So klingt der Mensch

Von Susanne Nessler |
53 Jahre nachdem James Watson und Francis Crick die Struktur des Genoms, die Doppelhelix, entdeckt haben, hat der Berliner Musiker Thilo Krigar den Code des Lebens vertont. Der Grundstein des Lebens wird in Krigars Komposition zu einem Klang- und Hörerlebnis.
"Man fährt jetzt in einem Klangfahrstuhl die Doppelhelix hoch. Jetzt kommt das Ribosom, jedes ist ein Ton da, da, da, daa, es ist eine Aminosäure die da dranhängt."

Seit fünf Jahren arbeitet Thilo Krigar an einer Komposition, die man wohl schon jetzt als sein Lebenswerk bezeichnen darf: die Vertonung des menschlichen Erbguts. Die DNA, der Grundstein des Lebens als Hörerlebnis. Ein chemischer Code übersetzt in Noten.

"Als ich damit anfing, ich wusste ja nicht, dass es möglich ist, das exakt darzustellen, und als ich dass dann raus fand, dass die Möglichkeit überhaupt besteht, dann packt einen natürlich auch irgendwie die Faszination daran, dann kann man gar nicht anders, dann kann man nicht zurück, dann gibt es so einen Punkt off no return."

In der heißen Phase, saß Thilo Krigar jede Woche an die 100 Stunden an der Komposition. Jedes Atom des DNA-Strangs hat er in die passende Klangarchitektur übersetzt.

Leise dirigiert der ausgebildete Komponist und Cellist die Klänge mit einer Hand mit. Bei Thilo Krigar spürt man von der ersten Sekunde an, die Leidenschaft für sein Werk. Der 44-jährige Musiker ist kräftig gebaut, er trägt eine altmodische Nickelbrille und sein Pullover ist an den Ellenbogen durchgescheuert. Äußerlichkeiten interessieren Thilo Krigar nicht. Er lebt und arbeitet auf 52 Quadratmetern. Im Hinterhaus eines Berliner Altbaus. Ein paar alte Möbel stehen in der Zwei-Zimmer-Wohnung, viele Bücher und ein großer Flügel.

"Ich kann ihnen nichts wirklich vorspielen, ich geh manchmal die Komposition Ton für Ton durch, aber ich kann kein Klavier spielen."

Und so möchte er auch nichts von seiner Komposition am Klavier vorspielen. Das passt nicht zu seinem Musikverständnis. Er ist Perfektionist.
Bei der Vertonung der Erbinformation dringt Thilo Krigar bis in die kleinste Ebene der Zelle vor. Einfach gesagt bedient sich der Komponist der jahrhundertealten Erfahrung, dass Musik viel mit Mathematik zu tun hat, Töne schlicht Intervalle sind. Zweimal schon hat er Ausschnitte seines Werks mit den Pythagoras Strings aufgeführt, einem Ensemble von zwölf Streichersolisten.

"Ich hab bei der Aufführung als Cellist mitgewirkt."

Um den Konzertbesuchern den Fluss der genetischen Information zu veranschaulichen, wurden über, unter und um das Publikum herum Lautsprecher aufgebaut. Das muntere Treiben in einer Zelle zu erleben als Tonabfolge im 360-Grad-Surround-Sound.

"Also das überwiegende Gros der hochkarätigen Wissenschaftler, die sich damit befasst haben, waren ziemlich begeistert davon. Also meine Kollegen, die Musiker, die finden das interessant bis zu einem bestimmten Punkt, finden das aber in der ganzen Ausformung mitunter beängstigend."

Von Wissenschaftler hat Thilo Krigar viel Unterstützung für sein Projekt erfahren. Um die Vorgänge des Lebens zu verstehen, hat er sich immer wieder mit Biologen und Biochemikern getroffen. Sie haben ihm die Vorgänge in der Zelle detailliert erläutert.
Inzwischen hat er fast ein Amateurstudium in Biologie hinter sich, sagt Thilo Krigar und zeigt auf den dicken Stapel Bücher auf seinem Schreibtisch.

"Ich habe mir erstmal verschiedenen Bücher gekauft, durchgelesen und relativ wenig verstanden. Mir war aber klar, es gibt so ein zentrales Dogma, das ist der Fluss der genetischen Information, der geht immer von der DNS, die wird transkribiert zur RNA und die wird dann translatiert zum Protein. Und die Proteine und die RNA steuern und regulieren das ganze Netzwerk, also unsere Lebensvorgänge in der Zelle und das ist praktisch eine Story, und die ist interessant."

Der Komponist beherrscht inzwischen die Sprache der Naturwissenschaft so gut wie die der Musik. Die Biologie, die Geschichte des Lebens, ist für ihn zur Lebensgeschichte geworden. Schon mit 16 Jahren faszinierten Thilo Krigar dieser Gedanke. Damals spielte er zusammen mit einem Freund begeistert Werke des deutschen Barockkomponisten Johann Sebastian Bach. Er gilt bis heute als einer der berühmtesten Tonschöpfer in der Musikgeschichte.

Wer Bach versteht, versteht die Schöpfung, erklärte ihnen damals eine Lehrerin. Die beiden Schulkameraden sind bis heute regelrecht fasziniert von dem Gedanken. Der Freund wurde übrigens Professor für Biochemie und hat viel zum Werk beigetragen.

"Wir haben relativ lange diskutiert. Das war für mich sehr interessant, es ist für mich immer interessant die Fragen, die gestellt werden und ich lerne auch jedes Mal von den Fragen eine Menge."

So wie Thilo Krigar sich die wissenschaftlichen Grundlagen für seine Komposition selbst erarbeitet hat, so bringt sich nun seine Tochter das Klavierspielen bei. Sie ist sieben Jahre alt, heißt Laetizia und tritt ganz in die Fußstapfen ihres Vaters.

Laetizia spielt Mozart und Bach nach Gehör. Noten lesen kann sie nicht. Ihr Vater darf sie ihr auch nicht beibringen, die Noten. Sie will die Musik selbst erleben und dann spielen.
Dazu legt sie eine CD ein, hört das Stück und spielt es kurz darauf auf dem Flügel. Fast so perfekt wie das Original. Und dann muss Thilo Krigar zuhören, denn Laetizia will wissen, ob es ihm gefallen hat. Sie ist außerdem der größte Fan seiner DNA-Komposition. Auch das macht Thilo Krigar sehr stolz.

Die DNA ist die Welt im Kleinen, sagt der Komponist. Das Leben der Zelle ist so hoch dramatisch wie das Leben im Großen, jedes einzelne Protein hat seine eigene Persönlichkeit.

"Die habe so eine gewisse post-spät-romantischer Harmonik, sozusagen. Zufall!"

Thilo Krigar will mit seiner Musik das Wunder DNA beschreiben. Sie ist für ihn viel mehr als nur molekulare Genetik. Sie ist die Voraussetzung allen Lebens.