Sokrates mit zwei Ehefrauen

Von Bernhard Doppler |
Die Festwochen Alter Musik in Innsbruck ließen Georg Philipp Telemann als Komponist der Barockoper "Der geduldige Sokrates" wieder auferstehen. Vom künstlerischen Leiter René Jacobs hat man allerdings schon belangvollere, tiefere Werke gesehen. Wie bei den Ehefrauen auf der Bühne alles doppelt – auch die Küche und Bücherregale im 70er-Jahre-Look.
Seit 31 Jahren, lange bevor das Spielen auf Originalinstrumenten in Mode kam, lange vor der Renaissance der Alten Musik und lange bevor die großen renommierten Festivals wie Salzburg auch auf diesen Zug aufgesprungen sind, wird in Innsbruck bei den "Innsbrucker Festwochen" die Barockoper gepflegt. René Jacobs hat jedenfalls inzwischen in Innsbruck sein Publikum zu einem Fachpublikum herangezogen, das die frühe Oper des 17. Jahrhunderts nicht nur auf Monteverdi und Händel reduziert und sich von ihm immer wieder gerne auf Entdeckungsreise in unberührte Opernlandschaften führen lässt.

Der als Opernkomponist im Schatten von Händel stehende Georg Philipp Telemann und die deutsche in Hamburg im 17. Jahrhundert gepflegte Barockoper hatte es Jacobs schon öfter angetan. Schon einmal hatte er – ebenfalls in Koproduktion mit der Staatsoper Unter den Linden – eine Telemann-Oper "Orpheus oder die Beständigkeit der Liebe" mit großem Erfolg ausgegraben, auch damals mit der gerade bei Telemann vorzüglichen "Akademie für Alte Musik Berlin".

Formal verblüffen die deutschen Barockopern schon allein durch den plötzlichen Wechsel der Sprachen, im Fall des "Geduldigen Sokrates" Italienisch und Deutsch, und durch den Wechsel der Stillagen: komisch, derb, ernst. Den eher bürgerlichen Szenen um den Philosophen Sokrates mit seinen zwei zänkischen Ehefrauen Xantippe und Amitta stehen zwei Prinzessinnen gegenüber, die beide denselben Prinzen wollen und denselben Prinzen zurückweisen.

Dazu gibt es Xenophon, einen trinkfreudigen Sokrates-Schüler, der als Hanswurst schon Papageno-Züge enthält. René Jacobs hat die Rezitative aufgewertet und damit das Gewicht der Arien als Nummern zurückgenommen, ganz im Sinne der Oper des frühen 17. Jahrhunderts. Ein durchgehender Handlungsfluss wird dadurch erreicht. Die Oper vor allem auch durch Text und Handlung wichtig, das Libretto besorgte der angesehene Barockdichter Johann Ulrich von König.

Die Debatte der antiken Figuren über "Ehe zu dritt" (im Athen des Perikles offenbar aus Populationsgründen nach dem Krieg notwendig) bleibt allerdings doch recht oberflächlich – man hat, denkt man im Laufe des langen Abends ein, mit Jacobs schon belangvollere, tiefere Werke entdeckt! Mit Telemanns "Orpheus" oder der in Magdeburg gezeigten Oper "Emma und Eginhard" kann der "Geduldige Sokrates" nicht mithalten.

Von Ausstattung und Inszenierung (Nigel Lowery und Amir Hosseinpour) gefällt zunächst der Vorhang – eine Collage aus Sektkorken, Büchern und Zigarettenschachteln ("f6"), die wohl die Akropolis nachbauen. Auf der Bühne dann alles doppelt, wie bei den Ehefrauen – Küche und Bücherregale im 70er-Jahre-Look. Später kommen noch jeweils Paare ausgestopfter Tiere hinzu. Trotz vieler komischer Arrangements von Ehestreit und Schülerstreich zündet die Aufführung allerdings nicht so richtig. Dass die Gesten der barocken Rhetorik zum Teil in eine hektische Gehörlosensprache übersetzt werden, stört. Die Sänger sind freilich gut gecastet, musikalisch sind ihre Partien nicht allzu spektakulär, lustig salbungsvoll: Marcos Fink als Sokrates. Jacobs kürzte wieder behutsam. Nach viereinhalb Stunden freundlicher Applaus.