Sorge um das Gemeinwohl

Politik sollte sich auf Wesentliches konzentrieren

Der ehemalige NRW- Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) steht auf dem Johannes-Rau-Platz in Düsseldorf neben der kurz zuvor enthüllten Porträt-Büste von Karl Arnold (CDU), ehemaliger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.
Jürgen Rütters warnt: Die Akteure in der Politik dürfen nicht mitmachen im Spiel der Macht © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Von Jürgen Rüttgers · 04.05.2015
In der Politik übertreffen sich die Parteien mit einer Fülle an Forderungen. Die Umsetzung aber bleibt meist im Unklaren. Das sorgt für Unsicherheiten, mahnt der Ex-NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und empfiehlt: Maßstäbe setzen und die Konzentration auf Prioritäten.
Deutschland geht es gut. Wir sind gestärkt aus der Krise hervorgegangen. Der Bundeshaushalt ist erstmals seit Jahrzehnten ausgeglichen. Die Zinsausgaben sind so niedrig wie selten zuvor. Die jährlichen Mehreinnahmen des Staates steigen immer höher. Die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sinken. Die Wirtschaft wächst.
Glaubt man aber den Kommentaren in den Zeitungen, im Radio, Fernsehen und Internet, dominieren Angst, Unsicherheit und Streit. Dem einen gibt es zu viel Staat, der andere warnt vor zu viel Markt. Im Thüringer Koalitionsvertrag von Linken, SPD und Grünen kommt das Wort "Marktwirtschaft" gar nicht mehr vor. Viele fordern neue Konjunktur- und Investitionsprogramme, sogar mit Krediten finanziert. Andere wollen den Schuldenabbau fortsetzen, damit das Wachstum auch zukünftig steigt. Linke Politiker fordern zusammen mit den Arbeitgebern mehr Zuwanderung. Von Integration spricht kaum einer.
Die Klimawende kommt nicht richtig voran. Einen Musterplan für den Atomausstieg gibt es bisher nicht. Trotzdem fordern nicht wenige gleichzeitig den Ausstieg aus der Kohle. Woher das Geld dafür kommt, bleibt offen.
Kompromisse oft bereits vorher ausgeschlossen
Solche Unübersichtlichkeit führt zu Unsicherheit. Politik war einmal die Kunst des Möglichen. Heute hat man den Eindruck, dass Politik das Unmögliche verspricht. Politik ist auch die Kunst, Kompromisse zwischen unterschiedlichen Interessen zu schließen. Da immer mehr angeblich "alternativlos" ist, kann es ja logischerweise auch keine Kompromisse geben. Politik ist nur erfolgreich, wenn sie sich in den Medien vermarkten lässt. Deshalb hält man sich mit Einzelheiten am besten gar nicht auf.
Politik erfordert auch die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen. Das meint aber nicht, alles für wichtig zu halten, sondern das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Dazu braucht man Maßstäbe und Wertvorstellungen. In unserer Zeit kommt es aber anscheinend mehr auf den Preis als auf den Wert an. In Zeiten, in denen sich die Welt mit rasanter Geschwindigkeit verändert, ist es fahrlässig, den Bürgern zu verschweigen, dass auch Deutschland sich verändern wird und verändern muss, jedenfalls wenn wir auch in Zukunft sicher leben wollen. "Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar", hat Ingeborg Bachmann gesagt.
Die große Verpflichtung: Die Zukunft gestalten
Die Politiker und die politischen Institutionen haben den Wählerauftrag, Zukunft zu gestalten. Dazu gehört, wie der Amtseid sagt, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Dazu braucht man Menschen, die für das Gemeinwohl arbeiten, Werte, Ideen, Kompromisse, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Partizipation. Dieses komplizierte System, das wir Demokratie nennen, ermöglicht, dass wir in Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit in Deutschland und Europa leben können. Wer das aus den Augen verliert und sich auf das Spiel der Macht und die Eitelkeiten der Medienwelt beschränkt, hat unser Vertrauen nicht verdient. Und wir Bürger haben die Pflicht, unsere Demokratie immer wieder zu verteidigen.
Jürgen Rüttgers, Jahrgang 1951, studierte Geschichte und Rechtswissenschaft in Köln. Er war Bundestagsabgeordneter, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Landesvorsitzender der CDU und Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens. Derzeit arbeitet er als Rechtswalt in Düsseldorf.
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