"Sogar im Parteivorstand sind Neonazis"

Heinz Fromm im Gespräch mit Nana Brink · 24.03.2011
Nach Ansicht des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, ist das Scheitern der NPD bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt vor allem auf die relativ hohe Wahlbeteiligung zurückzuführen.
Nana Brink: Es war knapp, aber sie hat es nicht geschafft: Bei der Landtagswahl letzten Sonntag in Sachsen-Anhalt ist die rechtsextreme NPD an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Trotz einer enormen Materialschlacht, Briefe an die Jungwähler zum Beispiel, haben die Rechten bei ihrer selbst angekündigten Schicksalswahl versagt. Demgegenüber aber rüsten die sogenannten Autonomen Nationalisten immer häufiger zu gewalttätigen Angriffen auf Gegendemonstranten, Journalisten oder Polizisten. Wohin wandelt sich die rechte Szene? Das möchte ich jetzt wissen vom Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Heinz Fromm. Schönen guten Morgen, Herr Fromm!

Heinz Fromm: Ja, guten Morgen!

Brink: Die NPD hat es bei der letzten Wahl nicht geschafft, aber trotzdem viele Jungwähler angezogen. Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?

Fromm: Das ist ein bekanntes Phänomen bei all den Wahlen, insbesondere in Ostdeutschland, bei den Landtagswahlen, dass vor allem junge Männer… Je älter die Menschen werden, desto geringer wird die Zustimmung oder ist die Zustimmung gewesen für die NPD. Wir denken, dass in der Tat die Sache sehr knapp gewesen ist, das zeigt ja auch das schiere Ergebnis, 4,6 Prozent. Es lag wohl an der relativ hohen Wahlbeteiligung, dass die NPD nicht in den Landtag eingezogen ist. Für die Partei ist das eine ziemliche Enttäuschung, erheblicher finanzieller Einsatz und trotzdem kein Einzug in den sachsen-anhaltinischen Landtag.

Brink: Also keine Entwarnung. Lassen Sie uns dann, abgesehen von der NPD, noch über die neuen Trends in der rechten Szene sprechen, am Beispiel der sogenannten Autonomen Nationalisten. Ist das die neue Form der Kameradschaft?

Fromm: Die Zahlen sind steigend, also wir haben 2009 von 600 Leuten gesprochen, inzwischen dürften es etwa 1000 sein. Etwa 20 Prozent derjenigen, die wir zum Neonazilager zählen, gehören zu den Autonomen Nationalisten, überwiegend junge Leute, junge Männer, die relativ stark daran interessiert sind, auf die Straße zu gehen und dort Aktionen zu machen. Das findet man immer wieder, wenn es darum geht, etwa in Dresden der Bombardierung zu gedenken, da sind ja Rechtsextremisten aufmarschiert, da sind die Autonomen Nationalisten sehr stark vertreten und fallen auch auf durch ihr Aussehen. Sie orientieren sich an einem Phänomen, was wir schon seit vielen Jahren kennen, nämlich den linksextremistischen Autonomen, sie sehen ähnlich aus, haben aber andere Parolen auf ihren Transparenten.

Brink: Machen sie das absichtlich, dass sie sich im Aussehen sozusagen den Linken annähern?

Fromm: Ja, ja, das wird wohl als erfolgreich angesehen mit Blick auf interessierte junge Leute, die sich eher von rechtsextremistischen Parolen angezogen fühlen und die aber aktiv werden wollen, in der Öffentlichkeit aktiv werden wollen, und wenn die Chance besteht, wenn die Umstände das erlauben, auch durchaus gewalttätig vorzugehen.

Brink: Das wäre jetzt meine Anschlussfrage gewesen: Wie unterscheiden Sie sich dann von der NPD, also mit Hang zur Militanz, und wie stark? Was sind Ihre Erkenntnisse?

Fromm: Es gibt Schnittmengen zwischen der NPD und auch den Autonomen Nationalisten, die ja ein Teil der Neonazi-Szene sind, und in der NPD sind Neonazis, die sich üblicherweise ja in Kameradschaften organisieren, auch vertreten, sogar im Parteivorstand sind Neonazis vorhanden, und eine Teilmenge der Neonazis sind wiederum diese jungen Autonomen Nationalisten. Der Einfluss auf die Partei, auf die NPD ist durchaus begrenzt. Das ist auch nicht ihr erstes Ziel, nun Parteiarbeit zu leisten, Gremienarbeit zu leisten, sondern ihr Ziel ist, in der Öffentlichkeit, auf der Straße präsent zu sein, gegen Linke anzutreten und zu kämpfen und mitunter eben auch gegen staatliche Sicherheitskräfte, insbesondere Polizeibeamte.

Brink: Wie wirken sie in die Gesellschaft, also was sind Ihre Erkenntnisse, welchen Einfluss haben sie auf Schulen, Freizeiteinrichtungen, die bürgerliche Gesellschaft?

Fromm: Also einen wirklich prägenden oder deutlichen Eindruck auf die Gesellschaft im Übrigen kann ich nicht erkennen, sondern die ganz überwiegende Mehrheit auch der jungen Leute steht diesen Gruppierungen ablehnend gegenüber, schon wegen der Gewaltbereitschaft und natürlich vor allem wegen der nationalsozialistischen, neo-nationalsozialistischen Einstellung und Parolen.

Brink: Die Militanz scheint ja mal, wie gesagt, abgesehen von den Autonomen Nationalisten, in der rechten Szene eigentlich out zu sein. Man setzt ja eher auf die Strategie Trojanisches Pferd, also Gründung von Bürgerinitiativen. Gibt es da einen Strategiewechsel in der rechten Szene?

Fromm: Es gibt beides. Es gibt auf der einen Seite die NPD, die sich gerade in Zeiten vor Wahlen sehr, in Anführungsstrichen, bürgerlich gibt und versucht, Leute, die mit Rechtsextremismus im Grunde nichts zu tun haben, auch anzusprechen und als Wähler zu gewinnen. Dem dienen solche Aktionen wie Kinderfeste oder auch die Aktivitäten in Vereinen oder bei Feuerwehren, um eben an den normalen Bürger heranzukommen und den für sich zu gewinnen. Das gelingt ja auch gerade in Ostdeutschland immer wieder. Und man versucht, Protestwähler für sich einzunehmen, das ist besonders bei der vorletzten Wahl in Sachsen-Anhalt, wo die NPD über 9 Prozent bekommen hatte, gelungen. Das war die Zeit, als gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung protestiert worden ist und wo man sozusagen die Protestwähler eingesammelt hat und für sich eingenommen hat. Daneben und miteinander durchaus darüber verbunden gibt es die Neonaziszene, von denen wie gesagt ein Teil diese aktionistischen jungen Nationalsozialisten sind.

Brink: Welche Rezepte haben Sie gegen diesen Strategiewechsel, oder sagen wir, gegen dieses Zusammengehen, dieses Ineinanderverwoben-Sein von NPD und Kameradschaften?

Fromm: Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, das zu analysieren, die Öffentlichkeit zu unterrichten, natürlich auch die Parlamente und die Regierung, und auf dieser Grundlage sozusagen Gegenmaßnahmen gesellschaftspolitischer Art zu ermöglichen. Was wir selbst als Verfassungsschutz tun, ist neben dieser Information auch im Wege von Ausstellungen, Wanderausstellungen aufzuklären. Wir haben eine Ausstellung, die nennt sich "Die braune Falle", die sehr stark nachgefragt wird, insbesondere von jungen Leuten. Darüber sind wir sehr froh, weil das genau diejenigen sind, die hier angesprochen werden sollen und die – zum Teil jedenfalls – auch gefährdet sind.

Brink: Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Heinz Fromm. Schönen Dank für das Gespräch!

Fromm: Bitte schön, gern geschehen!
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