Sound der Schwermut

Zwei Indie-Pop-Alben von Lydia Daher sind bereits erschienen. Jetzt hat sie einen Lyrikband veröffentlicht: ein schmales Buch mit dem lakonischen Titel "Insgesamt so, diese Welt". Dem Buch ist eine CD beigelegt, auf der Lydia Daher ihre Gedichte selbst spricht.
"Ich sehe mir gerne mein Hand an, wenn sie so daliegt mit all ihren Möglichkeiten. Und es gibt nicht viel zu tun, außer vielleicht auf ein paar Worte zu warten ..."

Die Worte zählen, der Reim spielt keine Rolle. In ihrer Lyrik beschreibt Lydia Daher, wie es sich so mit dem Leben verhält - ihrem Leben, ihrem Alltag.

"Was die Welt durch das Fenster verrät, ist wirklich nicht viel: nur zehn Prozent Dachspitzen unter neunzig Prozent Himmel. Doch so betrachtet ist das genug."

Die Bescheidenheit als Tugend, auch als politische Tugend. Lydia Daher vernetzt ein sensibles lyrisches Ich mit einer schroffen Umgebung.

"Da sind 150.000 offene Stellen auf dem Asphalt, am Arbeitsmarkt und in diesen Herzen."

Lydia Daher, 1980 in Berlin geboren, lebt als Autorin und Musikerin in Augsburg. Zwei Popalben hat sie bisher veröffentlicht. Jetzt erscheint ihr zweiter Lyrikband. Entzauberung schwingt schon im Titel mit: "Insgesamt So, Diese Welt". Eine literarische Geste des Schulterzuckens. "Na ja, und wenn schon" könnte sie meinen, und damit sich und dem Leser Trost schenken. Ein kleines melancholisches Aufbäumen vor der ganz großen Resignation.

"Diese Traurigkeit versorgt sich heimlich aus den großen Vorräten der Außenwelt. Schau dir die Häuser an: fast alle haben Risse. Platanen, deren Laub dazu da ist, Verlust auszudrücken, Augen wie verglaste Pförtnerstuben, dahinter Nebel und das Ende."

Risse in der Architektur, Herbstlaub, glasige Augen - brüchige Momentaufnahmen, kurz bevor die Tränen kommen. "Insgesamt So, Diese Welt" sind poetische Beobachtungen, die auch herzzerreißende Poptexte sein könnten. Voller Zweifel und Verzweiflung. Auf der beiliegende Audio-CD liest und vertont Lydia Daher 17 ihrer 50 Gedichte. In ihrer Stimme: der Sound der Schwermut.

"Es war spät, im Mai. Der Frühling viel in sich zusammen wie eine falsche Vermutung - und der Himmel brach frei und fand einen Ausweg. Ich stützte mich auf Gegenwart. Dachte: Abschied ist nur eine Metapher und ritzte: Abschied ist eine Metapher in den Panzer einer reglosen Puppe. Ich taufte sie Kutikula, denn es klang schön, nach Zauberspruch oder dem Schlachtruf der Fibrillen."

"Insgesamt So, Diese Welt" von Lydia Daher ist erzählerisch dichte Poesie. Jedes Stück so punktgenau wie ein Romananfang.

"Das Rot am Horizont tut weh. Und leere Taschen, auf links gezogen, flattern als weiße Fahne im Aufwind."

Die Sprache hat sie fest im Griff. Nur mit dem Soundtrack liegt sie manchmal daneben. Naher Schlagzeugbeat, ferne Gitarrenmelodien, schwebende Klavierakkorde: So schafft sie Raum für ihre weitreichenden Themenkreise: Verdruss, Verlust, Verletzung. Doch so trittfest ihre Sprache auch ist, mit der Vertonung der Gedichte stolpert Lydia Daher an manchen Stellen in die Falle der Beiläufigkeit. Ein bisschen mehr Disharmonie hätte diesen Gedichten nicht geschadet.

"Die Sache mit unserem Alleinsein müssen wir lernen. So wie man Sonne lernt oder den Regen, an dessen Tropfen Licht sich beugt wie eine Hoffnung, unter den Flügeln behaupteter Hähne."

Besprochen von Andi Hörmann

Lydia Daher: Insgesamt so, diese Welt
Buch mit Audio-CD
Voland &Quist Berlin, 2012
76 Seiten, 14,90 Euro
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