Solidarisch Preppen
Die Bevölkerung muss sich auf den Notfall vorbereiten – aber nicht jeder für sich, sondern gemeinschaftlich. So sehen es solidarische Prepper. © imago / Gudella
Gemeinsam durch die Krise

Preppen hat einen schlechten Ruf. Es klingt nach Abschotten in selbstgebauten Schutzbunkern und Schießübungen im Wald. Dabei geht Vorsorgen für den Notfall auch gemeinschaftlich: „Solidarisch Preppen“ nennen Klimaaktivisten das Konzept. Was steckt dahinter?
Blumen gießen, ein Ei oder die Bohrmaschine ausborgen, den Ersatzschlüssel deponieren. Gute Nachbarschaft kann in so mancher Lebenslage helfen – aber auch im Katastrophenfall? Bei schweren Überschwemmungen oder mehrtägigen Stromausfällen?
„Solidarisch Preppen“ nennen Klimaaktivisten die Strategie der gemeinschaftlichen Kollapsvorsorge. Was verbirgt sich hinter dem Konzept? Und wie werden aus Nachbarn Katastrophenhelfer?
Inhalt
Was ist solidarisches Preppen?
Wer an „Prepper“ denkt, hat oft Männer im Kopf, die im Wald Vorräte horten, die Schutzräume bauen und Schießübungen machen. Die Survival-Trainings absolvieren oder sich mit Konserven und einer automatischen Waffe im bombensicheren Bunker verschanzen. Männer, die glauben, einen Weltuntergang im Alleingang stemmen zu können.
Dabei leitet sich der Begriff vom englischen Wort „prepare“ ab für „sich vorbereiten“, und meint eine Praxis, bei der sich Menschen gezielt auf das Eintreten einer wie auch immer gearteten Katastrophe oder Krise vorbereiten. Und das muss nicht im Alleingang passieren. Hier setzt die Idee des „Soldarischen Preppens“ an, eine Strategie der gemeinschaftlichen Katastrophenvorsorge.
Die Idee stammt aus Schweden, wo Aktivistinnen und Aktivisten der Stockholmer Stadtteilgruppen die Initiative „Preppa Tillsammans“ (auf Deutsch: zusammen preppen) gegründet haben. Der Gedanke hinter dem Konzept: Wenn schon die Katastrophe nicht mehr zu verhindern ist, dann solle man ihr zumindest gemeinsam und gut gewappnet begegnen – statt allein und unvorbereitet.
Den Aktivisten von Preppa Tillsammans geht es nach eigener Aussage darum, die Krisenvorsorge der Behörden auf lokaler und allgemeiner Ebene zu ergänzen. Sie plädieren dafür, direkt in den Quartieren vorzusorgen, in der eigenen Nachbarschaft, in den Stadtteilen und Dörfern. Allerdings: Nicht jeder für sich, sondern für alle. Vor allem für diejenigen, die selbst dazu nicht in der Lage sind.
Die Initiative „Klimakollaps“ sieht im solidarischen Preppen einen „Gegenentwurf zu rein individualistischen oder gar rechtsextremen Narrativen der Katastrophenvorsorge“. Es ziele darauf ab, „jegliche Form von Leid zu reduzieren“ und beinhalte neben individuellen Maßnahmen vor allem die Stärkung von Gemeinschaften, den Schutz vulnerabler Gruppen und Umweltschutz. Dabei könne solidarisches Preppen auch als Konzept verstanden werden, welches über Umwelt- und Klimaaktivismus hinausgehe und „den gesellschaftlichen Zusammenbruch als wahrscheinlichste Folge der multiplen Krisen unserer Zeit in den Aktivismus einbezieht“.
Warum ist Notfallvorsorge wichtig – und was empfehlen Fachleute?
Corona-Pandemie, Flutkatastrophe im Ahrtal, Krieg in der Ukraine. Zuletzt der massive Blackout in Teilen Spaniens und Portugals, der vor Augen geführt hat: Ohne Strom geht so gut wie nichts mehr. Auf den Straßen fallen die Ampeln aus, im Supermarkt die Kassen. Mit Karte zahlen oder Geld abheben geht nicht. Der Herd springt nicht an. Und ohne Handyakku lässt sich auch nicht mal eben googlen, was bei einem Stromausfall eigentlich zu tun ist.
Bis im Katastrophenfall Hilfe kommt, kann es dauern. Für eine gewisse Zeit ist die Bevölkerung erst einmal auf sich allein gestellt, sagt Henning Goersch, Professor für Gefahrenabwehr und Bevölkerungsschutz an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management. Der Zeitraum nach dem Eintritt des Ereignisses und vor dem Eintreffen staatlicher Hilfe wird „Isolationsphase“ genannt. Grundsätzlich gilt: Je größer und komplexer die Katastrophe, desto länger dauert diese erste Phase.
Um gegen Katastrophen gewappnet zu sein, sollten alle vorsorgen, mahnen Fachleute. Laut Katastrophenschutz-Expertin Ursula Fuchs beschäftigen sich viele mit dem Thema allerdings erst, wenn die Katastrophe schon da ist. Ein Fehler, meint Fuchs und plädiert dafür, sich mehr mit der Vorsorge auseinanderzusetzen – auch und vor allem ohne konkreten Anlass.
Eine wichtige Grundlage ist demnach die Eigenvorsorge zu Hause. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat für Notsituationen einen Ratgeber mit Vorsorge- und Verhaltensempfehlungen zusammengestellt. Darin rät das BBK zu einem Notvorrat an Lebensmitteln für zehn Tage. Auf der Liste stehen pro Person zwei Liter Wasser pro Tag – das wird schließlich nicht nur zum Trinken gebraucht, sondern auch zum Händewaschen, Zähneputzen und Essen vorbereiten.
An Lebensmitteln soll laut BBK für jeden Tag mit etwa 2.200 Kalorien gerechnet werden. Vorräte wie Nudeln, Reis und eingelegtes Gemüse lassen sich gut in einer Kiste verstauen. Eine andere Möglichkeit ist das System der lebenden Vorräte. Damit ist gemeint, dass neben der offenen Packung stets eine Nachfüllpackung im Schrank steht.
Was steht noch auf der BBK-Checkliste?
Auf der Checkliste des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe stehen weitere Dinge wie Taschenlampe und Kerzen, Verbandskasten und persönliche Medikamente, geladene Akkus und Powerbanks, ein Backup aller wichtigen Dateien, Kurbel- oder Batterieradio und etwas zum Heizen und Kochen, zum Beispiel einen Stromgenerator oder einen Campingkocher.
„Information ist das A und O“, sagt Ursula Fuchs. Schließlich braucht man im Katastrophenfall erst einmal einen Überblick: Was ist überhaupt passiert? Wie lange wird die Krise dauern? Und was wird empfohlen? Eine Dokumentenmappe mit den wichtigsten Unterlagen ist für den Fall einer Evakuierung wichtig. Und die kann aus verschiedenen Gründen nötig werden, ob wegen eines Brands, einer Flut oder weil in der Nähe eine Weltkriegsbombe gefunden wurde.
Wie krisenfest ist die deutsche Gesellschaft?
Aus Sicht von Soziologe und Katastrophenforscher Martin Voss muss der Bevölkerungsschutz in Deutschland neu gedacht werden, um den Anforderungen und Herausforderungen der heutigen Zeit und Zukunft gerecht zu werden. Der hiesige Zivilschutz sei „absolut ungenügend“, sagt Voss. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat Voss elf Thesen zum Thema Bevölkerungsschutz aufgeschrieben. Eine ihrer Forderungen: das demokratische und solidarische Miteinander stärken. Voss und seine Mistreiter werben für „ein breites Verständnis gesellschaftlicher Sicherheit“.
Man kann sich den Schutz der Bevölkerung laut Katastrophenforscher Voss wie eine Pyramide vorstellen. Ganz oben: Einsatzkräfte, Fahrzeuge und ähnliches. „Alles das brauchen wir“, sagt Voss. „Aber das alles funktioniert und trägt nur, wenn das Fundament darunter solide ist.“ Und dieses Fundament sei die Resilienz der Gesellschaft insgesamt. Es werde zusammengehalten von einer Gesellschaft, die solidarisch sei und aufeinander achte. Dazu gehöre auch mehr Krisenbewusstsein, meint Voss. Daran fehle es der deutschen Gesellschaft.
Klimaaktivisten wie Politikwissenschaftler Tadzio Müller sind überzeugt, dass die Gesellschaft auf einen Kollaps zusteuert. Dass also lebensnotwendige und bis dato für selbstverständlich gehaltene Dinge nicht mehr erhältlich sein werden. Kollaps sei, sagt Müller, wenn das, „was wir für normal und erwartbar halten, nicht mehr normal und erwartbar ist“. Wenn kein Strom mehr aus der Steckdose komme oder kein Wasser mehr aus dem Wasserhahn.
„Die meisten Menschen, die westsozialisiert und unter 70 sind, haben nie erlebt, dass irgendetwas nicht da ist“, sagt der Aktivist. „Meine große Angst ist, wie wir uns verhalten, wenn wir plötzlich unvorbereitet in eine Situation rein stolpern, in der etwas nicht da ist.“ Nur, wenn die Katastrophe als Realität akzeptiert würde, gebe es Hoffnung. Und zwar eine, die nicht auf Verdrängung und Leugnung aufbaue, meint Müller, sondern auf Gemeinsamkeit, Solidarität und Menschlichkeit.
Wie bereiten sich solidarische Prepper vor?
Als ersten Schritt beim solidarischen Preppen empfehlen die Aktivisten von Preppa Tillsammans: Erst mal die Nachbarn kennenlernen und abklopfen, ob sie sich gemeinsam auf Notlagen vorbereiten wollen. Das kann zum Beispiel bedeuten, gemeinsame Lebensmittellager einzurichten, Gemeinschaftsgärten anzulegen oder Erste-Hilfe-Kurse zu machen.
Die Initiative „Klimakollaps“ identifiziert als Maßnahmen für solidarisches Preppen – neben Themen wie Erhalt von Ackerflächen, Klima- und Umweltschutz, Stärkung der Demokratie und Menschenrechte – zum Beispiel die Aneignung von Wissen und handwerklichen Fähigkeiten sowie „den Aufbau und die Förderung vertrauensvoller und unabhängiger Netzwerke und Gemeinschaften“.
Klimaaktivist Tadzio Müller betont zudem: Je mehr man sich vorbereite, etwa mit einem Erste-Hilfe-Workshop, desto mehr könne man im Ernstfall die Einsatzkräfte entlasten. „Wenn wir uns vorbereiten, dann sind in einer Situation, in der es eine Katastrophe gibt, medizinische Dienste und andere in der Lage, sich um die zu kümmern, die es wirklich brauchen“, sagt Müller. Und obendrein stärke das gemeinsame Vorbereiten und Vorsorgen für den Notfall auch noch die Gemeinschaft.
irs