So leicht, so schwer

Von Johannes Halder · 22.05.2011
Elementarer lässt sich Plastik kaum erfahren als in den Werken des Rumänen Constantin Brancusi (1876 - 1957) und des Amerikaners Richard Serra (geboren 1939). In Riehen bei Basel trifft sich die sinnliche Schönheit von Marmor, Bronze, Holz und Gips mit der wuchtigen Präsenz von Gummi, Blei und Stahl.
Erst einmal sieht man gar nichts. Eine massive Wand aus Stahl versperrt in der Eingangshalle die Sicht in die Schau: 20 Zentimeter dick, neun Meter lang, drei Meter hoch und über 43 Tonnen schwer. Es ist, natürlich, das erste Exponat des Stahlbildhauers Richard Serra, und man wundert sich, wie sie hereingekommen ist, diese wuchtige Bramme aus wetterbeständigem Metall, die sich geradezu bedrohlich vor uns aufbaut, statisch gesichert nur durch ihr eigenes Gewicht.

Man muss diese Hürde überwinden, muss körperlich und intellektuell daran vorbei, und je länger man sie betrachtet und die schiere Anwesenheit dieser Stahlplatte akzeptiert, desto mehr erschließen sich ihre Schönheit und Aura durch ihre bloße plastische Präsenz: nichts als in Form gezwungene Materie, Rohstoff, elementar und schwer.

Die Frage, was das bedeutet, erübrigt sich eigentlich, meint der Kurator Oliver Wick:

"Es ist vielleicht ganz exemplarisch für Serras Kunst, die ja nichts anderes sein will als sie selbst. Was ist es? Sie ist einfach sich selbst."

Das stimmt in diesem Fall nicht ganz. Serra hat die Platte dem 1935 gestorbenen portugiesischen Schriftsteller Fernando Pessoa gewidmet, eine Art Denkmal für einen Dichter also, dessen Texte die Unruhe thematisierten angesichts der fortschreitenden Technisierung der Welt.

Bei Constantin Brancusi dagegen herrschen Ruhe, Reinheit und absolute Reduktion. Nur wenige Themen hat der Rumäne in seinem Pariser Atelier bearbeitet und immer wieder variiert in seinem Drang, der Essenz, der plastischen Urform auf die Spur zu kommen.

"Der Kuss" zum Beispiel, gleich im ersten Raum, in vier Varianten, mal aus Kalkstein, mal aus Gips. Ein kompaktes Paar in inniger Umarmung, Mann und Frau, Kopf an Kopf einander zugewandt und im Brustbereich abgeschnitten, ein zeitloses Sinnbild ohne jede Schwülstigkeit.
Serra übrigens sagt, ohne die Begegnung mit Brancusis Werk wäre er gar nicht Bildhauer geworden. 1964/65, als junger Stipendiat, war der Amerikaner in Paris und besuchte dort die Rekonstruktion von Brancusis Atelier.

"Serra ist da reingegangen, war hin und weg und ist dann über Monate immer wieder da hin und hat nach diesen Skulpturen gezeichnet. Und wenn es einen Moment gibt, den ich wirklich herausstreichen möchte in dieser Bezugnahme von Serra auf Brancusi, dann vielleicht der Ausspruch, und das wiederholt er auch heute noch so: Ich war begeistert, wie Brancusi die Volumen zeichnet."

Serra denkt eigentlich zeichnend, in Volumen und Kontur, in Maß, Gewichtung, Raum und Proportion. Da gibt es bei Brancusi eine ovale Form aus halbtransparentem Onyx, die der Bildhauer durch einen einzigen horizontalen Schnitt aus dem Volumen als weiblichen Torso definiert. Serra geht ähnlich vor, wenn er den Raum diagonal durchschneidet. "Strike", ein frühes Werk von 1969 ist eine Stahlplatte, über 7 Meter lang, 2 Meter 50 hoch. Alleine in den Raum gestellt, würde die Platte sofort kippen und uns erschlagen. Doch Serra klemmt sie exakt in den Raumwinkel und schafft so eine prekäre Balance zwischen Stabilität und Labilität – Nervenkitzel inbegriffen.

Serras plastisches Repertoire ist ähnlich begrenzt wie das des Rumänen. Schlappe Gummischlaufen, biegsame Bleiplatten oder eben harter Stahl, industriell gefertigt, gewalzt oder geschmiedet, dienen ihm als Material. Und immer geht es um Schwerkraft und Gewicht, um Masse und Volumen: Ein schräg gestelltes Bleirohr, das allein durch seinen Druck eine schwere Metallplatte an der Wand hält – immer hat man Angst, dass gleich etwas umfällt. Oder ein Kartenhaus aus 4 Bleiplatten, jede anderthalb Quadratmeter groß – oft ist Serras Plastik die pure Physik, aber ästhetisch und mythisch aufgeladen, denn Stahl ist eben nicht nur Stahl.

Brancusi seinerseits hat stets versucht, seine Plastik von der Schlacke alles Materiellen zu befreien. Köpfe, Torsi, Vögel etwa, und vom Kopf blieb am Ende nichts als ein Ei. Brancusi war ein besessener Handwerker und Materialfetischist, er variierte seine Motive in Gips und Holz, in Marmor oder polierter Bronze und montierte sie auf spezielle Sockel, die ein Kunstwerk für sich sind.

Plastiken von solch atemberaubender Schönheit und ästhetischer Perfektion sind ihm dabei gelungen, dass einer wie Serra fast schon nötig ist als Störfaktor, sagt der Kurator Oliver Wick:

"Ich wollte wirklich ganz aktiv eigentlich auf die Wahrnehmung des Betrachters einwirken mit diesen Gegenüberstellungen, mit diesen Abfolgen von Räumen, wo sich diese Skulpturen begegnen, wo es natürlich auch zum Teil ganz große Kontraste gibt, um so überhaupt das dreidimensionale Wahrnehmen oder ein fast körperliches Sehen in Gang zu bringen."

Ein erhebendes Erlebnis, wie im letzten Raum der Schau Brancusis Vögel auf ihren Sockeln sitzen: aufrechte, gespannte Formen, die den Raum durchschneiden, schlank und scheinbar schwerelos.

Elementarer als in dieser wunderbar inszenierten Doppelschau kann man Plastik nicht erfahren. Serra spricht plastischen Klartext, Brancusi bezaubert als ein kraftvoller Poet. So leicht, so schwer, so rein und roh, so schön und schlicht kann Plastik sein. Brancusi und Serra: ein absolutes Traumpaar.

Service:
Die Schau "Brancusi – Serra" ist bis zum 21. August 2011 in der
Fondation Beyeler in Riehen bei Basel zu sehen, danach im Guggenheim Museum Bilbao.