75 Jahre nach Hitler-Attentat

Hans und Hilde Coppi - "Helden" oder "Verräter"

09:21 Minuten
Hilde und Hans Coppi waren Widerstandskämpfer in der Schulze-Boysen-Harnack-Organisation in Berlin; Hilde wurde 1909 geboren, Hans war Jahrgang 1916. Die Porträtaufnahmen sind um 1940 datiert.
Hilde und Hans Coppi waren Widerstandskämpfer in der Schulze-Boysen-Harnack-Organisation in Berlin. © picture-alliance / akg-images
Hans Coppi im Gespräch mit Ute Welty · 20.07.2019
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Hans und Hilde Coppi waren im Widerstand gegen Hitler und wurden dafür 1942 und 1943 hingerichtet. Beim Tod des Vaters war Hans Coppi junior drei Wochen alt. Zum Jahrestag des Attentats 1944 auf Hitler hofft er, dass Menschen wie seine Eltern mehr Anerkennung bekommen.
Ute Welty: 75 Jahre ist es jetzt her, dass Claus Schenk Graf von Stauffenberg versucht hat, Hitler zu töten, und bei diesem Versuch war er nicht allein. Hans und Hilde Coppi beispielsweise gehören bis zu ihren Hinrichtungen durch das NS-Regime zur Widerstandsbewegung Rote Kapelle, und ihr Sohn Hans Coppi junior besucht heute die offizielle Gedenkveranstaltung und vorher Deutschlandfunk Kultur.
Sie sind drei Jahre alt, nein, drei Wochen alt, als Ihr Vater gehängt wird, und knappe acht Monate, da wird Ihre Mutter enthauptet. Da stocken einem die Worte bei dieser Vorstellung. Wie haben Sie es über die Jahre geschafft, dazu ein Verhältnis zu entwickeln, mit dieser tragischen, grausamen Familiengeschichte?
Coppi: Ja, es war so, dass wir zunächst in Tegel in einer Kleingartenkolonie gelebt haben, wo auch vorher meine Eltern gewohnt haben, und dort war dann - 1946, 1947 zum Tag der Opfer des Faschismus - wurde da wohl eine Tafel angebracht, die also an Hilde und Hans Coppi erinnerte, und dort kamen zum Beispiel zum Tag der Opfer des Faschismus, das war immer der zweite Sonntag im September, Menschen auf dieses Grundstück. Und, ja, auf diese Art und Weise merkte ich, dass mit meinen Eltern irgendwas war, was nicht nur die Familie bewegte.
Wir sind dann aber 1950 nach Berlin-Karlshorst gezogen, in den Ostteil der Stadt, dort bekamen meine Großeltern noch ein Angebot zu arbeiten. Und es war gewissermaßen auch ein bewusster Schritt, weil in der Zwischenzeit war der Widerstand meiner Eltern und ihrer Freunde aus dem Umfeld von Harro Schulze-Boysen und anderen … - gehörte praktisch auf die Verräterliste.
Sie waren Spione einer fremden Macht, der Sowjetunion. Und insofern war es ein Weg, wir kamen in einen anderen Stadtteil von Berlin und in ein anderes Land, und dort waren meine Eltern gewissermaßen zu den Helden des antifaschistischen Widerstandskämpfern geworden.

"Gedenktag sollte sich weiter öffnen"

Welty: Und wie ist das dann heute, welche Gefühle begleiten Sie, wenn Sie zu dieser Gedenkfeier gehen und dann legt die Kanzlerin einen Kranz nieder?
Coppi: Ja, ich bin auch erst seit einigen Jahren dort dabei, weil zuvor bin ich auch nicht eingeladen worden. Das änderte sich erst 2015, als ich Kontakt zu Elisabeth Ruge bekam, deren Großvater eben zum Umfeld des 20. Juli gehörte und später verhaftet und hingerichtet wurde. Und wir haben uns dann dazu verständigt und haben gesagt, wir müssten doch mal uns zusammensetzen, das heißt, Angehörige des 20. Juli, des Kreisauer Kreises, aber auch aus dem Widerstand - Arbeiterbewegung, Rote Kapelle -, und, und, und. Und daraus ist so ein Angehörigentreffen entstanden.
Und das hat auch dazu geführt, dass eben sich gewissermaßen die Stiftung 20. Juli etwas geöffnet hat. Und ich sehe das als einen Weg, den wir eben auch weiter gehen sollten, und ich bin auch gespannt, was Frau Merkel heute sagen wird, weil ich finde, dieser Gedenktag sollte sich weiter öffnen, und zwar, dass er nicht nur immer auf den militärischen, also hauptsächlich militärischen Widerstand des 20. Juli, sondern als ein Gedenktag oder Ehrentag oder Feiertag für den vielfältigen Widerstand in Deutschland.
Das hat auch den Vorteil, dass dann auch vielleicht dieser Tag noch besser angenommen wird, weil man vor Ort in vielen Städten und Gemeinden auch immer wieder Schicksale findet von Widerstand. Und darum geht es ja, dass eben dieser Widerstand einfach sich weiter verankert im kollektiven Gedächtnis. Ich finde, da ist noch viel zu tun.

"Viele Menschen sind dem Terrorregime gefolgt"

Welty: Auf der anderen Seite wird die Stauffenberg-Gruppe und auch die Rote Kapelle ja immer wieder herangezogen, um zu belegen: Die Deutschen waren gar nicht so. Was entgegnen Sie diesen Thesen?
Coppi: Ja, der Widerstand dieser Menschen, was ja eigentlich nur eine Minderheit war, der resultierte daraus, weil eben Deutschland ein Terrorregime hatte, dem aber viele Menschen gefolgt sind, ohne zu widersprechen oder das infrage zu stellen, was da sich ereignete, die Judenverfolgung und viele Dinge, die praktisch in unmittelbarer Nachbarschaft alle zu erfahren waren. Und insofern ist eben dieses Deutschland für mich auch immer schwierig, weil ich zu diesem Deutschland, Deutschland über alles, überhaupt keine innere Bindung habe, sondern ich wichtig finde, dass Deutschland in der Europäischen Union ist, in der UNO, und dass wir Teil einer großen Bevölkerung und einer Erde sind, für die viel zu tun ist, aber jede Betonung des Nationalen und Nationalistischen verengt das und löst nicht die Probleme.
Welty: Auf den Widerstand gegen Hitler beruft sich ja auch die AfD, sie fordert in Gestalt von Jörg Meuthen, den Patriotismus und den Widerstandsgeist des 20. Juli noch stärker in das Zentrum der nationalen Erinnerung zu stellen. Ist das in Ihrem Sinne?
Coppi: Nein, das kehrt ja eigentlich alles um, weil sie treten ja ein für eine Abschaffung der in den letzten Jahrzehnten geschaffenen Erinnerungskultur und berufen sich gewissermaßen darauf, heute Widerstand zu leisten gegen ein demokratisch verfasstes Land und berufen sich dort auf den Widerstand aus dem 20. Juli insbesondere, die aber dafür eintraten, dass eben dieses Land, wo das Recht wieder gilt, wo es Rechte gibt für die Bevölkerung, Freiheitsrechte, Bewegungsrechte, dass das gewissermaßen eingeschränkt wird und nationalistisch verbrämt und völkisch daherkommt. Also mich schauert es immer, wenn ich Herrn Höcke anfangen höre, wenn er ab und zu mal im Fernsehen gezeigt wird, das ist wirklich das Letzte, was dazu beiträgt, die Demokratie hier zu befördern.
Es ist so, dass wir eben darüber auch sprechen, uns darüber austauschen, wir haben zum Beispiel im letzten Jahr auch einen Workshop zu Nachkommen. Das ist eine Fortsetzung praktisch dieses Angehörigentreffens, das wir seit einigen Jahren durchführen. Und wir werden also darüber auch weiter sprechen und werden sehen, dass eben diese Nachkommen auch mehr in der Öffentlichkeit aktiv werden können und gehört werden.
Welty: Hans und Hilde Coppi haben Widerstand geleistet gegen Hitler, heute nimmt ihr Sohn an der Gedenkveranstaltung teil und Ort des Geschehens ist der Bendlerblock, wo Stauffenberg und andere erschossen wurden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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