Social Media und Datenschutz

Forschen mit Facebook-Daten?

Miniatur Figuren stehen vor dem Facebook-Logo
Ein Gremium zur Bewertung der Forschungsvorhaben: David Ginsberg spricht von einer neuen Art "industriell-akademischer Partnerschaft". © picture alliance / chromorange / Ralph Peter
Von Christoph Drösser · 08.11.2018
Von Schlagzeilen getrieben: Facebook hat den Zugang zu Daten seiner User von außen weitgehend dichtgemacht. Wie davon auch akademisch forschende Wissenschaftler betroffen sind, erklärt David Ginsberg, der Forschungschef von Facebook.
Für Außenstehende drängt sich in den letzten Monaten der Eindruck auf, dass Facebooks Datenwall löchrig ist wie ein Sieb. Ist das soziale Netzwerk ein Selbstbedienungsladen für Hacker? Tatsächlich hat Facebook das sogenannte "Graph API", die Schnittstelle, über die Außenstehende auf die Vernetzungsdaten der Nutzer zugreifen konnten, nach dem Cambridge-Analytica-Skandal weitgehend dicht gemacht.

Offener Brief von Wissenschaftlern

Ein Nebeneffekt: Auch seriöse Wissenschaftler kamen nicht mehr an die Daten heran, die für sie ein wertvoller Rohstoff zur soziologischen Forschung im Internet-Zeitalter waren. 30 von ihnen schrieben einen empörten offenen Brief. Sie listeten 150 akademische Arbeiten auf, die ohne die Facebook-Daten unmöglich gewesen wären.
Studien darüber, wie sich Nachrichten in den sozialen Netzen verbreiten, aber auch über die Beziehungen zwischen den Menschen. Wie soll Facebook damit umgehen? Eine schwierige Abwägung, sagt David Ginsberg:
"Wir haben da eine ganze Weile mit uns gerungen. Einerseits sind die Facebook-Daten unheimlich wertvoll für die sozialwissenschaftliche Forschung. Gleichzeitig müssen wir die Daten, die uns die Nutzer anvertraut haben, schützen. Nach den Problemen, die wir in diesem Jahr hatten, haben wir uns die Praktiken des Datenaustauschs angeschaut, nicht nur im akademischen Bereich, und handhaben nun einiges strenger."

Ein Gremium entscheidet über den Zugang für Forscher

Die Firma versucht nun, eine neue Lösung für das Problem zu finden. Forscher sollen nicht mehr direkt und unkontrolliert auf die Daten zugreifen können, sondern es wird ein Gremium dazwischen geschaltet, das die Forschungsvorhaben bewertet.
"Im April haben wir die sogenannte Election Research Commission angekündigt", sagt David Ginsberg. "Die bietet externen Forschern Zugang zu gewissen Daten, ohne den Datenschutz zu verletzen. Wir geben die Daten nicht direkt aus, sondern haben eine unabhängige Kommission mit hochrangigen Mitgliedern aus Harvard, Princeton, Stanford und so weiter gegründet.
Die Forscher reichen ihre Anträge bei dieser Kommission ein. Der Vorteil: Erstens hält uns das auf Distanz zu den Forschern, zweitens setzt die Kommission die Standards für die Forschung. So haben wir zum Beispiel vor einigen Monaten einen vollen Datensatz darüber herausgegeben, was für Links die Menschen im Wahlkampf in einer gewissen Region angeklickt haben."
Wissenschaftler können untersuchen, was für politische Facebook-Gruppen gegründet werden, welche Anzeigen geschaltet werden. War da nicht etwas bei den US-Wahlen 2016, von wegen russische Einflussnahme? Aber just für diese Zeit rückt Facebook keine Daten mehr heraus – es gibt nichts aus der Zeit vor dem 1. Januar 2017.

Keine Erforschung der US-Wahlen 2016 zugelassen

Wären nicht gerade diese Daten für Wissenschaftler interessant, Herr Ginsberg?
"Sicher. Aber es gab auch Wahlen in Mexiko, Indien, Brasilien – wir denken hier immer etwas US-zentriert. Es gibt wichtige Wahlen überall auf der Welt, wir wollen uns darauf konzentrieren, diese blinden Flecken etwas zu erhellen. Und irgendwo muss man ja anfangen."
Die Begründung klingt ein bisschen lahm – auch wenn die Datensätze riesig sind, hätte man noch ein paar Monate dazugeben können. Aber das war der Firma wohl ein bisschen zu brisant.
Trotzdem – Facebooks Initiative könnte ein vielversprechendes Modell für die Forschung sein, nicht nur wenn es um politische Themen geht. In den Daten des Netzwerks spiegeln sich die zwischenmenschlichen Beziehungen eines großen Teils der Weltbevölkerung wider, sie können eine Fundgrube für die Forschungen sein. Die Firma lädt ausdrücklich andere Netzwerke ein, das Modell zu übernehmen, betont David Ginsberg:
"Das ist ein Pilotprojekt für eine neue Art von industriell-akademischer Partnerschaft. Das wollen wir auf andere Themen ausweiten, und wir hoffen, dass auch andere Firmen, etwa Google und Twitter, den Wert sehen und ihre Daten ebenfalls dort zur Verfügung stellen."

Zweifel an Facebooks Datensensibilität

Facebook beschäftigt selbst eine ganze Reihe von Soziologen und Psychologen, und die haben einen viel direkteren Zugriff auf unsere Daten. Aber auch sie dürfen nicht einfach in unserer Intimsphäre herumschnüffeln, das jedenfalls beteuert David Ginsberg. Es gibt interne Richtlinien dafür, die die Firma auch veröffentlicht hat und auf die sie stolz ist:
"Eine Menge Forscher von kleineren Firmen sind zu mir gekommen und haben gesagt: Danke, dass ihr das veröffentlicht habt, jetzt fühlen wir uns in den ethischen Belangen unserer Forschung viel sicherer."
Von Facebook lernen heißt, den richtigen Umgang mit sensiblen Daten lernen? Nach den Skandalen der letzten Zeit ist es verständlich, dass da noch so mancher seine Zweifel hat. Aber warum nicht ausprobieren – es ist zu hoffen, dass viele Forscher die Firma herausfordern und versuchen, mit deren Datenschatz wirklich unabhängige Wissenschaft zu betreiben.
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