Sommerferien-Auftakt

Ist der Stau unvermeidlich?

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Ein Navigationsgerät © Deutschlandradio / Ellen Wilke
Gerd-Axel Ahrens im Gespräch mit Ute Welty · 27.06.2015
Stau-Apps, Echtzeit-Navis, Verkehrsprognosen oder der Ausbau der Infrastruktur - alle Maßnahmen zur Verflüssigung des Verkehrs bringen nichts, sagt Professor Gerd-Axel Ahrens von der TU Dresden, denn: "Der Stau sind wir selbst."
Der Verkehrsplaner Gerd-Axel Ahrens hält Staus zu Ferienbeginn für unvermeidlich, auch moderne Technik oder bessere Infrastruktur könnten keine Abhilfe schaffen.
"Der Stau sind wir selbst", sagte der Professor für Verkehrs- und Infrastrukturplanung von der TU Dresden im Deutschlandradio Kultur über den drohenden Stillstand auf Autobahnen und anderen Verkehrswegen, nachdem in Nordrhein-Westfalen jetzt die Sommerferien begonnen haben und im Wochenrythmus die weiteren Bundesländer folgen.
Trifft es immer nur die Anderen?
"Viele glauben, es trifft immer nur die Anderen", erklärte er die Resistenz gegen Ratschläge zur Stauvermeidung. Allerdings führten vor allem äußere Zwänge, wie zum Beispiel der oft auf den Samstag fallende Bettenwechsel in den Ferienanlagen, zum gleichzeitigen Start vieler Urlauber.
Auch Investitionen in die Infrastruktur durch den Bau weiterer Straßen hätten sich als kontraproduktiv erwiesen. Sie verhinderten die Umorientierung auf andere Verkehrsmittel: "Wir müssen feststellen, dass wenn wir immer neue große Angebote schaffen, wir auch die Nachfrage vergrößern. Wir nennen das induzierten Verkehr," so der Professor für Verkehrs- und Infrastrukturplanung an der Universität Dresden.
Stau-Warnungen in Echtzeit
Auch das Potenzial moderner Stau-Warn-Technik hält der Verkehrsplaner für begrenzt: "Wenn alle abfahren, ist plötzlich die Staustrecke frei und die Umfahrungsstrecke ist belastet." Trotz modernster Verkehrsüberwachung und Systeme, die in Echtzeit den Verkehr abbilden, vor Staus warnen und Umleitungen empfehlen, lohne es sich meist nicht, die Umwege in Kauf zu nehmen: "Meist sind die Entlastungstrecken dann auch zugestaut und Sie stehen dort im Stau."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Zwischen Stuttgart und Karlsruhe staut es sich besonders gern, zwischen Lübeck und Hamburg und auch zwischen Aachen und Köln. Und da staut es sich als Erstes, denn Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das geschlossen in die Sommerferien entlassen wird. Von daher setzen sich jetzt wieder Zigtausende in Bewegung in Richtung Italien, Österreich, Dänemark und in die Niederlande. Beziehungsweise sie bewegen sich eben in Richtung Stau, und die Hinweise des ADAC zur Stauvermeidung, die kann auch Professor Gerd-Axel Ahrens schon mitsprechen. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrs- und Infrastrukturplanung an der TU Dresden. Guten Morgen!
Gerd-Axel Ahrens: Ja, guten Morgen, Frau Welty!
Welty: An guten Ratschlägen, Staus zu vermeiden oder Staus zu meiden, mangelt es ja wirklich nicht. Trotzdem ist der Stau zu Ferienbeginn so sicher wie das Amen in der Kirche. Sind alle Ratschläge also sinnlos?
Äußere Zwänge und Randbedingungen
Ahrens: Na, ich hoffe nicht. Es wäre ohne Ratschläge und Gegenmaßnahmen wahrscheinlich noch schlimmer. Der Stau ist sicher in Teilen vermeidlich, aber für viele gehört der Stau zu den Ferien dazu, weil sie auch einfach nicht so wahlfrei sind, dann in die Ferien zu fahren, wenn die meisten anderen nicht in die Ferien fahren. Es gibt ja auch äußere Zwänge und Randbedingungen. Die Schulferien, die knappen Urlaubstage. Man will dann auch nicht noch zusätzlich mitten in der Woche losfahren und dadurch Urlaubstage vergeuden. Die Ferienwohnungen wechseln alle nur samstags oder viele nur samstags, und dann sind wir gezwungen, samstags, wenn wir eine Familie haben, mit der Familie im Auto in die Ferien zu fahren. Nicht jeder hat das Geld, zu fliegen oder mit der Bahn zu fahren. Die Bahn hat ja auch Kapazitätsprobleme durchaus.
Welty: Stehen wir womöglich darüber hinaus gern im Stau, ohne das wahrhaben zu wollen?
Ahrens: Ich würde das bezweifeln, also, dass wir das wirklich genießen, auf der Autobahn ...
Welty: So als kollektives Erlebnis?
Viele glauben ja, das trifft immer nur die anderen
Ahrens: Das kollektive – ja, die Resistenz ist relativ groß, aber ich sagte ja auch, die Zwänge sind auch da, und viele glauben ja, das trifft immer nur die anderen. Das ist so wie die Parkplatzsuche. Wir verhalten uns nicht ganz richtig, wir denken aber, die anderen, die befolgen die Ratschläge, die sind ja gut, damit ich besser dann zu den Normalzeiten – na ja, nun, bumms, landen wir im Stau. Der Stau, das ist natürlich richtig, der liegt nicht nur an den Straßen, sondern der Stau sind ja in erster Linie wir selber, vor allen Dingen, wenn wir wissentlich in den Stau fahren. Statt samstags zu fahren, wenn wir montags erst in den Urlaub fahren würden, würden wir dem Stau zu großen Teilen ausweichen können. Aber die Frage ist dann eben, ob ich die Ferienwohnung bekomme oder ob ich zwei Tage der Ferienwohnung dann nicht nutze, weil man kann sie nur von Samstag bis Samstag mieten.
Welty: Hilft es, mehr Straßen zu planen?
Ahrens: Natürlich hilft das. Hätten wir die Straßen nicht geplant, könnten wir gar nicht mit dem Auto in den Urlaub fahren. Aber Sie fragen wahrscheinlich, ob es hilft, noch mehr Straßen zu bauen –
Welty: Genau das habe ich gefragt.
Ahrens: Ach so, dann habe ich es akustisch nicht verstanden.
Welty: Kein Problem.
Wenn wir neue Angebote schaffen vergrößern wir die Nachfrage
Ahrens: Da haben wir sicherlich unser Lehrgeld zahlen müssen. Kapazitäten zu erweitern, wo wir Staus haben, hilft vordergründig erst mal sicherlich, wenn die Abfertigungsraten größer sind als die Nachfrage, haben wir keinen Stau. Aber wir müssen natürlich feststellen, dass wenn wir immer neue große Angebote schaffen, wir damit auch die Nachfrage vergrößern. Wir nennen das induzierter Verkehr. Und wenn wir dann noch mehr Leute auf die Autobahn ziehen, weil sie denken, ah, da sind ja wieder neue Strecken eröffnet worden, jetzt kann ich erst recht mit dem Auto fahren, jetzt brauche ich nicht verlagern auf Bahn oder auf einen anderen Wochentag, dann haben wir doch wieder den dicken Stau am Ende. Die Lösung liegt vielmehr darin, dass der Staat richtigerweise versucht hat, die Abfahrzeiten zu verändern durch die gestaffelten Ferienzeiten beispielsweise, durch gezielte Information, wo die Staus sind, wie man ihm ausweichen kann. Der Staat versucht auch in den Sommerzeiten, obwohl die Sommerzeit, wo wir keinen Frost haben, ja die wichtigste Bauzeit ist und wir alle wissen, dass unsere Autobahnen marode sind, kaputt gehen und wir sie reparieren müssen, versucht der Bundesverkehrsminister, gerade zu den Hauptferienzeiten die Baustellentätigkeit an besonders gravierenden Punkten zu vermeiden. Das tut er schon.
Welty: Die Gretchenfrage ist doch, den Stau aushalten oder abfahren und womöglich Umwege in Kauf nehmen. Was raten Sie wem? Gibt es so was wie eine magische Grenze, eine Staulänge, bei der sich das Abfahren auf jeden Fall lohnt?
Die Ferien ökologischer verbringen
Ahrens: Der schleppende Verkehr und stundenlang auf der Autobahn vor Salzburg zu stehen, ist sicherlich keine angenehme Lösung. Die Familienväter versuchen dann ja, schon Nächte vorher loszufahren oder abends spät um neun oder um zehn loszufahren, um in der Nacht den Stau zu vermeiden. Das ist sicherlich eine Lösung. Die wichtigste Lösung oder die wichtigsten Empfehlungen, die ich an den einzelnen, an den Urlauber selber ausgeben kann, ist natürlich, dass er den Zeitpunkt der Abfahrt wählt. Er kann sich auch die Frage stellen, ob er wirklich die Fahrt mit dem Auto antreten muss. Bahnreisen, und am Zielort kann man sich Fahrzeuge mieten, man kann sich dort Fahrräder mieten. Das ist heute ja alles möglich, ökologischer die Ferien zu verbringen. Die Zielwahl ist natürlich auch entscheidend. Müssen wir alle wie die Lemminge an die Adria, oder gibt es nicht auch noch andere schöne Ferienmöglichkeiten, zum Beispiel in Skandinavien.
Welty: Das löst aber immer noch nicht mein Problem: Fahre ich ab oder bleibe ich auf der Autobahn stehen?
Zeitraubende Umwege in Kauf zu nehmen lohnt meistens nicht
Ahrens: Ach so, Sie meinen jetzt, dass der Stau vor mir – ja, das ist auch wiederum ein schwieriges Problem. Mit den Ratschlägen erreichen wir natürlich viele Urlauber, und wenn alle abfahren, ist dann plötzlich die Staustrecke frei und die Umgehungsstrecke ist belastet. So war es jedenfalls in den Anfängen, als wir Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen getestet haben. Gerade im Ruhrgebiet waren da die Anfänge, in Recklinghausen. Inzwischen sind wir ja so weit, dass wir online den Verkehr beobachten können, und wenn Sie den Verkehrsnachrichten genau lauschen, dann wird Ihnen immer genau gesagt, wie viel Zeit Sie verlieren. Und Sie können dann ja auch den Zeitverbrauch bei der Umleitungsstrecke etwa abschätzen. Und meistens lohnt es sich nicht, wenn der Zeitverlust nur eine halbe Stunde oder eine Dreiviertelstunde ist, die langen, zeitraubenden Umwege in Anspruch zu nehmen. Sie fahren auf der Landstraße, wenn sie frei ist, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von vielleicht 65, auf der Autobahn von vielleicht 110, wenn sie frei ist. Und da dauern die Umwege eben ihre Zeit. Und meistens sind dann die Entlastungsstrecken auch zugestaut und auch dort stehen Sie sehr lange.
Welty: Wann und wo haben Sie zuletzt im Stau gestanden?
Ahrens: Ich fahre meistens mit der Bahn, und dann ärgere ich mich über die Bahnstreiks und versuche sie auch zu umfahren. Also, ich bin jetzt gerade dienstlich von München zurückgekommen und habe dann, statt im Stau zu stehen, einen weiten Umweg gemacht, der mich sicherlich viel mehr Zeit gekostet hat. Aber ich habe dann in einem Landgasthaus sehr schön gegessen und war dann nicht so böse, dass ich Zeit verliere.
Welty: Nichts ist so schlecht, dass es nicht auch für irgendwas gut ist.
Ahrens: Ja, man muss sich alles schön reden.
Welty: Das haben Sie wunderbar hinbekommen in den letzten sechs Minuten. Verkehrsplaner Gerd-Axel Ahrens – zwischen fließendem und stehendem Verkehr, und das, wo in Nordrhein-Westfalen die Sommerferien beginnen. Ich danke herzlich!
Ahrens: Ja, ich danke auch, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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