Sondersendung Kompressor - live von der Berlinale

Wenn die Sterne auf der Erde sind

Das Kulturtaxi von Deutschlandradio Kultur
Das Kulturtaxi von Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio Kultur
Mit Bruce LaBruce, Susanne Sachsse, James Benning und Andreas Reihse von Kreidler · 10.02.2017
Mit einer Sondersendung berichten wir vom "Forum Expanded" der Berlinale - live aus der Akademie der Künste. Zu Gast sind unter anderem ein Superstar des subkulturellen und des unabhängigen Films, Bruce LaBruce, sowie Susanne Sachsse und James Benning.
Das Forum Expanded ist die Avantgarde-Sektion der Berlinale und versteht sich als "kritische Kommentierung und Erweiterung des Kinematografischen", hier treffen Experimentalfilm, Videokunst und multimediale Installationen aufeinander.
In diesem Jahr findet die 12. Ausgabe unter dem Titel "The Stars Down to Earth"statt, und der Kompressor sendet Live aus dem FE-Headquarter aus der Akademie der Künste im Berliner Hansaviertel.
2006 wurde das Forum Expanded ins Leben gerufen: Mit der Präsentation von Film-, Video-, installativen und performativen Arbeiten zu wechselnden Schwerpunkten und an verschiedenen Orten in Berlin übernimmt das Forum Expanded die kritische Kommentierung und Erweiterung des Kinematografischen.

Unsere Gäste:

Die Dokumentar- und Experimentalfilm-Legende James Benning zu seiner Videoinstallation "Untitled Fragments". Die 3-Kanal-Videoinstallation bringt vier historische Geschichten miteinander in Verbindung: Kit Carsons Politik der verbrannten Erde, mit der er in den 1860er-Jahren die Navajos aus ihrer Heimat im Canyon de Chelly vertrieb, die Exekution Che Guevaras in Bolivien 1967, das Flächenbombardement in Hanoi 1972 und das Cedar Fire, ein Flächenbrand in der kalifornischen Sierra 2016.
Der Filmemacher James Benning
Dokumentar- und Experimentalfilm-Legende James Benning© Deutschlandradio / Annette Bräunlein
Auf der Tonspur ist die Aufnahme der Funkübermittlung einer B-52 der US Air Force (Stratofortress Bomber, Codename Lilac 02) zu hören, die am Abend des 26. Dezembers 1972 entstand, als 116 B-52s während ihres Angriffs auf Hanoi und Haiphong innerhalb von 15 Minuten ihre gesamten Bomben abwarfen. Die Aufnahme wurde 2016 freigegeben. Die Installation ist Teil eines größeren Projekts, zu dem zusätzlich Malerei, Zeichnungen, Serigraphien, Wandteppiche, Filmloops und historische Objekte gehören.
James Benning wurde 1942 in Milwaukee, USA geboren. Ab 1972, noch vor seinem Filmstudium an der University of Wisconsin, begann er Filme zu drehen. Von 1977 bis 1980 unterrichtete er an den Universitäten von Kalifornien und Oklahoma und zog dann nach New York, wo er als Filmemacher arbeitete. 2009 wechselte er vom 16-mm-Film zu digitalen Formaten.
Seitdem realisierte er auch zahlreiche Installationen und ortsspezifische Arbeiten, die in Galerien und Museen gezeigt wurden. Neben seiner Filmarbeit lehrt er seit 1987 am California Institute of the Arts. Letztes Jahr war er ein Gastkünstler an der Internationalen Hochschule für Film und Fernsehen (EICTV) in Kuba.
Susanne Sachsse, Hauptdarstellerin im Film "Ulrike's Brain" über das Gehirn von Ulrike Mainhof.
In Anspielung auf B-Movies der 1960er-Jahre wie "They saved Hitler´s brain" und "The brain that would not die" erzählt "Ulrike's Brain" die Geschichte von Doktor Julia Feifer (Susanne Sachsse), die mit einem Behälter für Organtransporte unter dem Arm auf einer akademischen Konferenz auftaucht.
In der Kiste befindet sich Ulrike Meinhofs Gehirn, das neben den Gehirnen dreier weiterer Führungskader der Roten Armee Fraktion nach deren Tod im Gefängnis Stammheim von den Behörden konfisziert wurde. Doktor Feifer empfängt telepathisch von Ulrikes Gehirn den Befehl, eine neue feministische Revolution anzuführen. Zu diesem Zweck ist sie auf der Suche nach dem idealen weiblichen Körper, in den sie das Gehirn einpflanzen kann.
Zur gleichen Zeit erreicht auch Feifers Erzrivale, der ultra-rechte Ideologe Detlev Schlesinger, die Konferenz. Er wiederum ist im Besitz der Asche des ehemaligen deutschen Neonazi-Anführers und berüchtigten Homosexuellen Michael Kühnen, der 1989 an den Folgen von AIDS verstarb. Chaos bricht aus, als die zwei Frankensteinmonster der extremen Linken und Rechten aufeinandertreffen.
Susanne Sachsse ist Schauspielerin und Regisseurin. Sie war am Berliner Ensemble engagiert und arbeitete dort mit Heiner Müller, Robert Wilson und Einar Schleef. 2001 war sie Mitgründerin des Künstlerkollektivs CHEAP.
Sie arbeitet in verschiedenen Performance, Film- und Kunstkontexten unter anderem mit Yael Bartana, Bruce LaBruce, Phil Collins, Keren Cytter, Vaginal Davis, Katya Sander, Jamie Stewart und Vegard Vinge/Ida Müller. Sachsses erste Videoinstallation "Serious Ladies" (2013) wurde im Rahmen des Arsenal-Projekts, Living Archive – Archivarbeit als künstlerische und kuratorische Praxis der Gegenwart in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin ausgestellt.
Die Schauspielerin und Regisseurin Susanne Sachsse und der Filmemacher und Fotograf Bruce LaBruce am Rande der 17. Berlinale
Die Schauspielerin und Regisseurin Susanne Sachsse und der Filmemacher und Fotograf Bruce LaBruce© Deutschlandradio Kultur / Annette Bräunlein
Bruce LaBruce ist ein Superstar des subkulturellen und des unabhängigen Films und eine schillernde Persönlichkeit. Geboren wurde er 1964 in Southampton, Ontario, Kanada. Er ist nicht nur Filmemacher und Fotograf, sondern auch Schriftsteller und Künstler. Er lebt in Toronto und arbeitet weltweit. Er ist Drehbuchautor und Regisseur von einigen Kurzfilmen und neun Spielfilmen, wie "The Raspberry Reich".
Außerdem führte er Regie bei zahlreichen Musikvideos und Theaterstücken. Er verfasste seine vorzeitigen Memoiren 1998 mit "The Reluctant Pornographer" und 2016 mit "Porn Diaries: How To Succeed in Hardcore Without Really Trying", schreibt und fotografiert für internationale Magazine, Zeitungen und Webseiten und ist ein regelmäßiger Kolumnist für die Magazine "Eye" und "Vice".
Als Künstler war Bruce LaBruce in zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten. Seine Filme wurden auf internationalen Filmfestivals gezeigt und ihnen wurden mehrere Retrospektiven gewidmet.
Andreas Reihse von der hochgeschätzten Düsseldorfer Band Kreidler spricht über den Film "2+2=22 (The Alphabet)" und über Kreidler-Aufnahmen in Tiflis.
Ausgetretene Straßenränder, zerbrochene Gehwegplatten. Bäume ragen aus dem Zement und werfen Schlagschatten auf bröckelnde Fassaden. Das Stadtzentrum von Tiflis im Sommer 2013. Blicke in Seiten- und Hauptstraßen, über Geländer und unter Balkone, auf eine architektonische Kakophonie. Der von Natja Brunckhorst gesprochene Kommentar reflektiert über das Wesen von Straße und öffentlichem Raum.
Der Musiker Andreas Reihse
Der Musiker Andreas Reihse am Rande der 17. Berlinale© Deutschlandradio / Annette Bräunlein
In einem eichenholzverkleideten Aufnahmestudio nimmt die Düsseldorfer Band Kreidler ihr Album "ABC" auf. Der Drummer trägt Kopfhörer, sein Set steht auf einem Teppich, der farblich auf den Mosaikfußboden abgestimmt ist. Nur die komplexe Geometrie der schalldämmenden Decke ist weiß. Der Boden ist bedeckt von Kabelwirrwarr und Elektronik. Die Atmosphäre ist konzentriert, die Kommunikation zwischen den Musikern oft wortlos.
Drittes Element der Parallelmontage sind die vertrauten, eng beschriebenen und mit Prospektausrissen oder Kinokarten beklebten, wie immer rasch durchgeblätterten Notizbücher des Regisseurs. Sie folgen dem Alphabet.
Heinz Emigholz rebootet mit diesem ersten Teil der "Streetscapes" seine Serie "Photographie und jenseits" und leitet einen faszinierenden neuen Abschnitt ein. (Christoph Terhechte)