"So vorbehaltlos wie möglich aufklären"

Klaus Ramm im Gespräch mit Ulrike Timm · 30.12.2010
Die Erschütterung war groß, als bekannt wurde, dass Oskar Pastior informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit Securitate war. Klaus Ramm ist Vorsitzender der Oskar-Pastior-Stiftung und begibt sich nun auf die Suche nach der Wahrheit.
Ulrike Timm: Dass der rumänisch-deutsche Dichter Oskar Pastior nicht nur ein Opfer von Verfolgung, sondern selbst informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit Securitate war, und zwar ein aktiver, in dessen Akte sich Berichte finden, das hat nicht nur seine Freunde und Intellektuelle erschüttert. Eine der großen Debatten des zu Ende gehenden Jahres entstand über Wahrheit und Lüge, über Schuld und Scham und das richtige Leben im falschen. Nicht nur die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller wusste nicht mehr, wie sie sich zu einem ihrer engsten Freunde innerlich stellen sollte.

Mit Oskar Pastior selbst kann man nicht mehr sprechen, er ist 2006 gestorben. Aber viele Fragen bleiben: Was können wir wirklich aus Akten herauslesen, was lässt sich begründet vermuten und was wird womöglich für immer verborgen bleiben? Nichts scheint mehr sicher. Inmitten der Diskussion steht auch die Oskar-Pastior-Stiftung, die sich der Pflege des Werks von Pastior verschrieben hat und in seinem Namen einen Preis vergibt. Vorsitzender ist der Literaturwissenschaftler Klaus Ramm, ich grüße Sie!

Klaus Ramm: Guten Tag, Frau Timm!

Timm: Herr Ramm, sind Sie immer noch selbst dabei, neu für sich zu sortieren, wer Oskar Pastior eigentlich war?

Ramm: Ja, sortieren lassen sich die Gefühle eigentlich immer noch nicht, die sind immer noch im Unfrieden miteinander, die ziehen einen immer wieder in unterschiedliche und auch widerstreitende Richtungen. Es ist natürlich das Erschrecken und die tiefe Enttäuschung, dass er die Verpflichtungserklärung unterschrieben hat und dass es jetzt auch einige Berichte von ihm gibt, und es ist, ja, so was wie Wut und Trauer, dass ihm auch diese Selbsterniedrigung nicht erspart geblieben ist nach den vielen Beschädigungen und Erniedrigungen, die er in der Deportation erfahren musste. Aber Entschuldigung, ich werde schon ganz privat, das will ich eigentlich nicht.

Timm: Es ist ja auch eine Schwierigkeit in dieser ganzen Debatte, dass man nicht wirklich weiß, was man eigentlich weiß. Mit letzter Gewissheit kann man die Einzelheiten des Falls wahrscheinlich nie in Gänze klären. Kann man sagen, dass der rumänische Geheimdienst immer noch Macht hat, und sei es, weil wir darüber so ausführlich sprechen müssen?

Ramm: Das ist ganz eindeutig so, der gewinnt wieder eine Macht, vor der sich Pastior auch insgesamt gefürchtet hat. Er war ja auch ständig bespitzelt worden und es gibt auch Aussagen von ihm, dass er nicht möchte, dass sozusagen nachträglich der Geheimdienst noch mal wieder seine ganze Macht entfaltet. Und von den Akten her ist es eben deshalb auch sehr schwierig, weil sich in Oskar Pastiors Täterakte überhaupt keine Berichte finden, die Berichte finden sich immer woanders, bei denen, die von ihm bespitzelt worden sind. Und da haben wir überhaupt erst drei Berichte.

Und dann gibt es noch eine grobe Anschuldigung von Dieter Schlesak, dass er einen Autor namens Hoprich in den Tod getrieben haben soll, aber die hat Schlesak auch aufgrund der unsicheren Datenlage inzwischen ganz deutlich widerrufen. Das hört man leider nie, das wird bis heute, bis heute Morgen sogar, kolportiert, er hätte das getan, Pastior. Aber Schlesak sagt deutlich, er will Pastior mit diesem Fall nicht belasten und will ihm keinesfalls die Mitschuld an diesem Fall geben. Und dann kommt die übliche Erklärung - falls es Missverständnisse gegeben habe, entschuldige er sich. Das ist ein Beispiel darüber, wie schwierig die Geschichte selbst für diejenigen ist, die auch selber Opfer sind.

Timm: Nun sind Sie ja als Vorsitzender einer Stiftung im Namen von Oskar Pastior schwer in der Klemme. Sie lieben das Werk, Sie waren mit dem Mann befreundet, Sie können, die Anschuldigungen sind wohl nicht wirklich zu widerlegen, also die Tatsache, dass er noch seine Unterschrift geleistet hat, ist definitiv. Es gibt Berichte, man weiß nicht so richtig, wie man die einordnen soll. Gehen Sie denn jetzt anders mit der Dichtung Pastiors vor als vor diesen Enthüllungen? Oder steht die für Sie einfach unantastbar im Raum?

Ramm: Also, Dichtung ist immer antastbar. Und das ist auch deshalb eine schwierige Frage, weil man ja sowieso immer anders mit Dichtung umgeht, und gerade mit solch komplexer und auch irgendwie interessanter schwereloser Dichtung wie Pastior, man liest sie sowieso immer anders. Und je mehr man über den Autor oder über andere Dinge weiß, je mehr man sich auch selbst verändert, desto mehr beeinflusst das natürlich auch die Lektüre. Aber das Werk selber ist sozusagen das Werk. Was sich allenfalls ändert, ist die Lektüre.

Timm: Das sagte der deutsch-rumänische Schriftsteller Richard Wagner auch - das Werk ist das Werk -, machte aber zugleich in unserem Programm vor ein paar Wochen ein äußerst zwiespältiges Kompliment, er sagte nämlich, na ja, das sei virtuose Sprachartistik ohne moralische Grundlage, könnte man also getrost weiter lesen wie bisher. Wie sehen Sie das?

Ramm: Das sehe ich ganz anders. Ich glaube, dass dieses Reden von der Sprachartistik, das ja auch häufig positiv gebraucht wird, nicht nur negativ wie von Wagner, eigentlich viel zu kurz greift. Man kann Oskars Werk nicht nach den inhaltlichen Kriterien lesen, sondern man müsste im Methodischen suchen. Oskar Pastior ist die Sprache durch seine ganzen Erfahrungen, die er als 17-Jähriger deportiert gemacht hat, so zum Problem geworden, dass er sowohl die Sprache als auch die dichterischen Regelwerke als Zwangssysteme empfunden hat und sich immer wieder mit diesen Zwangssystemen auseinandergesetzt hat, seine dichterische Freiheit sozusagen der Sprache abgetrotzt hat, und die Gedichte stellen nicht jetzt in schönen, dichterischen Worte irgendwas nach, was man ohnehin sagen könnte.

Und deshalb findet man auch keine direkten Aussagen zu irgendwelchen biografischen Einzelheiten von Oskar darin. Man findet aber sehr viel Biografisches, wenn man das methodisch liest und wenn man sieht, wo da die kleinen Unruheherde, hat er mal gesagt, biografischen Unruheherde unter der Oberfläche dieser artistischen, dieser schwerelosen Dichtung da sind. Ich glaube, das ist sogar ein Ausdruck von, wenn man so was etwas pathetisch sagen soll, hoher Moralität, dass Pastior sich darauf zurückgezogen hat und nicht mehr so unbefangen drauf los dichtet wie viele, die einfach erzählen, was war.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit Klaus Ramm, dem Vorsitzenden der Oskar-Pastior-Stiftung. Herr Ramm, man ist jetzt auf der Suche nach einer verlorengegangenen Wahrheit. Wem hat Pastior wie sehr möglicherweise geschadet, was spricht für ihn, was spricht gegen ihn? Kann die Stiftung sich eigentlich dazu so verhalten, dass sie zu einer weitestmöglichen Klärung beitragen kann?

Ramm: Sie kann es versuchen. Und sie hat ganz deutlich und auch ganz einvernehmlich, nicht nur einstimmig formal, beschlossen, gesagt, dass wir die Aktenlage so vorbehaltlos wie möglich aufklären wollen, wie auch immer das Ergebnis ausfallen mag und wie weit das auch immer möglich ist, und dass wir erst dann Bewertung und Stellungnahmen abgeben wollen. Und wir nehmen auch für diese Suche nach den Akten externe Hilfe in Anspruch.

Das muss man, weil in dem Archiv der Securitate noch Zustände herrschen, die es noch nicht möglich machen, das wissenschaftlich einfach aufzuarbeiten. Die Akten sind erst zum Teil registriert, sie sind so gut wie nicht erschlossen, es gibt keine Querverweise. Man muss sozusagen nach der eigenen Nase suchen und es ist so ein Mittelding aus Systematik und Zufallsfund, dass man solche Akten findet. Und wir wollen so viel wie möglich finden, immer in dem Bewusstsein – Sie haben das mehrfach angedeutet, das, was uns auch am meisten zu schaffen macht oder auch mir persönlich –, dass man so was wie eine letzte Wahrheit nicht finden will, nicht finden wird. Aber dahinter darf man sich nicht verstecken, man muss im Gegenteil versuchen so nah wie möglich daranzukommen, und deshalb wollen wir alles tun, um das so vorbehaltlos wie möglich zunächst mal von den Akten her aufzuklären und dann zu bewerten.

Timm: Und Sie wollen das mit unabhängigen Historikern machen. Das sagt sich gut, aber die müssen ja Fachkenntnisse haben über die Securitate, über die 1960er Jahre in Rumänien, sie müssen Deutsch und Rumänisch beherrschen, auch Erfahrung haben mit solchen Akten, wie man sie liest, wie man sie deutet. Wird man da überhaupt fündig, solche Fachleute, die liegen ja nicht auf der Straße?

Ramm: Stimmt. Man kann das noch fortführen, Sie müssen auch als Forscher da akkreditiert sein, sonst kommt man da gar nicht ran, und Sie müssen sich im persönlichen Umfeld Pastiors sehr gut auskennen, weil man natürlich, wenn man sucht, keine andere Hilfe hat als die, mit wem könnte Pastior Kontakt gehabt haben, über wen könnte er berichtet haben? Diese unabhängige Historikerkommission, die überall durch die Medien geistert, die ist aus so einer Verkürzung dieser Tatsache entstanden, dass wir gesagt haben, wir nehmen auch externe Hilfe in Anspruch.

Wir haben jetzt eine jüngere Germanistin dabei, Rumänin, die aber deutschsprachig ist, auch Übersetzer …, also die Deutsch spricht, ursprünglich Rumänin, die aber auch Übersetzerin ist, die lange in der Behörde in den Akten gearbeitet hat, auch für andere Fälle. Und unser stellvertretender Vorsitzender, das ist insofern ein Glücksfall, Ernest Wichner ist ja selbst aus Rumänien und hat auch schon länger, schon vor dieser Pastior-Geschichte, eine Akkreditierung als Forscher bei dieser Behörde gehabt, sodass diese beiden – im Januar haben wir jetzt wieder Termine, fahren sie wieder hin – das zunächst mal betreiben, und wenn sie sehen, dass es so viel wird und das so viel auch schon möglich ist zu gucken – das weiß man auch immer nicht –, dann werden wir noch nach jemandem suchen. Und da haben Sie völlig reicht, das gleicht der Quadratur des Kreises, da jemanden zu finden, der all diese Bedingungen erfüllt.

Timm: Die Erschütterung ist groß und die Erschütterung ist auch durchgehend und bleibend durch die ganzen letzten Monate. Herr Ramm, wird denn die Oskar-Pastior-Stiftung im nächsten Jahr einen Oskar-Pastior-Preis vergeben?

Ramm: Das wird sie nicht, weil das nie vorgegeben war, der Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Wir haben also zunächst mal bis 2012 eine Phase, in der wir zunächst mal so viel wie möglich versuchen müssen, herauszubekommen, und in der wir dann überlegen können, wie wir mit dem Preis umgehen und wie wir mit der Stiftung umgehen. Die Stiftung gehört uns ja nicht, die Stiftung ist testamentarisch verfügt, wir sind zu siebent als Stiftungsräte und müssen dann sehen, kann man den Preis noch vergeben, kann man ihn nicht vergeben, darf man ihn überhaupt vergeben, darf man ihn überhaupt nicht vergeben? Aber das ist nicht möglich aufgrund von zweieinhalb Berichten, die wir bisher haben, und einer sehr heftig veröffentlichten, öffentlichen Meinung, die im Grunde aber auch nicht mehr hat als diese zweieinhalb Bereichte. Da muss man einfach mehr wissen.

Timm: Die Suche nach einer verlorengegangenen Wahrheit. Der Vorsitzende der Oskar-Pastior-Stiftung war das, Klaus Ramm, der Literaturwissenschaftler. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Ramm: Danke, das musste ja sein!
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