So tragisch kann Operette sein

Von Frieder Reininghaus · 01.07.2012
Die Operette lebt von real existierenden gesellschaftlichen und historischen Spannungen, die oft tragische Konsequenzen haben. Wie diese "unmögliche Kunstform" zwischen Paris und Wien, Budapest und Berlin mit diesem Konflikt-Potenzial umging, war Thema einer internationalen Tagung in Wien.
Die Operette und das Tragische – das scheint paradox, gilt doch die Operette als Inbegriff des heiter-unterhaltsamen Musiktheaters. Freilich lebte und lebt wie jede Komödie auch die Operette von real existierenden gesellschaftlichen und historischen Spannungen, die oft genug tragische Konsequenzen hatten und haben. Wie diese "unmögliche Kunstform" zwischen Paris und Wien, Budapest und Berlin mit diesem Konflikt-Potenzial umging, wie sie "mit dem Tragischen flirtete", war Thema einer internationalen und interdisziplinären Tagung im Lehár-Schlössl bei Wien (dies wunderschöne und authentisch erhaltene Anwesen liegt in Nußdorf, zwischen Heurigen-Lokalen am Rand der Weinberge nördlich von Wien).

Schon der Tagungsort verwies darauf, dass das Tragische spätestens beim Blick auf die Biografien vieler Operettenschaffender im 20. Jahrhundert aufscheint: die größere und mutmaßlich auch bessere Hälfte der Librettisten, Komponisten und Interpreten wurde nach Maßgabe der "Rassehygiene" ab 1933 aus Deutschland vertrieben, im Zuge der Eroberungen auch aus Prag, Wien, Paris oder Amsterdam. Am Fall des Sängerdarstellers Paul Morgan wurde exemplarisch aufgezeigt, dass und wie gezielt die Nazis den ironischen Esprit der Operette verfolgten. Doch die Thematik des Tragischen betrifft deren Stoff- und Kompositionsgeschichte weit mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

"Bei Jacques Offenbach beispielsweise parodiert die Operette das Tragische, auch bei einigen Werken von Johann Strauß oder Franz Lehár", erläuterte der Wiener Musikwissenschaftler Wolfgang Fuhrmann, einer der Vordenker und Organisatoren der Tagung. "Aber auch schon im Walzertraum von Oscar Straus gibt es tragische Momente, die die Operettenhandlung bestimmen, prägen und tatsächlich bis zum Schluss beherrschen – also vor allem das Motiv des Liebesverzichts."

Der gehört zu den Stereotypen insbesondere der Künstler-Operetten wie dem "Dreimäderlhaus", das Werk und Liebesleid Franz Schuberts ausbeutete. Die Rezeptionsgeschichte dieses Singspiels in Wien und Budapest rekonstruierten Péter Bozó und Franziska Feuerstein höchst anschaulich. Aber auch die Beethoven, Paganini, oder Chopin gewidmeten Werke (bis hin zu Edmund Eyslers "Künstlerblut"), insbesondere auch die Verklärung von Goethes Straßburger Studentenzeit ("Friederike" von Lehár) wurden auf ihre "tragischen" Substanzen hin analysiert.

Stefanie Rauch (Detmold) spürte dem Missgeschick und Unglück sowie dem aus diesem erwachsenden Hauch des Melancholischen und Traurigen in Carl Zellers "Obersteiger" nach. Auch "La rondine", eine späte Operette von Giacomo Puccini, geht ohne Happy End aus, weil emphatische Liebe und bürgerliche Ehe im trauten Eigenheim sich nicht vertragen – ein Grund, der "Schwalbe" (und mit ihr generell der Bordsteinschwalben) im Hinblick auf tragische Grundierung zu gedenken. Ein eher unfreiwillig grotesk-tragisches Kapitel bilden schließlich die lustigen Kriegsoperetten, in deren unrühmlicher Traditionslinie sich Berlin besonders auszeichnete ("Immer feste druff" oder "Derfflinger" von Walter Kollo, aber auch "Gold gab ich für Eisen" von Imre Kálmán).

Es ging nicht ganz ohne Tragödientheorie und gattungsspezifische Wissenschaftlichkeitsvergewisserungen ab bei dieser Wiener Operetten-Konferenz. Doch wurde überwiegend in erfreulicher Weise der gesellschaftliche Kontext der einzelnen Werke berücksichtigt und häufig auf die Theaterpraxis hin reflektiert. Da die Wiener Volksoper im September zu Saisonbeginn den "Walzertraum" von Oscar Straus präsentieren will, wurde die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und Theorie mit der noch im Entstehen begriffenen Praxis eng verknüpft – vom Probenbesuch bis zum Dramaturginnengespräch und der ideologiekritischen Durchleuchtung des Librettos, in dem die "eigentliche" Liebe von der Macht der Staatsraison untergepflügt wird. Aber der Traum trotzt der Tragik – und verspricht es fürderhin zu tun. So ist das eben mit der Verheißung des Kitschs und den Sehnsüchten des wirklichen Lebens.
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