Sondierungsgespräche

Der Verlierer steht schon fest

SPD-Chef Martin Schulz
Wie sieht die politische Zukunft von SPD-Chef Schulz aus? © imago / Sven Simon
Von Ingo Arend · 10.01.2018
Ausgelaugt, zermürbt, geschmäht: Das Ende einer möglichen neuen Koalition ist für die Genossen absehbar. Nach spätestens zwei Jahren dürfte ein mutmaßlicher Vizekanzler Martin Schulz aussehen wie eine Mischung aus Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichskanzler Hermann Müller.
Weltoffenes Deutschland oder Bastion des Abendlandes? Regierungsbildung oder Konterrevolution? Rachefeldzug oder politische Kooperation? Worum geht es derzeit eigentlich in Berlin? Wenn Alexander Dobrindt lieber mit Viktor Orban, Sebastian Kurz und Heinz Strache eine konservative Kulturrevolution in Szene setzen will, warum schützt die SPD dann nicht ihre ideologischen Außengrenzen, bricht die Sondierungen mit der Union ab und schiebt insbesondere Angela Merkel vor diesen Knoten?
Hinter den Sirenengesängen von einer "stabilen Regierung", die CDU-Politiker in diesen Tagen anstimmen, verbirgt sich eine ziemlich durchsichtige Umarmungsstrategie. Die gute alte Tante SPD soll in der Falle des Euphemismus "staatspolitische Verantwortung" stillgestellt werden. Derweil Herr Dobrindt seine "konservative Revolution der Bürger" vorbereitet. Und die letzten Rentner der gefährlichen 68er-Fraktion aus der "sozialistischen Mottenkiste" entsorgt.

Wer wird der "Verzichtspolitiker"?

Fraglich, ob die harmlose, verzagte Truppe diese Mühe wert ist. Das Ende des Spiels ist für die Genoss*innen freilich absehbar. Nach spätestens zwei Jahren dürfte ein mutmaßlicher Vizekanzler Martin Schulz wie eine Mischung aus Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichskanzler Hermann Müller aussehen: Ausgelaugt, zermürbt, als "ehrloser Geselle", "Vaterlandsverräter" und "Verzichtspolitiker" geschmäht.
Alexander Dobrindt ist uns bislang nicht als Intellektueller aufgefallen. Schwer zu sagen, was er mit der bedeutungsvollen Tautologie "konservative Bürgerlichkeit" wirklich meint. Warum die nun zur "Revolution" rufen soll. Wo doch schon die der 68er so viel Schaden angerichtet hat. Und ob er sie von der "konservativen Revolution" eines Publizisten, wie Armin Mohler unterscheiden kann, der den Zusammenschluss von enttäuschten Liberalen und Sozialisten als Vorstufe des Faschismus sah.

Scharnier zwischen klassischem Bürgertum und Neuer Rechten

Derart pathetische Fanale aus der Feder von hornbrillenbewehrten Berufspolitikern haben meist auch etwas Belustigendes. Bekanntlich endete ein ähnlicher Versuch der Trendwende, Altkanzler Helmut Kohls "geistig-moralische Wende" von 1980, als ziemlich unrühmlicher Spendenskandal. Wir könnten also gelassen sein.
Mit seiner geborgten Rhetorik macht sich ausgerechnet der Ex-Minister für grenzüberschreitenden Verkehr und digitale Mobilität - gewollt oder ungewollt - zum Scharnier zwischen den Diskursen des klassischen Bürgertums und der Neuen Rechten. Die seit den späten 80er Jahren darauf hinarbeitet, mit ihren Leitbegriffen die intellektuelle Hegemonie im bürgerlichen Lager zu erlangen.

Gegen eine Ideologie der Gleichheit

"Der Mensch beherrscht nicht mehr einen Raum als Territorium, weil er von überall kommt, also von nirgendwo" ventilierte schon 1982 der französische Publizist Pierre Krebs, einer ihrer Vordenker, die neurechte Kampfansage an den heimatlosen Universalismus, "der Mensch", so schrieb er "gehört nicht mehr einem Ort, einer Herkunft, einer Geschichte und somit einer Kultur, einem Schicksal und einer Macht an". Gegen die Ideologie der Gleichheit der Französischen Revolution und ihrer späten Nachfolger in der Frankfurter Schule oder den 68ern setzte er das perfide "Grundrecht auf Verschiedenheit".
Als Wegbereiterin einer Euro-Nationalen Front der starken Hand, der postmodern getarnten Xenophobie und der sozialen Hierarchie sollte sich die SPD aber zu schade sein. Wann, wenn nicht jetzt, wäre Ihre Stunden gekommen, sich als glasklare Alternative zur herbeigeredeten Kernschmelze rechts aufzubauen? Mit einer großen Koalition der Heimatapostel von Dobrindt bis Gabriel dürfte das kaum gelingen. Mit dem "Bollwerk der Demokratie", das Martin Schulz an dem denkwürdigen Wahlabend im vergangenen September versprach, schon eher.

Ingo Arend, geboren in Frankfurt am Main, Politologe und Historiker, arbeitet seit 1990 als Kulturjournalist und Essayist für Bildende Kunst, Literatur und das Politische Feuilleton.

Von 1996 bis 2010 Kulturredakteur des "freitag", von 2007-2009 sein Redaktionsleiter. Er schreibt über Global Art, Kunst und Politik, Kunst und Kultur der Türkei. Mitglied des Präsidiums der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK).

Ingo Arend
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