Soundtrack einer Generation
"Ich habe Zukunft des Rock’n Roll gesehen, ihr Name war Bruce Springsteen" – diesen euphorischen Satz schrieb 1974 der Musik-Kritiker Jon Landau und entfachte damit ein Interesse, das in einem publizistischen Rausch kulminierte, als Springsteens Album "Born to Run" erschien. Der US-Historiker Louis P. Masur widmet sich dem legendären Album in einem gleichnamigen Buch.
Wenn ein Album den Zeitgeist und die Befindlichkeiten der amerikanischen Gesellschaft nach dem Ende des Vietnamkrieges und dem Watergate-Skandal Mitte der 70er-Jahre einfängt, dann ist es "Born to Run" von Bruce Springsteen. Bis heute hat sich an Qualität und Bedeutung dieses Albums nichts geändert, das für viele amerikanische Jugendliche der Soundtrack zum Erwachsenwerden war. Der amerikanische Geschichtsprofessor Louis P. Masur (tätig am Trinity College in Harford, Connecticut, und Autor mehrerer Bücher über amerikanische Geschichte) hat sich mit dem kulturellen Stellenwert des Albums beschäftigt, das wie kein zweites die Vision des amerikanischen Traums in Frage stellt.
Louis Masur beginnt seine Betrachtung an jenem Punkt von Springsteens Karriere, an dem 1973 dessen erstes Album veröffentlicht wurde. Springsteen wurde vom Produzenten John Hammond entdeckt, der schon Pete Seeger, Bob Dylan und Leonard Cohen unter Vertrag genommen hatte. Hammond sah in Springsteen einen neuen Dylan und ließ ihm jede Unterstützung zukommen. Doch nach zwei guten, aber nicht überragenden Platten als akustischer Solokünstler wartete seine Plattenfirma auf ein Album, das die in ihn gesetzten hohen Erwartungen endlich erfüllen sollte. Der berühmt gewordene Ausspruch des Kritikers Jon Landau, er habe die Zukunft des Rock‘n Roll gesehen, setzte Springsteen zudem unter hohen Druck. Er wollte das größte Rock‘n Roll-Album aller Zeiten machen. Auch wenn ihm dies nicht ganz gelang, so ist "Born To Run" doch eine herausragende Platte - nicht nur für die weitere Karriere des Musikers aus New Jersey.
"Born to Run" ist eine düstere Platte, in der es um Einsamkeit, Gewalt und enttäuschte Hoffnungen geht. Sie handelt davon, dass der amerikanische Traum von wirtschaftlichem Aufschwung, Sicherheit und Gemeinschaft für die meisten Amerikaner in den Jahren nach dem Ende des ruhmlosen Vietnam-Krieges und der Watergate-Affaire ausgeträumt war. Springsteen wählte das Bild des Tramps, der in der amerikanischen Geschichte mehrfach als Synonym für den Verlust von Heimat und Wurzeln in Zeiten der Krise auftaucht; er sieht darin aber auch ein Symbol des Aufbruchs, der Nonkonfirmität und somit der Rückbesinnung auf den amerikanischen Pioniergeist. Das ist, nach Ansicht des Autors, die zentrale Botschaft des Albums: die Hoffnung nicht aufzugeben, nach vorne zu schauen und in neue, unentdeckte Gebiete vorzudringen, wie es Springsteen im Titelsong explizit getextet hat.
Neben allen inhaltlichen Ideen wollte Springsteen auch ein Resümee der amerikanischen Rockmusik ziehen. Er wollte singen wie Roy Orbison, Gitarre spielen wie Duane Eddy und klingen wie Phil Spectors legendärer Studiosound. Dass ihm das auf "Born to Run" gelang, lag nicht zuletzt daran, dass er mit der E-Street Band nach jahrelanger Suche endlich Begleitmusiker gefunden hatte, mit denen er seine musikalischen Vorstellungen verwirklichen konnte.
Bei aller Melancholie und wütenden Aggressivität, trotz sentimentaler Momente drücken die Texte und die Musik der acht Songs auf "Born to Run" genau das aus, was Millionen Menschen Mitte der 70er-Jahre dachten und fühlten. Kaum ein anderer Rockmusiker Amerikas, außer Bob Dylan oder Neil Young, hat den Geist der Zeit besser in seinen Texten ausdrücken können als Springsteen, der damit den Sprung zum Superstar schaffte. Bis heute gilt sein drittes Album zu Recht als eines der besten und vor allem ausdrucksstärksten der Rockgeschichte.
Louis Masur hat sich ihm von verschiedenen Seiten genähert. Er beschreibt eingehend Vorgeschichte und Entstehung des Albums, seziert die Songtexte und setzt sie in Beziehung zu den gesellschaftlichen Vorgängen. Er berichtet von den Reaktionen auf die Veröffentlichung, den Einordnungen, die Kritiker und Journalisten vorgenommen haben, sowie der Bedeutung der Platte 30 Jahre danach. Durch Gespräche mit Springsteen und seinem Manager Jon Landau, vielen Musikern und Zeitzeugen entsteht ein realistisches Bild der Zeit und der Rezeption des Albums.
So liegt ein spannendes und gleichzeitig unterhaltsames Buch über eine Produktion vor, die Mitte der 70er-Jahre den Soundtrack für eine ganze Generation lieferte. Daneben ist es auch eine genaue Betrachtung über einen wichtigen Teil der jüngeren amerikanischen Geschichte.
Besprochen von Uwe Wohlmacher
Louis P. Masur: Born to Run
Aus dem Englischen von Yamin von Rauch
Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins
288 Seiten, 19,90 Euro
Louis Masur beginnt seine Betrachtung an jenem Punkt von Springsteens Karriere, an dem 1973 dessen erstes Album veröffentlicht wurde. Springsteen wurde vom Produzenten John Hammond entdeckt, der schon Pete Seeger, Bob Dylan und Leonard Cohen unter Vertrag genommen hatte. Hammond sah in Springsteen einen neuen Dylan und ließ ihm jede Unterstützung zukommen. Doch nach zwei guten, aber nicht überragenden Platten als akustischer Solokünstler wartete seine Plattenfirma auf ein Album, das die in ihn gesetzten hohen Erwartungen endlich erfüllen sollte. Der berühmt gewordene Ausspruch des Kritikers Jon Landau, er habe die Zukunft des Rock‘n Roll gesehen, setzte Springsteen zudem unter hohen Druck. Er wollte das größte Rock‘n Roll-Album aller Zeiten machen. Auch wenn ihm dies nicht ganz gelang, so ist "Born To Run" doch eine herausragende Platte - nicht nur für die weitere Karriere des Musikers aus New Jersey.
"Born to Run" ist eine düstere Platte, in der es um Einsamkeit, Gewalt und enttäuschte Hoffnungen geht. Sie handelt davon, dass der amerikanische Traum von wirtschaftlichem Aufschwung, Sicherheit und Gemeinschaft für die meisten Amerikaner in den Jahren nach dem Ende des ruhmlosen Vietnam-Krieges und der Watergate-Affaire ausgeträumt war. Springsteen wählte das Bild des Tramps, der in der amerikanischen Geschichte mehrfach als Synonym für den Verlust von Heimat und Wurzeln in Zeiten der Krise auftaucht; er sieht darin aber auch ein Symbol des Aufbruchs, der Nonkonfirmität und somit der Rückbesinnung auf den amerikanischen Pioniergeist. Das ist, nach Ansicht des Autors, die zentrale Botschaft des Albums: die Hoffnung nicht aufzugeben, nach vorne zu schauen und in neue, unentdeckte Gebiete vorzudringen, wie es Springsteen im Titelsong explizit getextet hat.
Neben allen inhaltlichen Ideen wollte Springsteen auch ein Resümee der amerikanischen Rockmusik ziehen. Er wollte singen wie Roy Orbison, Gitarre spielen wie Duane Eddy und klingen wie Phil Spectors legendärer Studiosound. Dass ihm das auf "Born to Run" gelang, lag nicht zuletzt daran, dass er mit der E-Street Band nach jahrelanger Suche endlich Begleitmusiker gefunden hatte, mit denen er seine musikalischen Vorstellungen verwirklichen konnte.
Bei aller Melancholie und wütenden Aggressivität, trotz sentimentaler Momente drücken die Texte und die Musik der acht Songs auf "Born to Run" genau das aus, was Millionen Menschen Mitte der 70er-Jahre dachten und fühlten. Kaum ein anderer Rockmusiker Amerikas, außer Bob Dylan oder Neil Young, hat den Geist der Zeit besser in seinen Texten ausdrücken können als Springsteen, der damit den Sprung zum Superstar schaffte. Bis heute gilt sein drittes Album zu Recht als eines der besten und vor allem ausdrucksstärksten der Rockgeschichte.
Louis Masur hat sich ihm von verschiedenen Seiten genähert. Er beschreibt eingehend Vorgeschichte und Entstehung des Albums, seziert die Songtexte und setzt sie in Beziehung zu den gesellschaftlichen Vorgängen. Er berichtet von den Reaktionen auf die Veröffentlichung, den Einordnungen, die Kritiker und Journalisten vorgenommen haben, sowie der Bedeutung der Platte 30 Jahre danach. Durch Gespräche mit Springsteen und seinem Manager Jon Landau, vielen Musikern und Zeitzeugen entsteht ein realistisches Bild der Zeit und der Rezeption des Albums.
So liegt ein spannendes und gleichzeitig unterhaltsames Buch über eine Produktion vor, die Mitte der 70er-Jahre den Soundtrack für eine ganze Generation lieferte. Daneben ist es auch eine genaue Betrachtung über einen wichtigen Teil der jüngeren amerikanischen Geschichte.
Besprochen von Uwe Wohlmacher
Louis P. Masur: Born to Run
Aus dem Englischen von Yamin von Rauch
Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins
288 Seiten, 19,90 Euro