Sonnleitner: Wir stecken mitten in der Krise

Gerd Sonnleitner im Gespräch mit Nana Brink · 16.12.2009
Um knapp ein Viertel ist das Einkommen der Bauern 2009 infolge der Wirtschaftskrise zurückgegangen, meldet ein vom Bauernverband herausgegebener Situationsbericht. Präsident Gerd Sonnleitner fordert weitere staatliche Hilfen für den Berufsstand.
Nana Brink: Die Zeitungen sind voll mit bunten Werbeseiten der großen Lebensmittel-Discounter, die mit großen Zahlen uns Verbrauchern entgegenschreien: "Billig, billig, billig!" 2009 war das Jahr der sinkenden Lebensmittelpreise. Durchschnittlich um 1,3 Prozent sind die Preise im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Schön, könnte man denken. Die Verlierer allerdings stehen auch schon fest: die Milch- und Ackerbauern. So sieht es zumindest der Deutsche Bauernverband und spricht von einem desaströsen Wirtschaftsjahr. Um knapp ein Viertel ist das Einkommen auf den Bauernhöfen dieses Jahr gesunken. Gerd Sonnleitner ist Präsident des Deutschen Bauernverbandes und ich habe ihn gefragt, wie sehr denn die deutsche Landwirtschaft unter der Wirtschaftskrise gelitten hat.

Gerd Sonnleitner: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch auf die deutschen Landwirte voll durchgeschlagen, zwar zeitversetzt, aber jetzt sind wir mitten drinnen, und das hat für uns bedeutet, dass wir im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2008/2009 im Schnitt aller deutschen Landwirte 24 Prozent weniger verdient haben und dies schon auf einem niedrigen Niveau. Das heißt, wir stecken mitten drin in der Krise.

Brink: Sie haben mal gesagt, Sie erwarten sich von einer neuen Regierung eine Art Bauernbefreiung?

Sonnleitner: Die jetzige Regierungskoalition Schwarz-Gelb hat ja im Koalitionsvertrag festgelegt, 750 Millionen Euro sofort in die Landwirtschaft zur Krisenbewältigung hineinzugeben. Sie hat uns beim Agrardiesel auch geholfen, bei Liquiditätshilfen. Sicher ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es hilft uns, diese große Schwierigkeit in der jetzigen Krise besser zu meistern und auszusteuern.

Brink: Warum hat es denn die deutschen Bauern dann so hart getroffen?

Sonnleitner: Es hat nicht nur die deutschen Bauern hart getroffen, alle europäischen Bauern oder die Bauern generell auf unserem Planeten Erde leiden überall an Nachfragemangel, oder wenn, wird der Preis extrem gedrückt. Die Kaufkraft ist ja auch überall in allen Volkswirtschaften zurückgegangen und dies schlägt sich dann durch, wenn Produkte eingekauft werden, auch bei den Nahrungsmitteln.

Brink: Dann machen wir das doch mal konkreter bei der Milchkrise, die wir ja in diesem Jahr hatten. Zumindest von Seiten der Bauern gab es ja eine Quote, es gab unglaublich niedrige Preise in den Supermärkten, und Sie haben trotzdem gesagt, diese Milchquote ist nicht der richtige Weg.

Sonnleitner: Die EU, die Regierungschefs haben 2003 zum wiederholten Mal und dort endgültig beschlossen und festgelegt, dass die Quote 2015 ausläuft. Jetzt haben wir noch die Quote und auch hier sieht man, dass die Quote allein nicht hilft, wenn Märkte wegbrechen, wenn die Kaufkraft nicht mehr vorhanden ist, und dass wir dann eben zu Notmaßnahmen greifen müssen mit einem Sicherheitsnetz, um Märkte noch einigermaßen über Wasser zu halten.

Brink: Aber trotzdem können Sie ja die Globalisierung nicht rückgängig machen.

Sonnleitner: Nein! Die Globalisierung, da ist es wie mit dem Wetter. Die Globalisierung haben wir als Bauernverband nicht zu verantworten, sondern das wollte unsere Volkswirtschaft, das wollte die Industrie, das wollten aber auch viele unserer Mitbürger und wir haben uns darauf einzustellen. Wir können nicht zu Weltmarktpreisen produzieren, dann muss dies über Transferzahlungen eben ausgeglichen werden.

Brink: Können dann in dieser von Ihnen skizzierten Situation nur noch Agrar-Großbetriebe bestehen? Wir haben ja ein Sterben von gerade kleinen Betrieben hier in Deutschland.

Sonnleitner: Ich würde nie sagen, dass der Große den Kleinen frisst, sondern der Schnelle frisst den Langsamen als Grundaussage. Wir haben sehr viel kleine Betriebe, Zu- und Nebenerwerbsbetriebe, die überleben: Wir haben große Betriebe, die sich umstellen und aufhören. Das ist sehr durchwachsen. Es ist nicht nur so, dass die Kleinen aufhören. Aber wir setzen uns natürlich massiv dafür ein, dass kleinere Betriebe Vorteile aus der Steuergesetzgebung, aus der Sozialgesetzgebung bekommen, und dass sie auch in die Märkte hinein stärker Möglichkeiten der Zusammenschlüsse der Erzeugergemeinschaften bekommen, in den Markt hinein zu bestehen.

Brink: Aber es ist doch Fakt, dass große Betriebe, die großen Abnehmer – nehmen wir Unilever, nehmen wir Nestlé – eigentlich diejenigen sind, die überleben.

Sonnleitner: Wir sind nicht Unilever und nicht Nestlé und Co., sondern wir sind Bauern der Primärproduktion. Unilever ist ja die Ernährungswirtschaft, das sind ganz andere Größenordnungen. Wir als Bauern müssen uns in der Primärproduktion so aufstellen, dass uns Unilever oder so große Konzerne oder Nestlé nicht alles diktieren, dass wir nicht deren Schlepperfahrer werden, sondern dass wir über Erzeugerzusammenschlüsse, was ja das Marktstrukturgesetz erlaubt, dann unsere Position in den Markt hinein stärken und verbessern und wir mehr auf gleicher Augenhöhe mit den Abnehmern reden und verhandeln können.

Brink: Bedeutet das auch ein Umdenken auf der Verbraucherseite, dass man sagen kann, man kann eben diese Billigprodukte zwar kaufen, aber damit riskiert man, dass natürlich auch immer mehr Höfe sterben?

Sonnleitner: Ich würde mir wünschen - und daran arbeiten wir sehr stark, aber das ist ein sehr hartes Geschäft, den Verbraucher, unsere Mitbürger zu überzeugen -, dass er mit seinem Einkauf, mit der Wahl seiner Nahrungsmittel natürlich heimische Landwirtschaft stützen kann oder eben fallen lassen kann, und das müssen wir noch viel mehr in das Bewusstsein der Verbraucher bekommen. Aber wir haben in Deutschland die Situation, dass die Lebensmitteleinzelhändler den brutalsten Wettbewerb untereinander auf dem Rücken ihrer Mitarbeiter, aber auch der Bauern und der Nahrungsmittelproduzenten ausfechten. Das ist ein spezielles deutsches Problem, das uns massiv in die Knie zwingt und wo wir noch einer Lösung brauchen. Und wir haben ja noch 360.000 Bauern in Deutschland, aber wir haben nurmehr ein paar Retailer, sprich Discounter, die im Grunde alles bestimmen. Das sind Größenverhältnisse, die meinen Wertvorstellungen nicht entsprechen und die auch langfristig schädlich sind.

Brink: Sie haben in Ihrem Situationsbericht 2010 vom Bauernverband, der gerade rausgekommen ist, geschrieben, dass es eine Koexistenz zwischen Gentechnik und traditioneller Landwirtschaft geben kann. Früher waren Sie aber eigentlich mal dagegen, gegen Gentechnik.

Sonnleitner: Ich habe immer darauf hingewiesen, dass wir Gentechnik-veränderte Produkte nicht produzieren, wenn es der Verbraucher nicht will. Der Kunde ist König, das ist das oberste Prinzip. Und wir dürfen nicht in der Wissenschaft, Forschung und Freilandversuche Deutschland ausklammern in einer Wissensgesellschaft. Das muss offen gehalten werden. Dann haben wir die europäischen Regeln der friedlichen Koexistenz. Das heißt, keiner darf von gentechnisch veränderten Produkten tangiert werden in seiner Produktionsweise und dafür gibt es Abstandsregeln. Wenn ich die deutschen Abstandsregeln hernehme, dann kann ich nur vielleicht in Mecklenburg-Vorpommern oder in Brandenburg an einigen Flächen gentechnisch veränderte Produkte säen oder anpflanzen und bewirtschaften, aber im übrigen Deutschland nicht. Also stellt sich für mich die Frage in der Form nicht.

Brink: Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, und ich sprach mit ihm über die deutsche Landwirtschaft in der Wirtschaftskrise.