Sorge um die Zukunft

Das Ende von 1001 Nacht im Sultanat Oman?

Sultan Qaboos bin Said Al-Said steht seit 45 Jahren an der Spitze von Oman.
Sultan Qaboos bin Said Al-Said steht seit 45 Jahren an der Spitze von Oman. © picture alliance / Patrick van Katwijk
Von Anne Allmeling · 06.06.2016
Die Omaner sorgen sich um ihre Zukunft, denn ihr Herrscher ist unverheiratet und kinderlos. Monarch Qaboos bin Said Al-Said regiert seit 45 Jahren – und hat das östlichste Land der arabischen Halbinsel vom Mittelalter in die Moderne katapultiert.
Sabra, Ahlan und Reem haben es sich in der Caféteria der Universität bequem gemacht. Hier herrscht angenehme Kühle - und darauf kommt es den drei Studentinnen an. In einem Land, in dem die Temperaturen im Sommer auf weit über 40 Grad klettern, sitzt niemand freiwillig draußen. Sabra, Ahlan und Reem studieren an der Deutschen Universität in Maskat Geologie. Weil das Fach ihnen Freude macht, aber auch, weil sie sich gute Chancen auf einen Arbeitsplatz ausrechnen.
"In Geologie haben wir bessere Job-Perspektiven als in anderen Fächern. Oman ist ein Land mit Ölvorkommen. 80 Prozent der Einnahmen kommen aus der Erdölförderung. Mit Blick auf eine spätere Stelle ist Geologie eine sehr gute Wahl."
Die drei Studentinnen lernen und experimentieren zusammen mit ihren männlichen Kommilitonen. Das ist an der Deutschen Universität in Maskat üblich - aber alles andere als selbstverständlich im Sultanat Oman. An der staatlichen Sultan-Qaboos-Universität zum Beispiel werden zwar alle Studenten gemeinsam unterrichtet. Aber sie benutzen verschiedene Eingänge und sitzen nach Geschlechtern getrennt – die Männer vorne, die Frauen hinten. Oman ist ein Land mit Tradition - auch wenn die teuren Autos auf den Parkplätzen vor der Universität leicht darüber hinwegtäuschen.

Berühmt für Weihrauch und Kupfer

In der Antike war Oman für seinen Weihrauch berühmt, später für den Handel mit Kupfer. Im 17. und 18. Jahrhundert erlebte das Sultanat eine Blüte: Es beherrschte große Teile der ostafrikanischen Küste und residierte zeitweise in Sansibar. Als Seemacht im indischen Ozean konnte Oman mit den Briten konkurrieren. Doch mit dem Zeitalter des Imperialismus endete diese Phase.
Als Sultan Said bin Taimur 1938 die Macht übernahm, hatte Oman fast seine gesamte politische und wirtschaftliche Bedeutung verloren. Die Nachbarstaaten Kuwait, Bahrain und Qatar entwickelten sich ab der Mitte des 20. Jahrhunderts rasant, doch Oman gehörte bald zu den rückständigsten Ländern der arabischen Welt. Im gesamten Sultanat gab es nur eine Handvoll Schulen; Strom und fließend Wasser waren eine Seltenheit. Allein in der Hauptstadt Maskat gab es ein paar Kilometer asphaltierte Straßen.
"Wir haben nur selten ein Auto gesehen. Es war sehr ruhig, vor allem in der Nacht. Nach Sonnenuntergang war es so still, dass jeder Laut zu hören war, jede Stimme; jedes Wort, das gesprochen wurde. Es gab kein elektrisches Licht. Wir haben Kerzen benutzt, Kerzen, die wir selber herstellen mussten."
Der Bibliothekar mit dem lockigen Bart und dem freundlichen Lächeln ist etwa Mitte Vierzig. Sein genaues Alter kennt er nicht. Mansoor wuchs in Mussanah auf, an der Küste zum Golf von Oman, etwa 100 Kilometer von Maskat entfernt. Sein Vater bewirtschaftete eine Farm. Die zehn Kinder halfen beim Anbau von Datteln und Mangos. Eine Schule gab es nicht, aber ein Lehrer aus der Nachbarschaft brachte Mansoor und seinen Geschwistern den Koran bei.
"Er lehrte uns auch das Alphabet. Wir haben die Buchstaben auf Kamel-Knochen geschrieben. Kamele haben einen großen Knochen im Rücken, flach, ein bisschen wie eine Tafel, und jedes Kind hat einen solchen Knochen zum Schreiben benutzt. Im Wald haben wir schwarze Kohle gesammelt, das war unser Stift."

Ausgebildet in der britischen Militärakademie

Der beschwerliche Alltag brachte damals viele Omaner dazu, ihr Land zu verlassen und sich in den reicheren Nachbarstaaten eine Arbeit zu suchen. Zwar wurde in den 1960er-Jahren auch in Oman mit der Erdölförderung begonnen. Doch von den Erlösen spürte die Bevölkerung zunächst wenig. Sultan Said bin Taimur, so heißt es, fürchtete den Fortschritt. Sogar den Besitz von Radios und Sonnenbrillen soll er verboten haben. Sein Sohn Qaboos verabscheute diese Rückwärtsgewandtheit. Als 29-Jähriger stürzte er 1970 seinen Vater vom Thron.
Wie viele orientalische Prinzen war Qaboos an der britischen Militärakademie von Sandhurst ausgebildet worden. Vom Beginn seiner Herrschaft an setzte Sultan Qaboos auf Fortschritt. Neue Straßen, Schulen und Krankenhäuser wurden gebaut. Schon bald gab es eine Wasser- und Stromversorgung, die selbst abgelegene Dörfer mit dem Rest der Welt verband. Ende der 1970er Jahre brachte ein Bruder von Mansoor Al-Shabibi ein Fernsehgerät mit nach Mussanah.
"Ich erinnere mich nicht mehr, wann genau das war, aber Oman hatte damals noch keinen eigenen Fernsehkanal. Wir waren die ersten in unserem ganzen Dorf, die überhaupt einen Fernseher hatten. Mein Bruder brachte eine große Antenne mit. Der einzige Sender, den wir empfangen konnten, kam aus dem Iran. Alle Leute aus dem Dorf besuchten uns, um zu sehen, was für ein komisches Gerät wir da hatten. Sie fanden das sehr, sehr merkwürdig."
Heute läuft im Sultanat Oman beinahe überall der Fernseher – in Cafés, Restaurants, öffentlichen Gebäuden und fast in jedem Wohnzimmer. Mansoors Kinder sind längst auch in der digitalen Welt zuhause.
"Sie haben Telefone, sie haben Handys, sie haben eine Playstation und einen Fernseher. Das ist eine völlig andere Welt, ein anderes Leben."
Laut Weltentwicklungsbericht der Vereinten Nationen gehört Oman zu den Staaten, die in den vergangenen vier Jahrzehnten die meisten Fortschritte gemacht haben. Trotz allem behielt Sultan Qaboos stets die Tradition im Blick: Anders als in den benachbarten Vereinigen Arabischen Emiraten gibt es in Oman keine Hochhäuser. Weite Teile der 1700 Kilometer langen Küste sind frei zugänglich.

Proteste gegen die Korruption - nicht gegen den Sultan

Dass heute jeder kostenlos zur Schule und zum Arzt gehen kann, dass es Museen gibt und seit einigen Jahren sogar eine Oper - das hätten die Omaner vor allem ihrem Sultan zu verdanken, meint Jürgen Werner, Prorektor der Deutschen Universität in Maskat.
"Er hat mit Sicherheit geschafft, den Reichtum, der über das Land gekommen ist, so gut als möglich zu verteilen. Also er hat immer wohl darauf geachtet, dass irgendwie immer alle mehr oder weniger irgendwie was davon haben. Allerdings muss man natürlich sagen, dass es hier Superreiche gibt, allen voran der Sultan selbst, diese Leute sind ja fast unschätzbar reich, aber dennoch wirkliche Armut ist sehr, sehr selten in diesem Land."
Kaum ein Omaner stellt die Errungenschaften von Sultan Qaboos in Frage. Dennoch ist der Arabische Frühling auch an Oman nicht spurlos vorübergezogen. Als die Menschen 2011 in Tunesien, Ägypten und Syrien gegen ihre Regierungen demonstrierten, gingen auch Tausende Omaner auf die Straßen.
Sie protestierten nicht direkt gegen den Sultan, sondern gegen die verbreitete Korruption im Land und forderten bessere Lebensbedingungen. Denn die Arbeitslosigkeit in Oman ist hoch. Jedes Jahr strömen Zehntausende junge Omaner auf den Arbeitsmarkt, viele von ihnen mit einem Universitätsabschluss. Längst machen die Frauen den Männern Konkurrenz: Im Durchschnitt haben sie die besseren Noten.
An der Sultan-Qaboos-Universität gibt es sogar eine Art "Männerquote", die vorschreibt, dass mindestens die Hälfte der Studenten männlich sein muss. Längst nicht alle Absolventen finden eine Stelle. Ein wachsendes Problem für die jungen Menschen, sagt der Unternehmer Murtadha Hassan Ali.
"Früher hat die Regierung versucht, so viele Leute wie möglich im öffentlichen Sektor unterzubringen. Aber die Verwaltung ist zu groß geworden, um noch mehr Leute aufnehmen zu können."

Sinkender Ölpreis belastet die Wirtschaft

Trotzdem versprach der Sultan als Reaktion auf die Unruhen, 50.000 neue Jobs im öffentlichen Dienst zu schaffen, zusätzliche Stipendien für Studenten bereitzustellen und Arbeitssuchende mit umgerechnet knapp 300 Euro im Monat zu unterstützen. Die Protestwelle verebbte – doch die Belastung des Staatshaushaltes stieg. Jürgen Werner sieht in der Reaktion des Sultans ein falsches Signal.
"Man kann sagen, dass er vielleicht gewisse Entwicklungen verschlafen hat, dass er die Leute nicht früh genug auf eine größere Beteiligung am Wohlstand oder am Erarbeiten des Wohlstands eingeschworen hat. Also hier steht ja die Welt auf dem Kopf. Hier verdient man als Staatsdiener definitiv mehr als in der Privatindustrie. Und hat noch dazu keine Risiken, und das kann natürlich auf Dauer nicht gut sein – und da hat er, glaube ich, die Entwicklung ein bisschen verschlafen."
Bereits in den 1980er-Jahren hatte die Regierung angekündigt, die omanische Wirtschaft auf eine breitere Basis zu stellen und die Privatwirtschaft zu stärken. Die Fischerei sollte gefördert werden und die Landwirtschaft, die Kleinindustrie und der Tourismus. Doch obwohl Oman viel weniger Reserven hat als die Nachbaremirate Abu Dhabi und Qatar, machen die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft auch heute noch knapp 80 Prozent der Staatseinnahmen aus.
Wegen des niedrigen Ölpreises bleiben die Einnahmen aber weit hinter den Erwartungen zurück. Im Januar wurden deshalb die Steuern und der Benzinpreis erhöht. Um das Land unabhängiger von den Georessourcen zu machen, setzt die Regierung in Maskat auf die Entwicklung des Tourismus.
Auf dem kleinen Souk von Mattrah versuchen Händler, ihre Waren an den Mann zu bringen. Weihrauch aus dem Süden des Landes, traditionelle Tücher aus Salalah, Schmuck aus Ostafrika – mit ihrem Angebot richten sich die Verkäufer vor allem an Touristen. Seit einigen Jahren sind die Preise an den meisten Ständen ausgezeichnet, gehandelt wird hier nur noch selten.

Wüstentouren und Tauchurlaube

Oman hat sich in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Urlaubsziel entwickelt. Im Hafen von Maskat legen regelmäßig Kreuzfahrtschiffe an. Die Kombination aus traditioneller Kultur und exklusiven Luxus-Hotels sorgt für steigende Touristenzahlen. Wüstentouren und Tauch-Urlaube sind besonders begehrt. Der Flughafen von Maskat wird zurzeit ausgebaut, weitere Hotels sollen folgen.
Doch die Omaner sind nicht immer glücklich über die Besucher. Frauen in schulterfreien T-Shirts oder Männer mit kurzen Hosen verändern das Straßenbild. Das gefällt nicht allen. Omaner legen Wert auf formelle Kleidung. Die Männer tragen meist ein langes, weißes Gewand, die Dischdascha, zumindest in der Öffentlichkeit – und die traditionelle omanische Kopfbedeckung, die an einen Turban erinnert - zumindest in der Öffentlichkeit. Die meisten Frauen bedecken ihre Kleidung mit einer langen, schwarzen Abaya, viele tragen auch Kopftuch. Was als angemessen gilt und was nicht, wird auch in den Zeitungen debattiert.
Trotz der Reisenden – Der Tourismus trägt bislang nicht einmal sechs Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der Staat muss also Schulden machen – oder sparen, meint der Unternehmer Murtadha Hassan Ali.
"Das sind strukturelle Probleme, für die wir entsprechende Lösungen brauchen. Doch die Mehrheit der Bevölkerung fragt sich, warum sie den Preis für etwas zahlen soll, für das sie nicht verantwortlich ist – obwohl sie lange davon profitiert hat."
Nach 45 Jahren unter der Herrschaft von Sultan Qaboos fragen sich viele, wer dem kinderlosen Monarchen einmal nachfolgt - und die Herausforderungen angeht, die sich schon seit einigen Jahren abzeichnen. Vielen jungen Omanern, die nie einen anderen Herrscher erlebt haben als Sultan Qaboos, geht die Entwicklung im Land nicht mehr schnell genug. Sie tauschen sich auf Twitter und Facebook aus, üben Kritik an den Missständen im Land. Viele wollen mitbestimmen und ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen – aber ihre Möglichkeiten im Sultanat sind begrenzt.

Traditionen und Moderne verknüpfen

Zwar dürfen alle Omaner, die älter als 21 Jahre sind, die Mitglieder des Unterhauses wählen. Dessen Kompetenzen wurden nach den Protesten 2011 auch leicht erweitert. Doch der Einfluss des Madschlis Al-Schura, der den Sultan und seine Regierung berät, ist nicht besonders groß. Einer Umfrage der Online-Zeitung "Al-Balad Oman" zufolge glauben nur wenige Omaner, dass das Unterhaus von der Regierung gehört wird. Und bei der Wahl zum Matschlis Al-Schura im Oktober 2015 war die Wahlbeteiligung mit 57 Prozent deutlich niedriger als vor vier Jahren. Ohnehin fühlen sich viele Wähler ihrer Familie oder ihrem Stamm verpflichtet und wählen deshalb ihren jeweiligen Repräsentanten, unabhängig von dessen Kompetenz.
Die Traditionen der Stammesgesellschaft mit den Errungenschaften der Moderne zu verbinden – das ist auch für die junge Generation nicht einfach. Ahlan, die 22-Jährige Studentin aus Maskat überlegt, nach ihrem Bachelor-Abschluss in Geologie noch ein Masterstudium zu absolvieren. Doch sie weiß schon jetzt: Das wird nicht einfach.
"Eine Herausforderung für Frauen ist immer noch die Frage, ob sie heiraten oder weiter arbeiten sollen. Viele Familien, auch meine, erwarten, dass man in einem bestimmten Alter heiratet – also auf jeden Fall, bevor man 30 ist. Das ist für uns immer noch ein Problem."
Ahlan will auf jeden Fall eine Familie gründen – so, wie sie es von ihren Eltern und Großeltern kennt. Trotzdem möchte sie später unbedingt arbeiten. Dass sie – anders noch als ihre Mütter - diese Möglichkeit haben, wissen Ahlan und ihre Freundinnen an der Universität zu schätzen.
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