So klingt der Abgesang

Von Ulrike Greim |
Das Landestheater Eisenach übergibt ab der Spielzeit 2008/2009 unter dem Dach der Kulturstiftung Meiningen die Leitung des Theaters an den Meininger Intendanten, Ansgar Haag, Resultat von Verhandlungen zwischen den Trägern und dem Freistaat Thüringen. Und so flossen die Tränen bei der Abschiedsvorstellung – denn nicht nur verliert Eisenach sein eigenständiges Theater: viele der Schauspieler sind nun arbeitslos.
"Wenn ich einmal reich wär..."

Es ist ein Abend, an dem man nicht recht weiß, spielt der Ernst-Volker Schwarz den Tevje, oder ist der Tevje der Ernst-Volker Schwarz. Für das Publikum scheint es klar zu sein: Er spielt sich selbst. Den armen Milchhändler, der das Herz am rechten Fleck hat, und kein Geld. Wenn ich einmal reich wäre .. na klar, dann würde er weiter hier singen. Aber ab heute ist Ernst Volker Schwarz arbeitslos. Fast 40 Jahre hat er am Landestheater Eisenach gesungen. In zig Rollen geglänzt, viele Frauenherzen im Sturm erobert. Heute Abend verkörpert er das Theater, allen voran. Er bekommt zum Applaus den großen Blumenstrauß, nicht der Intendant.

Und das Publikum weint mit ihm. Tatsächlich. Gestandene Männer verdrücken sich die Tränen, als dem Sänger auf der Bühne für eine Sekunde die Stimme versagt. Es ist eine Abschiedsszene. Das ganze Stück ist Abschied. Das Publikum spendet reichlich Szenenapplaus. Das Theater Eisenach ist bis auf den letzten Platz ausverkauft. Und heute darf man weinen.

Es gibt keine Rede, kein Transparent, keinen Protest. Das Ensemble tut, was es tun kann: es spielt. Das Publikum ist mit ihnen.

Am Ende, wie könnte es anders sein: stehende Ovationen. Wie lange? 20 Minuten, 30 Minuten? Jetzt zählt keine Zeit.

Ernst Volker Schwarz steht wie in Trance. Dann fasst er sich wieder, verneigt sich, geht einmal vor dem Publikum auf die Knie, legt die Hand aufs Herz. Mehr geht nicht. Er wird arbeitslos, wie die meisten anderen Sängerinnen und Sänger auch.

Eine Sängerin schafft es nicht, auf die Bühne zu kommen und ihre Vorhänge zu genießen. Ihr Ehemann schluchzt, weil er weiß, dass sie jetzt hinter der Bühne steht. Man hat ihr eine Stelle als Souffleuse angeboten. Ein ums andere Mal werden derweil die Kollegen herausgeklatscht.
Dies ist das Ende der Eigenständigkeit des Eisenacher Theaters. Fast die Hälfte der Belegschaft muss gehen. Alle Sänger, bis auf zwei, die Hälfte des Orchesters. Ihnen gibt das Publikum Herzenswärme, Blumen und viel Applaus.

Heute hat man den Eindruck, die Stadt Eisenach steht wie ein Mann oder eine Frau hinter ihrem Theater. Aber ist das so?

Ja, es ist die Landesregierung, die dem Theater den Geldhahn langsam zugedreht hat. Das hat sie an anderen Thüringer Bühnen auch versucht. Aber in Nordhausen beispielsweise, erst recht in Weimar hat sie das nicht geschafft, in Meiningen gar nicht versucht. In Wahrheit haben die Stadt Eisenach und der Wartburgkreis ihrem Theater den Tritt in den Hintern gegeben. Die Eigenständigkeit für entbehrlich erklärt. Das sogenannte Landestheater ist ein Theater ohne Land und ohne Stadt.

"Es ist in Eisenach eine Besonderheit, dass wir einen Zwei-Fronten-Krieg auszutragen hatten. Auf der einen Seite stand die Stadtspitze, auf der anderen die Landesregierung. Und das war einmalig in Thüringen. Die anderen Städte hatten ihre Stadtspitze hinter sich, und da konnten sie dann ordentlich kämpfen."

"Ich glaube, wir haben hier in Eisenach unsere kommunalen Politiker nicht ernst genommen. Wir haben sie nicht ernst genug genommen, weil wir immer gesagt haben: das können die nicht machen, die können nicht unser Theater zumachen. Und die sind so dumm und machen es doch. Die sind ja so unglaublich dumm. Und wissen nicht die Folgen. Sie sind sich nicht im Klaren darüber, was sie jetzt gemacht haben."

An diesem Abend werden sie es auch nicht erfahren, sie sind nicht dabei. Das Publikum feiert zur Stunde noch. Für die eine Hälfte des Ensembles beginnt nun die Arbeitslosigkeit, für die andere der Weg in ein neues Theater, nun von Meiningen aus gesehen.