Sounds und Samples

Von Gerrit Stratmann · 27.08.2013
Klavier, Oboe, Violine, Gitarre: Tarek Atoui spielt davon kein einziges Instrument. Stattdessen ist das Herzstück des libanesischen Klangkünstlers ein Computer, an den er Sensoren, Knöpfe und Regler angeschlossen hat - damit seine Aufführungen selbst zu einer dynamischen Performance werden. Die Besucher der <papaya:link href="http://www.ruhrtriennale.de/" text="Ruhrtriennale 2013" title="Ruhrtriennale" target="_blank" /> können den ungewöhnlichen Musiker als Teil von Tim Etchells Produktion "The Last Adventures" live erleben.
Tarek Atoui raucht erst einmal eine Zigarette. Während die Proben zu dem Theaterprojekt laufen, nimmt er sich ein paar Minuten Zeit, um von sich und seiner Musik zu erzählen. Der Libanese mit den lausbübischen Augen ist gut gelaunt.

"”If I would listen to my CD in a shop I would not buy it.”"

Wenn er seine CD in einem Geschäft hören würde, würde er sie nicht kaufen, gibt er offen zu. Die 2008 erschienene CD einer Solo-Performance von ihm nennt er sogar einen Fehler.

Nicht, weil ihm die Stücke nicht mehr gefallen würden. Aber die Veröffentlichung hat etwas festgehalten, was eigentlich nie dazu bestimmt war, festgehalten zu werden.

"Es ist auf jeden Fall als Performance gedacht. Die Hauptstoßrichtung meiner Arbeit in den letzten fünf, sechs Jahren ist die Performance und das Komponieren für den Moment der Aufführung. Ich versuche, soweit wie möglich weg zu kommen von Studiokompositionen oder von festgelegten Kompositionen für CDs oder normale Hörsituationen."

Die Klangwelten, die der 33-jährige Libanese erzeugt, sind selten tanzbar. Statt eingängige Melodien schafft er mit seinem Computer und den daran angeschlossenen Geräten Hörerlebnisse aus kleinsten Soundschnipseln und selbst programmierten Synthesizern.

"Das sind die Komponenten, aus denen ich normalerweise meine Instrumente baue: Einige Infrarot- und Bewegungssensoren, Drucksensoren und ein paar normale Regler. Das ist heute alles ganz einfache Technik. Da ist nichts Bahnbrechendes dabei. Das ist wie Bauen mit Lego."

Die Aufführung seiner Werke ist ihm mindestens so wichtig wie das Werk selbst. Wer Tarek Atoui sieht, weiß warum. Während seiner Performance wischt er mit drehenden Handgelenken über die Sensoren, als würde er unsichtbare Knöpfe bedienen.

Dann huschen seine Finger über Tasten und ziehen ruckartig Fader auf und wieder zu. Dabei ist sein Körper angespannt und wiegt sich hin und her. In diesen Momenten ist er Dirigent und Instrumentalist in einem.

"Als ich mein Studium der elektroakustischen Musik begann, dachte ich, ich müsse vielleicht auch ein akustisches Instrument lernen. Ich habe ein paar Blasinstrumente ausprobiert. Dann habe ich gemerkt, dass das einfach zu viel Arbeit ist, wenn man sich wirklich damit hervortun möchte.

Deswegen habe ich die akustischen Instrumente aufgegeben und mich ganz auf elektroakustische Musik konzentriert. Tatsächlich wurde dann der Computer mein Instrument mit diesen Schnittstellen und Sensoren."

Seine Liebe zur experimentellen Musik entdeckt Tarek Atoui mit 18 Jahren.

"”When I found out that I was a lousy basketball player.”"

Atoui erlebt Kindheit im Libanon
Er studiert zeitgenössische Musik in Frankreich am Konservatorium in Reims. Seine Kindheit verbringt er jedoch in den 80er-Jahren in seiner Heimat in Beirut. Dort wächst er im Schatten des libanesischen Bürgerkriegs auf.

"Ich wusste nicht, was Frieden war. Das nimmt man einfach so hin. Als Kind kann man sehr einfach in seine eigene Welt entfliehen. Man ist dem Krieg nicht so ausgeliefert wie Erwachsene."

In seinen Kompositionen scheinen sich Melodien und Töne oft aufzulösen. Düsteres Grollen, kreischende Geräusche oder hochfrequentes Fiepen blitzt manchmal in ihnen auf.
Aber von seiner Musik auf eventuelle Kriegserfahrungen zu schließen, sei ein Trugschluss, sagt er. Dabei hat er 2006 die Auswirkungen des zweiten libanesischen Krieges am eigenen Leib erfahren müssen, als er verhaftet und geschlagen wurde.

"Diese Geschichte ist wirklich nichts Besonderes im Mittleren Osten. Jeder kennt so etwas von Freunden oder Verwandten. Deswegen sollte man da keine große Sache draus machen. Das Leben geht weiter.

Und wenn man zu lange daran festhält, frisst es einen irgendwann auf. Man muss einen Weg finden, weiterzumachen."

Für Tarek Atoui heißt das vor allem, sich weiter mit seiner Musik zu beschäftigen. Er gibt Workshops, auf denen er seine Geräte und die Software erklärt, spielt auf Festivals in aller Welt und tauscht sich dort mit anderen Künstlern aus. Auch dass sein Hörvermögen unter der Misshandlung gelitten hat, hat er mittlerweile hinter sich gelassen.

"Ja, das linke Ohr funktioniert jetzt nicht mehr so gut. Aber das ist kein Drama. Es gibt schon genug Dramen im Leben, da braucht man das nicht noch psychologisch zu verstärken."

In den letzten Jahren führten ihn seine Auftritte nach New York, Amsterdam, Salzburg, Südkorea, Kambodscha oder ins Ruhrgebiet. Seine Eltern leben noch in Beirut, seine zwei jüngeren Brüder studieren in den USA und seine Freundin wohnt in Paris. Ihr zuliebe würde er gern weniger unterwegs sein.

"Letzten Endes verbringst du mehr Zeit auf Flughäfen als sonstwo. Das ist nicht besonders aufregend."

Längst stehen die nächsten Auftritte und Projekte in seinem Terminkalender. Und so begibt er sich mit seinen minimalistischen, digitalen Soundschnipseln weiter auf klangliche Entdeckungsreisen, immer auf der Suche nach ... ja, wonach eigentlich?

"Das ist die Frage. Ich weiß es nicht. Bei der Performance vielleicht hin zur richtigen Entscheidung zur richtigen Zeit.

Bis zu dem Punkt, an dem alle Systematiken zusammenbrechen und alles schlüssig zu sein scheint. Also vielleicht geht es in Richtung auf das, was mir eigen und angeboren ist. Ist ein bisschen kitschig, aber ok."
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