Sorge um syrisches Kulturerbe

Stefan Weber im Gespräch mit Christopher Ricke · 27.07.2012
Der Direktor des Berliner Museums für Islamische Kunst, Stefan Weber, sieht das reiche Kulturerbe Syriens durch den Krieg akut bedroht. Weber verwies besonders auf die Kulturschätze im heftig umkämpften Aleppo.
Christopher Ricke: Die Schlacht um Aleppo. Die große Sorge, die internationale Sorge gilt den Menschen, aber die Sorge gilt auch den Weltkulturerbe-Stätten. Die UNESCO hat schon vor vier Monaten dazu aufgerufen, das Weltkulturerbe zu schonen. Dieser Aufruf ist jetzt noch einmal wiederholt worden. Zum Weltkulturerbe in Syrien gehört die Altstadt in Aleppo und die westlich gelegenen Toten Städte.

Ich spreche jetzt mit Stefan Weber, er ist der Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin. Guten Morgen, Herr Weber!

Stefan Weber: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Was droht denn verloren zu gehen? Können Sie uns das kurz beschreiben?

Weber: Ja, also es wird einem ganz übel, wenn man das hört, denn es ist schon 1982 so gewesen, dass bei solchen Aufständen dann Altstädte wirklich radikal auch vernichtet werden, es war damals die schönste Altstadt in Hama – nun Aleppo.

Aleppo ist eine der großen Metropolen der islamischen Welt und es ist eine hervorragend erhaltene Altstadt mit zwölf Kilometern Märkten, fantastischen Häusern, öffentlichen Gebäuden, auch Moscheen, Schulen, (…) und einer prachtvollen Zitadelle. Und wir haben natürlich nicht nur um die Menschen Angst, sondern auch um diese fantastischen Kulturschätze, die in diesem Krieg dann nicht geschont werden, und gerade der Militäreinsatz der Regierung hat immer wieder gezeigt, dass dann Panzer über Ausgrabungsstätten in die Altstädte hineinfahren, Schleusen geschlagen werden oder aus der Luft flächenmäßig bombardiert werden.

Also Homs ist ja in diesem Jahr auch schon weitgehend zerstört worden, wir kennen die genauen Schäden nicht, denn es gibt keine unabhängigen Reporter. Es gibt nur eine einzige Untersuchung des Global Heritage Fund im Mai, aber sonst sind wir sehr schlecht informiert, was genau kaputtgegangen ist. Und wir sehen natürlich das Bild, dass man in das Land reinkommt in einen Konflikt und vieles, das, was Syrien so reich macht und so bedeutend macht – ob es nun die großen Altstädte sind wie Aleppo, Damaskus, oder die fantastischen Ausgrabungsstätten des alten Orients in der Steppe oder ob es dann die griechisch-römischen alten Ausgrabungsstätten sind mit fantastischen Säulenstraßen wie in Apamea, Palmyra, oder auch das byzantinische Erbe in Bosra oder in den nordwestlichen Kalksteinstätten.

All das sind herausragende Kulturgüter, auch für unsere ganz großen Menschheitsgeschichten, und wir haben natürlich große Angst, dass hier – vor allen Dingen erst mal durch Zerstörung des Krieges, aber dann auch, wenn man so eine Irakisierung hat, so einen Zerfall einer Staatsmacht dort, wo die Autoritäten dann auch wegfallen –, dass dann das weiterschreitet, was jetzt schon auch stark begonnen hat, nämlich die Plünderungen dieser Städte und eine zum Teil organisierte durch eine mafiöse Struktur organisierte Grabplünderung für den Kunstmarkt, und man hat also viele Berichte inzwischen von Plünderungen aus Museen, aus den großen Städten. Man muss sich vorstellen, das sind Ruinenstädte, da liegen alte Städte, die sind 2000, 3000 Jahre alt, die liegen frei als Ruinenfelder, zum Teil ein- bis zweistöckig noch anstehend, und da wird dann gegraben und das über die Grenze rausgeschafft.

Ricke: Herr Weber, was kann man denn tun? Kann man auf die Einsicht der Konfliktparteien hoffen oder gibt es noch etwas anderes?

Weber: Man kann wenig tun im Augenblick des Bürgerkrieges. Also vor allen Dingen, wenn ein Staat selber kein Gewissen hat im Umgang mit seinen Menschen und seinem Kulturgut, dann kann man da sowieso nichts machen im Augenblick. Man müsste versuchen allerdings jetzt, wenn es sich abzeichnet, dass der Konflikt zu einem Ende kommt, erst mal eine Art Heritate Funds einzurichten, dass man, anders als im Irak, nicht die Verwaltungsbeamten alle abzieht und den Staat auflöst sozusagen, sondern direkt dafür sorgt, dass ein Schutz dieser Städte möglich wird.

Das ist sehr schwierig, weil das oft große Regionen sind. Da muss man dann wirklich mit Aufsichten hinein. Und natürlich: Man muss von hier aus gucken, dass der Kunstmarkt nicht mit diesen Kulturgütern geschwemmt wird und dass Leute nicht alles kaufen, was jetzt doch da in den Auktionshäusern angespült wird.

Ricke: Herr Weber, unter den Kämpfern in Syrien sind auch viele radikale Islamisten, und wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie in Afghanistan die Buddha-Statuen von Bamiyan zerstört wurden, wir erleben gerade in Mali in Timbuktu, was dort passiert, wo eine religiös entfesselte Wut Kunst vernichtet. Muss man so etwas auch in Syrien befürchten?

Weber: Das glaube ich nicht, denn wir haben es bei der syrischen Gesellschaft nicht mit einer Gesellschaft wie in Mali und Afghanistan zu tun, sondern es ist eine sehr differenzierte Gesellschaft, und auch die sunnitischen Gruppen dort sind von, sagen wir mal, ganz konservativ-religiös-bodenständigen Menschen bis hin zu doch auch natürlich religiös radikaleren Ansichten da.

Aber diese puritanistischen Bewegungen, wie wir sie jetzt in Mali oder Afghanistan mit den Taliban gesehen haben, die sind in Syrien nicht vorhanden, und auch die Gesellschaft ist dort eine ganz andere. Ich glaube nicht, dass so was möglich ist, weder in Syrien noch in den anderen Städten, jetzt in Tunesien oder in Ägypten.

Da ist die Gefahr nicht, aber die Gefahr droht natürlich vor allen Dingen durch den Kunstraub und dann durch die Zerstörung durch den Staat oder auch natürlich dann durch beide Parteien in den Häuser- und Straßenkämpfen.

Ricke: Wenn man sich ein Bild der Altstadt von Aleppo machen will und dort nicht hinfahren kann – es gibt ausreichend Bildbände, es gibt genügend Material und Texte und es gibt auch Hinweise darauf, dass in den letzten Jahren mit deutschem Geld sehr viel wiederhergestellt und gerettet worden ist. Was ist denn da in den letzten Jahren passiert, was jetzt so bedroht ist?

Weber: Ja, also in Aleppo haben gerade die Deutschen sehr viel gemacht, also sowohl von der Erforschung, Ausgrabung – es gibt eine Reihe deutscher Forscher, die dort gearbeitet haben und viel entdeckt haben –, auf der anderen Seite hat die damals noch GTZ, jetzt GIZ, ein groß angelegtes Programm zur Sanierung der Altstadt angelegt. Das hat auch sehr gut funktioniert. Auch andere Organisationen, ob es nun Heritage Fund ist oder ob es (…) ist, die haben dort gearbeitet, und natürlich auch der syrische Staat selber und natürlich auch Privatwirtschaft hat wohl in Aleppo, aber auch dann in Damaskus sehr viel zur Wiederaufwertung dieses großen Kulturerbes gearbeitet.

Und in der Bevölkerung selber hat sich sehr viel geändert, dass man, was man früher alt und nicht modern fand, inzwischen doch auch als große kulturelle Leistung seiner eigenen Gesellschaft anerkennt und pflegt, und das sind auch fantastische alte Stadthäuser, wunderbare alte Märkte, also es ist was ganz Besonderes, und wer mal da war, der wird es nicht vergessen, denn das sind schon, sagen wir mal, Top-, weltweit Top-Kulturerbestätten, die jetzt auch in den letzten Jahren sehr viel hinzugewonnen haben.

Ricke: Die Sorge um die Weltkulturerbe-Stätten in Syrien. Stefan Weber ist der Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin, vielen Dank, Herr Weber!

Weber: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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