Sol Rezza ist "Radioartist in Residency"

"Klänge liegen hier quer in der Luft"

Die Klangkünstlerin Sol Rezza arbeitet an einem Laptop und schaut auf den Bildschirm. Im Vordergrund steht ein Plattenspieler.
Die Klangkünstlerin Sol Rezza macht akustische Interpretationen von Orten. © Foto: Marcus-Andreas Mohr
von Christoph Richter · 04.04.2018
Das Stipendium "Radio Art Residency" ermöglicht Klangkünstlern drei Monate das Medium Radio auf die Probe zu stellen. Sol Rezza ist die erste Stipendiatin des internationalen Radiokunst-Stipendiums. Sie setzt der Stadt Halle ein akustisches Denkmal.
Ein Teil des akustischen Stadtplans von Halle, an dem die argentinische Klangkünstlerin Sol Rezza derzeit arbeitet. Besonders begeistert ist sie von einem riesigen - fast monumentalen - Wandbild von Hans-Joachim Triebsch aus dem Jahr 1988, mitten im Uni-Viertel der Stadt. Zu sehen ist eine fiktive Hallesche Straßenszene. Für Sol Rezza der Versuch einer erste Annäherung, an die für sie fremde Stadt im Süden Sachsen-Anhalts.
Sol Rezza: "Es ist eine große Wand mit verschiedenen Persönlichkeiten aus Deutschland. Aber man sieht auch Mickey Mouse, ein wirklich verrücktes Bild. Und ich habe den Maler interviewt. Aus den Tönen habe ich dann meine Klang-Interpretation des Ortes daraus gemacht."

Akustische Interpretationen der Welt

"Ja, klar, ich mische alle meine Aufnahmen und interpretiere damit die gehörten Geschichten", sagt Rezza. Einer Klangarchäologin und Spurensucherin gleich nähert sich Sol Rezza akustisch an fremde Orte, Kulturen und Geschichten. Während andere mit dem Fotoapparat klicken, zückt sie das Mikrofon. Anschließend mischt, mixt, collagiert, verfremdet sie die gesammelten Tonschnipsel. Heraus kommen – ähnlich einer zeitgenössischen Komposition - Interpretationen einer Stadt, Tonbilder.
"Ich lebe in Mexiko, einem sehr lauten Land. Halle dagegen ist eine geradezu stille Stadt. Die Klänge sind hier vertikal, also sie kommen von oben, liegen quer in der Luft. Man hört die Glocken der Stadt, die Hubschrauber in der Luft."

Mit dem Tonstudio auf Reisen

Ihr Handwerk lernte die Sounddesignerin Sol Rezza an der Escuela Terciaria de Estudios Radiofónicos in Buenos Aires. Vor mehr als zehn Jahren – 2006 - gründete sie ihr mobiles Radioprojekt Estudio rodante, das sogenannte Rollende Studio. Mit dem zog die Porteña – wie man die Menschen aus Buenos Aires auch nennt – wie ein Zimmermann auf der Walz, quer durch Süd- und Mittelamerika. Auf ihrem dreijährigen Weg in Richtung Mexiko nahm sie Stimmen, Gespräche mit der indigenen Bevölkerung auf, um ihnen so eine Stimme zu geben. Gesendet wurden die Geschichten über freie Radiostationen in ganz Lateinamerika.
"Die Reisen haben meinen Kopf geöffnet, ich konnte Geschichten erfahren. Lernte beispielweise Bolivien und Chile kennen. Nachbarländer von Argentinien, die aber völlig anders klingen."
Heute lebt die Künstlerin Sol Rezza – eine kleine, höchst aktive Frau – in Valle de Bravo, einer Kleinstadt, zwei Stunden westlich von Mexiko-Stadt. Dort gibt sie der indigenen Bevölkerung Radio-Unterricht. Das macht Sol Rezza zusammen mit der mexikanischen Fundación Mazahui, die die Kultur und die Traditionen der vom Aussterben bedrohten Minderheit der Mazahua unterstützt und damit am Leben erhält.

Ein akustisches Fotoalbum

Ob das Kreischen der Bremsen, der brüllende Krach einer Kreuzung oder das Plätschern eines Regengusses: Klänge begleiten uns tagtäglich. Und da wir die Ohren nicht einfach, wie die Augen, schließen können, sind wir das ganze Leben mit den Geräuschen in Verbindung. Doch immer mehr Menschen schalten sich aus und stöpseln sich Musik ins Ohr. Gerade aber das sollte man nicht tun, empfiehlt die 36jährige Sol Rezza.
"Ja, man verliert etwas. Eine einzige klangliche Erinnerung, entspricht einem ganzen Sack voller Fotografien. Fotografien waren lange die einzige sinnliche Erinnerung, aber mit den Smartphones hat sich das gewandelt. Alle können jetzt Klänge aufnehmen, die geben viel mehr her als ein Foto."

Das Radiogerät als Treffpunkt

Die Begeisterung für Sounds und Klänge kommt aus ihrem Elternhaus, erzählt Sol Rezza noch. Ihr Vater war Tischler, der Klang seiner Kreissägen hat ihr Leben geprägt. Die Mutter war Blumenverkäuferin. Wenn man zusammen saß, so Sol Rezza, dann hat man sich immer um das Radio versammelt.
"Wir haben zuhause immer Radio gehört, das lief ständig. Von frühmorgens bis tief in die Nacht. Daher kommt meine Begeisterung für Klänge. Wenn wir etwas zuhause gemacht haben, dann immer zusammen vor dem Radio."
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