhalten" hält die Gesellschaft zusammen. Das hatte schon Jean-Jacques Rousseau im Hinterkopf, als er im 18. Jahrhundert das Konzept eines "Gesellschaftsvertrags" entwarf – den "contrat social". Auf ihm beruhen alle modernen demokratischen Verfassungen.

Doch die große Zeit unseres Begriffs kam erst später: Mitte des 19. Jahrhunderts tauchte mit der industriellen Revolution und dem entstehenden Arbeiterproletariat die "soziale Frage" auf.

Ein weiterer Seitenblick ins Lexikon an dieser Stelle: Das Wort "sozial" hängt nicht nur mit dem Adjektiv "socialis", zusammen, sondern auch mit dem Substantiv "Socius" – was auf Lateinisch "Freund" und "Kamerad" bedeutet. Und: "Genosse".

Die "Sozis" hatten im deutschen Kaiserreich –an sich nun gerade keine Bastion von Demokratie und sozialer Fürsorge – zunächst unter Bismarcks "Sozialistengesetzen" zu leiden. Bevor sich der Eiserne Kanzler gezwungenermaßen mit den ersten "Sozialgesetzen" in die Geschichtsbücher schrieb.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte das Wort eine wundersame Wandlung und nahezu inflationäre Ausweitung. Während in der DDR alles volkseigen wurde, hatte "sozial" in der Bundesrepublik sogar bei dezidierten Nicht-Sozialisten Konjunktur.

Im Grundgesetz steht: "Die Bundesrepublik ist ein freiheitlicher, demokratischer und sozialer Rechtsstaat." Von "Sozialabbau", "Sozialmissbrauch", "sozialer Kälte" steht dort nichts. Auch nichts von Sozialwohnungen. Oder "sozialverträglichem vorzeitigen Ableben" - davon hatte ein Funktionär im Sozialwesen, ein Ärztevertreter, gesprochen. Der Begriff war umgehend zum "Unwort des Jahres" gekürt worden.

"Sozial" wird in Zeiten leerer Staatskassen immer mehr zum Problem. Das Wort an sich wird zum Sozialfall – und zum Spielball der Politiker. Das haben längst auch die Kabarettisten gemerkt.